Irak:Die Rache für Mossul

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Kurdische Kämpfer sichern eine Straßenecke in Kirkuk. (Foto: Ako Rasheed/Reuters)

Die Millionenstadt im Nordirak soll bald frei von Islamisten sein. Dafür startet der IS jetzt in Kirkuk eine Gegenoffensive.

Von Moritz Baumstieger, München

- Der Angriff beginnt um drei Uhr nachts. Auf einem Video, aufgenommen von aus dem Schlaf gerissenen Bürgern, hört man Schüsse, Detonationen und Schreie, zu sehen ist wenig - die Nacht über dem nordirakischen Kirkuk ist dunkel, die Stadt nur spärlich beleuchtet. Es dauert, bis den Bewohnern von Kirkuk klar wird: Die Terrormiliz Islamischer Staat, die gerade 170 Kilometer nördlich von einer breiten Koalition aus der Millionenstadt Mossul vertrieben werden soll, versucht sich an einer Gegenoffensive.

Die Dschihadisten greifen mehrere Verwaltungsgebäude an, zünden mindestens drei Autobomben. Schläferzellen aus der Stadt vereinigen sich mit Kämpfern, die auf Pick-up-Trucks in die Stadt kommen, wie andere Videos zeigen. In der nahegelegenen Kleinstadt Dibis greifen Selbstmordattentäter ein Kraftwerk an, das die Region mit Strom versorgt und töten dabei 16 Angestellte, unter ihnen vier iranische Mitarbeiter der Betreiberfirma.

In Kirkuk selbst verkünden die lokalen Behörden am Vormittag etwas vorschnell, den Angriff zurückgeschlagen zu haben, als Geiselnehmer nach Berichten der kurdischen Agentur Rudaw Kindergärten und Moscheen stürmen. Die Imame der Stadt schließen daraufhin ihre Gotteshäuser und sagen das Freitagsgebet ab, der Gouverneur von Kirkuk, Nadschim al-Din Karim, verhängt eine vollständige Ausgangssperre. Bis in den Abend hinein liefern sich kurdische Peschmerga, die die Region seit 2014 kontrollieren, Feuergefechte mit den Islamisten, die sich in einem Gebäude verschanzt haben. Bis zum Einbruch der Nacht sollen diese Terrorzellen ausgeschaltet werden, so der Gouverneur zur Nachrichtenagentur AFP. Irakische Milizen berichten, in Kirkuk mehr als 70 Kämpfer der Islamisten getötet zu haben, kurdische Behörden sprachen lediglich von zwölf toten Angreifern und sechs Polizisten, die bei Straßenkämpfen ums Leben kamen.

Der Gouverneur verdächtigt Flüchtlinge aus Mossul, IS-Schläfer zu sein

Die Attacke des IS auf Kirkuk zeigt, dass die Dschihadisten in der Lage sind, an anderen Orten wieder aufzutauchen, wenn sie aus den von ihnen beherrschten Gebieten vertrieben werden. Der Versuch, den Kampf in die Gebiete ihrer Feinde zu tragen, ist ein wichtiges Element der Kriegsführung der Dschihadisten, um gegnerische Kräfte zu binden. Noch wichtiger sind diese Angriffe allerdings für die Propaganda des IS: Sie sollen Anhängern wie Gegnern zeigen, dass das Kalifat seiner Zerschlagung nicht untätig zusieht, sondern kraftvoll zurückschlagen kann - entsprechend hymnisch klangen die Meldungen des IS-Propaganda-Dienstes Amaq.

Realistische Chancen, die Millionenstadt Kirkuk unter seine Kontrolle zu bringen, hat der IS laut Experten aber nicht. Die Attacke sei inszeniert worden, "um die eigene Moral zu stärken", erklärte der Gouverneur von Kirkuk. Dennoch verlegten irakische Milizen und kurdische Peschmerga zusätzliche Kräfte und Ausrüstung in die Region, es gab Berichte über Luftangriffe der US-geführten Koalition auf Gebäude, in denen sich IS-Kämpfer verschanzt hatten. Außerhalb Kirkus sollen 15 Frauen bei einem der Angriffe getötet worden sein.

Der Gouverneur der Region um Kirkuk befürchtete, ein Teil der Angreifer sei als Flüchtlinge aus dem sunnitisch-arabisch geprägten Mossul in die Stadt gekommen. Hilfsorganisationen hatten vor Beginn der Offensive auf Mossul gewarnt, dass die Kämpfe eine große Fluchtwelle auslösen könnten. Bisher sind nach Angaben des UN-Flüchtlingshilfswerks jedoch nur 3900 Menschen aus der Region Mossul geflohen. Dennoch ist in den umliegenden Provinzen die Angst vor als Flüchtlinge getarnten IS-Kämpfern groß, teilweise kam es zu Übergriffen auf sunnitische Araber, die wegen der Kämpfe ihre Häuser verlassen mussten.

© SZ vom 22.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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