Irak:Fastenbrechen voller Trauer

Irak: Familien kauften im Einkaufsviertel Karrada gerade für die Feiertage ein, als ein Terrorist sich in die Luft sprengte und mehr als 200 Menschen tötete.

Familien kauften im Einkaufsviertel Karrada gerade für die Feiertage ein, als ein Terrorist sich in die Luft sprengte und mehr als 200 Menschen tötete.

(Foto: Hadi Mizban/AP)

Während in Bagdad noch immer nicht alle Opfer des schweren Anschlags geborgen sind, erschüttert eine Serie von Attacken Saudi-Arabien.

Von Paul-Anton Krüger, Kairo

Die Menschen haben weiße Kerzen angezündet, um der Toten zu gedenken. Sie schimmern in der Nacht in einer zentralen Geschäftsstraße von Karrada, einem Viertel der irakischen Hauptstadt Bagdad, gelegen in einer Schleife des Tigris, in dem überwiegend Schiiten und Christen leben. Es ist die Nacht nach dem Anschlag, doch noch immer ziehen Rettungskräfte verkohlte Leichen aus den Ruinen, aus dem Al-Hadi-Center, einer Shoppingmall, die mit ihren Geschäften und Cafés ein Anziehungspunkt war. Viele Familien kauften dort ein für die Festtage zum Ende des Ramadan, sie flanierten, genossen die angenehmen Temperaturen der Nacht und die Unterbrechung des Fastens, schauten das Elfmeterschießen zwischen Deutschland und Italien bei der Fußball-EM.

Als der Premier das Viertel besucht, wird er mit Steinen und Schuhen beworfen

Ganze Familien wurden ausgelöscht. "Auf der Liste der Opfer stehen die Namen von Vätern und ihren Söhnen, von Müttern und ihren Töchtern", sagte ein Sanitäter der Nachrichtenagentur AFP. "Wir werden noch Tage brauchen, um alle zu finden." Mehr als 200 Tote hatten er und seine Kollegen bis zum Montagmittag aus den Ruinen geborgen, diese Zahl nannte zumindest Mohammed al-Rubaie, der stellvertretende Chef des Sicherheitskomitees für die Provinz Bagdad.

Ermordet hat diese Menschen nach eigener Bezichtigung die Terrormiliz Islamischer Staat (IS): ein Selbstmordattentäter, der seinen mit Sprengstoff beladenen Kühltransporter in die Luft jagte und ein Inferno entfachte. Es war einer der schwersten Anschläge im Irak seit dem Sturz des Diktators Saddam Hussein im Jahr 2003, wenn nicht gar der verheerendste. Mehr als 300 Menschen sind verletzt, viele von ihnen schwer. Die Zahl der Opfer, befürchten die Behörden, wird noch weiter steigen.

Für den Ramadan hatte IS-Sprecher Abu Mohammed al-Adnani zu Attentaten gegen Ungläubige aufgerufen, zu denen nach der pervertierten IS-Lesart des sunnitischen Islam schiitische Muslime zählen. Selbstmordattentäter sprengten sich am Montag auch in Medina, der zweitheiligsten Stadt der Muslime, und zwei anderen Orten in Saudi-Arabien in die Luft, das dem IS trotz seiner rigiden Auslegung des Islam wegen der Kooperation des Königshauses mit dem Westen als Feind gilt. Bis zum späten Abend gab es aber noch keine Bekennererklärungen zu diesen Anschlägen. Ein Attentäter zündete seine Bombe laut dem in saudischem Besitz befindlichen Fernsehsender al-Arabiya an einem Polizeiposten in Medina auf einem Parkplatz für Sicherheitskräfte neben der Prophetenmoschee, nach der Großen Moschee von Mekka das wichtigste Heiligtum des Islam und die Grabstätte des Propheten Mohammed. Nach ersten Berichten wurden vier Sicherheitsbeamte und zwei Zivilisten getötet. Unklar war, ob der Attentäter gezielt die Wachen angriff, die gerade das Fasten brachen, oder ob er vorhatte, die Moschee und die Gläubigen darin zu attackieren, die sich dort zum Abendgebet versammelt hatten. Zuvor hatten zwei Attentäter in der Stadt Qatif im Osten des Landes vor einer schiitischen Moschee ihre Bomben zur Explosion gebracht; sie rissen laut Anwohnern aber niemanden mit in den Tod und verletzten auch niemanden. In der Hafenstadt Dschiddah am Roten Meer hatten Wachmänner schon in der Nacht auf einem Parkplatz nahe dem US-Konsulat einen Mann angesprochen, der sich verdächtig verhielt und dann seine Sprengstoffweste zündete. Zwei der Sicherheitsleute wurden dabei verletzt. Kuwait verschärfte den Schutz seiner Ölanlagen, nachdem die Behörden Anschlagspläne aufgedeckt hatten. Im Irak ordnete Premier Haidar al-Abadi drei Tage Staatstrauer nach dem Anschlag an, den das US-Außenministerium als "Massenmord an Unschuldigen" geißelte. Diese fällt in die Zeit des Fests des Fastenbrechens, für Muslime nach dem Opferfest die wichtigsten religiösen Feiertage. "Ich werde keine Glückwünsche entgegennehmen, und ich werde keine Glückwünsche aussprechen. Die Festtage werden traurig sein", schreibt ein Bewohner Bagdads, der für ausländische Journalisten arbeitet.

