Irak:Der Zankapfel zwischen den Kurden und Bagdad

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(Foto: Safin Hamed/AFP)
  • Die multiethnisch bewohnte Stadt Kirkuk wird seit 2014 von den Peschmerga kontrolliert.
  • Vor dem geplanten Referendum für die kurdische Unabhängigkeit nehmen die Spannungen zwischen den Bevölkerungsgruppen und Schutzmächten zu.
  • Nichts fürchten die Kurden mehr, als dass ein Gewaltausbruch der irakischen Armee einen Vorwand zum Eingreifen liefern könnte.

Von Paul-Anton Krüger, Kirkuk

Über die Einfahrtsstraße von Erbil nach Kirkuk wacht ein einsamer Peschmerga, überlebensgroß. Eine sechs Meter hohe Statue, das Gewehr über die Schulter gehängt. Aufgestellt wurde das Standbild eines kurdischen Soldaten im Juli - Symbol für den Machtanspruch der Kurden in der umstrittenen Stadt im Nordirak. Am Horizont steigen schwarze Rauchwolken über der ausgedörrten Steppe auf. Es sind die Gasfackeln der Ölfelder. In der Nacht zeichnen die orangenen Flammen flackernd Schattenrisse von den Hügeln.

Es sind nicht zuletzt die Bodenschätze, die Kirkuk zum Zankapfel zwischen den Kurden und Bagdad machen - eine der wenigen Städte im Irak, in der noch Menschen verschiedenster Ethnien, Religionen und Sprachen weitgehend friedlich zusammenleben: Kurden, sunnitische und schiitische Araber, Turkmenen, chaldäische und assyrische Christen. Das funktionierte im Alltag bis jetzt leidlich, doch die Spannungen nehmen zu, seit die Kurdische Regionalregierung in Erbil für diesen Montag ein Unabhängigkeitsreferendum angesetzt hat - bei dem auch die Bevölkerung von Kirkuk abstimmen soll.

Als die Armee Kirkuk noch kontrollierte, gab es Entführungen und Anschläge

Die Stadt mit etwa 1,5 Millionen Einwohnern gehört nicht zum anerkannten Autonomiegebiet der Kurden. Die Peschmerga rückten 2014 dort ein, als die irakische Armee vor der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) floh. Sie schützten die Ölfelder, verteidigten Kirkuk - und sind geblieben.

Seither sei es in der Stadt sicher, sagt Khaled Ibrahim Schamseddine, ein Kurde und Teppichhändler. Als noch die Armee die Stadt kontrollierte, habe es Entführungen gegeben, Bombenanschläge und Schutzgelderpressung. Er sitzt in seinem Laden und deutet hinter sich, wo Angestellte Papierkram sortieren. "Ich beschäftige zehn Leute ", sagt der 34-Jährige. "Der hier ist Turkmene, der ein sunnitischer Araber, und dieser ein schiitischer Araber. Ich habe nie einen Unterschied gemacht. Und wir hatten nie Probleme." Er hofft, dass es so bleibt, Ärger ist schlecht fürs Geschäft.

Aber er ist auch der Meinung, Kurdistan solle unabhängig sein, samt Kirkuk. Und auch seine Stadt soll darüber abstimmen. "Wie lange sollen wir noch warten?", fragt er. Bagdad halte die Kurden seit 1991 hin. Überdies habe Saddam Hussein Ende der Achtzigerjahre im Zuge der Operation Anfal Zehntausende Kurden ermordet und Millionen vertrieben, um dann Araber anzusiedeln. Aber Schamseddine ist nicht entgangen, dass sich die Stimmung verschlechtert hat. Turkmenische Kunden weigerten sich seit Wochen, Kurdisch oder Arabisch zu sprechen. "Wir sind Geschäftsleute, also haben wir schon früher ihre Sprache gelernt." Aber wo seien die Turkmenen gewesen, als die Peschmerga Kirkuk vor dem IS gerettet hätten? "Zu Hause, und jetzt sagen sie Kirkuk ist ihre Stadt."

Die Kurden fürchten, Gewaltausbrüche könnten ein Eingreifen der Armee provozieren

So drastisch würde es Qassim Qazanji nicht formulieren, der Chef der Turkmenischen Front in Kirkuk, aber in seiner Ablehnung des Referendums ist er klar. "Wir rufen unsere Anhänger zum Boykott auf, und wir werden das Ergebnis nicht akzeptieren", sagt er im Hauptquartier der Gruppe. Es gleicht einer Festung, umgeben von meterhohen Betonbarrieren und Milizionären mit schweren Waffen. Die Abstimmung sei nur ein Trick von Kurden-Präsident Massud Barzani, dessen Mandat seit zwei Jahren abgelaufen ist, seine Macht zu sichern und über die Probleme in den Kurdengebieten hinwegzutäuschen.

