Irak: Abzug der US-Kampftruppen:Der heimliche Sieger

Die Amerikaner haben Saddam Hussein gestürzt und die Macht der sunnitischen Minderheit im Irak gebrochen. Darüber freut sich vor allem Iran. Die Ayatollas haben nun beste Aussichten auf eine Hegemonie in der Region.

Rudolph Chimelli

Jeder weiß es in Teheran, aber niemand sagt es laut: Iran ist der heimliche Sieger des amerikanischen Feldzugs gegen den Irak. Denn die Amerikaner haben den Iranern ihren größten Feind, Diktator Saddam Hussein, vom Hals geschafft, was ihnen selber während ihres achtjährigen Krieges mit dem Irak nicht gelungen war.

Zum ersten Mal in der modernen Geschichte ist die Westgrenze sicher, denn in Bagdad werden - wie immer die langwierige Regierungsbildung ausgeht - auch in Zukunft schiitische Glaubensbrüder das Sagen haben.

Die Herrschaft der sunnitischen Minderheit über die Mehrheit der Schiiten, die vom Osmanischen Reich über das britische Mandat bis zur irakischen Monarchie und während der Republik bestand, ist dauerhaft gebrochen. Eine militärische Bedrohung besteht von dieser Seite nicht mehr. Nachdem der Irak als Machtfaktor weggefallen ist, haben sich zudem die Aussichten Irans auf Hegemonie in der Region erheblich verbessert.

Das wirtschaftliche und intellektuelle Potential der Islamischen Republik ist dem der arabischen Golf-Anrainer weit überlegen. Auch diese Entwicklung ist eine Folge der militärischen Intervention Washingtons - die Präsident George W. Bush und seine Ratgeber wohl nicht erwartet hatten.

Die "Finnlandisierung" des Irak

Der direkte und indirekte Einfluss der Iraner im neuen Irak kann kaum überschätzt werden. Sogar das Wort "Finnlandisierung" wird von Kritikern in Anspielung auf die einstige Abhängigkeit des Landes von der Sowjetunion gebraucht. Präsident Mahmud Ahmadinedschad war auf Freundschaftsbesuch in Bagdad, alle irakischen Regierungschefs und Präsident Dschalal Talabani kamen nach Teheran. Zu den schiitischen Parteien hat Teheran enge Beziehungen, auch wenn diese nicht dem Modell der Teheraner Theokratie folgen wollen.

Ammar al-Hakim, der Vorsitzende des Hohen Islamischen Rates im Irak, hat seine Prägung im langjährigen Teheraner Exil erfahren. "Es hätte keinen Sinn, zu einem Land mit einer gemeinsamen Grenze von 1400 Kilometern Länge schlechte Beziehungen zu haben", doziert er. Der Irak brauche sich nicht von Iran fernzuhalten, sondern solle Brücke zu Arabern und Türken sein. "Für uns ist Iran ein befreundetes Land."

Muktada al-Sadr, der aus einer führenden Gelehrtenfamilie stammende Chef der Mahdi-Miliz, hält sich immer noch in der iranischen Theologen-Stadt Ghom auf, um dort einen geistlichen Rang zu erwerben, der seiner politischen Stellung entspricht. Seine Kampfgruppen werden von den Iranern materiell unterstützt.

Enge wirtschaftliche Verflechtung

Doch nicht sie allein. Auch die Milizen der anderen Schiiten-Parteien stehen unter dem Protektorat Teherans. Überwiegend läuft diese Hilfe über die Pasdaran, die iranischen Revolutionswächter. Nachdem Saddam Hussein Iran angegriffen hatte, stellte der Hohe Islamische Rat im Exil (damals noch der Hohe Rat für Islamische Revolution im Irak) aus irakischen Überläufern und Kriegsgefangenen die Division Badr auf, die auf iranischer Seite kämpfte. Badr-Veteranen bilden heute das Rückgrat der irakischen Streitkräfte und des Geheimdienstes.

Die wirtschaftliche Verflechtung zwischen beiden Ländern ist eng. Beim Wiederaufbau der darniederliegenden irakischen Industrie sind die Iraner stark mit technischer Hilfe und Kapital engagiert, besonders in der Energieversorgung und in der Infrastruktur.

Von Triumphalismus ist Teheran angesichts des Abzugs der US-Kampftruppen dennoch weit entfernt. Welche US-Soldaten für den Kampf bestimmt sind und welche zur Ausbildung, ist letztlich eine semantische Frage. Sie könnte jederzeit revidiert werden.

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