In die Trauer mischt sich Wut: Abadi wurde mit Steinen und Schuhen beworfen, als er sich mit einem gepanzerten Konvoi nach Karrada traute. Und er musste sich die Frage gefallen lassen, warum solche Anschläge immer wieder passieren. Noch in der Nacht zum Montag kündigte er an, das Sicherheitskonzept für die Hauptstadt zu ändern. Sie wird seit Monaten wieder verstärkt das Ziel von Selbstmordattentätern des IS - seit die Armee und schiitische Milizen die Dschihadisten aus Falludscha und anderen Städten der Nachbarprovinz Anbar vertrieben haben.

Abadi ordnete an, Fahrzeuge an den Einfallstraßen nach Bagdad schärfer zu kontrollieren. Endlich untersagte er auch, Hunderte vor Jahren angeschaffte Attrappen von Sprengstoffdetektoren einzusetzen. Der britische Geschäftsmann, der sie der irakischen Regierung für Stückpreise bis zu 60 000 Dollar verkauft hatte, sitzt längst wegen Betrugs eine Haftstrafe von zehn Jahren ab. In Bagdad aber sieht man die nutzlosen schwarzen Plastikgriffe mit ihren silbernen Antennen noch immer an vielen Checkpoints.

Nun sollen dort moderne Scannerbrücken zum Einsatz kommen, die Fahrzeuge durchleuchten können. Zudem verbot Abadi dem Personal an den Kontrollpunkten während der Arbeit ihre Handys zu benutzen, eine Quelle ständiger Ablenkung. Es soll mehr Luftaufklärung und eine bessere Koordination der Sicherheitsdienste und Behörden geben.

Der Regierung ist das Problem lange bekannt. Sie versucht die Hauptstadt mit einer Mauer zu umgeben und so vor Infiltration durch Terroristen zu schützen. Auch war die Offensive zur Rückeroberung der Stadt Falludscha, auf die vor allem schiitische Milizen und Iran gedrungen hatten, mit der Hoffnung verknüpft, die Sicherheit in Bagdad zu verbessern. Die Provinz Bagdad ist nach Anbar, der überwiegend von Sunniten besiedelten Nachbarprovinz, weitgehend abgeriegelt. Wer keine Familie oder gut vernetzte Fürsprecher in Bagdad hat, wird nicht durchgelassen; nur Schmiergeld kann den Weg ebnen. Vor Feiertagen oder bei besonderen Bedrohungslagen werden sämtliche Zufahrtsstraßen gesperrt.

Dennoch hat der IS in Bagdad seit Jahresbeginn etliche schwere Anschläge verübt, die Märkte und das Schiiten-Viertel Sadr City trafen. Montagmorgen ging die nächste Autobombe hoch, wieder an einem Markt. Zwei Menschen starben. Am Abend dann schlugen Granaten auf dem Flughafen-Gelände ein - das einer schwer bewachten Festung gleicht.

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