Ein Vorwurf, den auch kurdische Kritiker gelegentlich erheben. Die Regionalregierung zahlt seit Monaten nur einen kleinen Teil der Gehälter, 90 Prozent der Wirtschaft hängt vom Staat ab. Allerdings hat Bagdad auch die Überweisungen gestoppt, laut Verfassung 17 Prozent des Budgets.

Qazanji fühlt seinen Position gestärkt durch die fast einhellige internationale Ablehnung - nicht zuletzt in Ankara. Die Türkei versteht sich als Schutzmacht der irakischen Turkmenen und hat wegen der Kurden im eigenen Land die Abstimmung zu einer "Angelegenheit der nationalen Sicherheit" erklärt. Was das heißt, hat Präsident Recep Tayyip Erdoğan bis Freitagabend nicht erklärt. Diplomaten schließen nicht aus, dass er die Grenze vorübergehend dichtmacht. Dort haben sich auf türkischer Seite im Zuge eines Manövers Dutzende Panzer eingegraben. Eigentlich hat die Türkei enge Verbindungen zu Barzani, aber Erdoğan, heißt es, nehme es ihm übel, dass Barzani ihn nicht vorab gefragt habe.

Das Auswärtige Amt fordert zur sofortigen Ausreise aus der Provinz auf

"Wir warten ab, was passiert", sagt Turkmenen-Funktionär Qazanji - auch wie Ankara reagiert. "Aber das Referendum öffnet die Tür zu Gewalt zwischen den Volksgruppen", warnt er. Erste Zusammenstöße und Provokationen hat es schon gegeben: Als ein Autokorso fahnenschwenkender Kurden am Büro einer anderen turkmenischen Gruppe vorbeifuhr, fielen Schüsse. Ein Peschmerga wurde getötet. Nichts fürchten die Kurden mehr, als dass Gewaltausbrüche einen Vorwand für ein Eingreifen der Armee schaffen könnten, nachdem in Bagdad Premier Haidar al-Abadi für solche Fälle damit gedroht hat.

Allerdings dürfte die Gewalt eher von schiitischen Milizen ausgehen, den sogenannten Volksmobilisierungseinheiten. Vor ein paar Tagen nahmen die Kurden an einem Checkpoint bei Kirkuk zwölf Männer hoch, die solchen Milizen angehört haben sollen. Sie waren mit Pick-ups unterwegs und hatten kistenweise fabrikneue Kalaschnikows dabei, Granaten und große Mengen Sprengstoff. Westliche Geheimdienste gehen aber davon aus, dass es einer erheblichen Zahl Milizionären gelungen ist, in die Stadt einzusickern. Das Auswärtige Amt hat seine Reisewarnung drastisch verschärft und fordert zur sofortigen Ausreise aus der Provinz Kirkuk auf.

Iran hat offiziell nur gedroht, seine Grenzen nach Kurdistan zu schließen. Mit den Milizen, die zu guten Teilen auf Befehle aus Teheran hören, verfügt Iran aber auch über ein militärisches Druckmittel. Politiker der Patriotischen Union Kurdistans (PUK), die gute Verbindungen zu Iran haben, zitieren eine Drohung von General Qassim Soleimani, dem Chef der für Auslandsoperationen zuständigen Quds-Brigaden der iranischen Revolutionsgarden. "Bisher haben wir die Volksmobilisierungseinheiten von einem Angriff abgehalten", soll er gesagt haben. "Damit werden wir uns künftig nicht mehr abgeben."

In Tuz Khurmatu kann von friedlichem Zusammenleben keine Rede mehr sein

Tausende Milizionäre sind derzeit für eine Offensive gegen die letzte IS-Hochburg bei Hawidscha zusammengezogen worden, nur 50 Kilometer südwestlich von Kirkuk. Der eigentlich erst für Januar geplante Angriff begann am Donnerstag von Süden her - ohne Beteiligung der Peschmerga, die nach Norden Kirkuk gegen den IS sichern. Danach könnten die Milizen auf Kirkuk marschieren - ein mächtiger Kommandeur hat offen damit gedroht.

In Tuz Khurmatu, 70 Kilometer südlich von Kirkuk, ist es im November 2015 und zuletzt im April 2016 bereits zu offenen Kämpfen zwischen Schiiten-Milizen und Kurden gekommen. Heute ist die Stadt geteilt zwischen ihnen, die Wohnviertel von Betonmauern umgeben. Über denen der Schiiten wehen schwarze Flaggen und solche mit dem verehrten Imam Ali. Von einem friedlichen Zusammenleben kann keine Rede mehr sein. Ein lokaler Kurden-Kommandeur sagt, die Milizen hätten Waffen an die Bevölkerung verteilt. Zum islamischen Neujahrsfest am Donnerstag, zugleich Beginn des Trauermonats Muharram, fuhren sie im Konvoi zu einer nahe gelegenen Moschee - Pritschenwagen mit Maschinengewehren und Granatwerfern. Auch das eine unmissverständliche Machtdemonstration.

Und eine Warnung, was in Kirkuk noch bevorstehen könnte.

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