Inzestverbot:Gnadengesuch bei Ministerpräsident Milbradt

Der wegen Inzests mit seiner Schwester angeklagte Patrick S. will ein Gnadengesuch an den sächsischen Ministerpräsidenten Georg Milbradt richten. Dem wegen Inzest angeklagten S. droht eine weitere Gefängnisstrafe. Sein Anwalt will den Fall außerdem vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte bringen.

Inzest bleibt in Deutschland strafbar. Das Bundesverfassungsgericht wies am Donnerstag die dagegen gerichtete Klage eines Mannes aus Sachsen zurück, der mit seiner Schwester vier Kinder gezeugt hat.

Inzestverbot: Strafbare Liebe: Geschwisterpaar Patrick und Susan aus Leipzig.

Strafbare Liebe: Geschwisterpaar Patrick und Susan aus Leipzig.

(Foto: Foto: dpa)

Der heute 31-Jährige Patrick S. war zu zweieinhalb Jahren Haft verurteilt worden, die er teilweise schon verbüßt hat. Nach der Karlsruher Entscheidung muss S. nun den Rest seiner Haftstrafe antreten. Sein Verteidiger will gegen das Urteil vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg ziehen und außerdem ein Gnadengesuch an Ministerpräsident Georg Milbradt richten.

Das Geschwisterpaar war nicht zusammen aufgewachsen. Nach der Scheidung der Eltern wurde der 1976 geborene Patrick S. Von einer Pflegefamilie in Potsdam adoptiert. Seine acht Jahre jüngere Schwester, die in Leipzig aufwuchs, traf er erstmals im Jahr 2000. Nach dem plötzlichen Tod der gemeinsamen Mutter begannen die Geschwister eine sexuelle Beziehung. Die Schwester Susan K. Leidet nach den gerichtlichen Feststellungen an einer Persönlichkeitsstörung und ist geistig leicht behindert.

Vater mehrfach verurteilt

In den Jahren 2001, 2003, 2004 und 2005 brachte sie vier Kinder zur Welt, deren Vater Patrick S. Ist. Zwei der Kinder sind behindert. Nachdem der Inzest bekannt wurde, musste sich der Vater mehrfach Strafprozessen stellen. Nach dem ersten Kind mit seiner Schwester erhielt er zunächst eine Bewährungsstrafe, dann eine Haftstrafe. Nach dem vierten gemeinsamen Kind wurde er im November 2005 schließlich vom Amtsgericht Leipzig zu einer Freiheitsstrafe von insgesamt zweieinhalb Jahren verurteilt.

Während er eine seiner Strafen verbüßte, wurde seine Schwester von einem anderen Mann schwanger und bekam 2006 ein weiteres Kind. Da Susan K. während des Inzest-Verhältnisses teilweise noch nicht volljährig war, blieb sie selbst straflos. Patrick S. legte gegen seine Verurteilung Verfassungsbeschwerde ein. Das Strafgesetz verletzte das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung, argumentierte sein Anwalt.

Recht auf sexuelle Selbstbestimmung nicht verletzt

Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts stellte dagegen in dem jetzt in Karlsruhe veröffentlichten Urteil fest, dass das Verbot des Sexualverkehrs unter volljährigen Geschwistern nicht das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung verletze.

Der Vizepräsident des Gerichts, Winfried Hassemer, stimmte gegen die Entscheidung seiner sieben Kollegen. Seiner Ansicht nach "spricht viel dafür, dass die Vorschrift in der bestehenden Fassung lediglich Moralvorstellungen, nicht aber ein konkretes Rechtsgut im Auge hat." "Eugenische Gesichtspunkte" - also das Risiko von Erbschäden - dürften verfassungsrechtlich nicht berücksichtigt werden. So würden andere Risikogruppen nicht mit Strafe bedroht, selbst wenn die Schädigungsgefahr noch höher sei. (Az: 2 BvR 392/07 - Beschluss vom 26. Februar 2008)

Mit einer Mehrheit von 7:1 Stimmen entschied der Zweite Senat jedoch, dass der Beischlaf zwischen Geschwistern nicht nur diese selbst betreffe, sondern auch Folgen für die Familie und daraus hervorgehende Kinder habe. Empirische Studien belegten, dass es bei Inzestverbindungen zwischen Geschwistern zu schwerwiegenden familien- und sozialschädigenden Wirkungen kommen könne. Die Folge sei eine Überschneidung von Verwandtschaftsverhältnissen, die nicht dem Familienbild des Grundgesetzes entsprächen. Es sei naheliegend, dass Kinder aus Inzestverbindungen große Schwierigkeiten hätten, ihren Platz im Familiengefüge zu finden und eine vertrauensvolle Beziehung zu ihren nächsten Bezugspersonen aufzubauen. Der Gesetzgeber könne sich bei dem Verbot auch auf mögliche Schädigungen der Erbanlagen berufen, die nach empirischen Studien nicht auszuschließen seien.

Anwalt "entsetzt" über eugenische Begründung

Der Leipziger Anwalt des Klägers, Endrik Wilhelm, zeigte sich "entsetzt" über das Verfassungsgerichtsurteil und vor allem den eugenischen Teil seiner Begründung. "Das Bundesverfassungsgericht hat den Weg frei gemacht für Fortpflanzungsverbote mit dem Ziel, behindertes Leben zu verhindern", sagte Wilhelm. Nach diesem Gerichtsbeschluss könnten Gesetze nun mit der Erwägung begründet werden, dass die Entstehung behinderten Lebens verhindert werden solle. Dies sei die Ausgrenzung von Behinderten. Familien könnten durch Strafvorschriften nicht geschützt werden. Deshalb habe der Gesetzgeber 1969 die Strafbarkeit des Ehebruchs abgeschafft, sagte Wilhelm. Geschwisterinzest ist nach Angaben des Verfassungsgerichts unter anderem in Spanien, der Türkei und China nicht strafbar.

Geschwisterpaare haben aus medizinischer Sicht ein extrem großes Risiko, ein geistig oder körperlich behindertes Kind zur Welt zu bringen. "Die Gefahr ist dann deutlich erhöht und liegt bei 40 bis 50 Prozent", sagte der Chef des Instituts für Humangenetik in Heidelberg, Claus Rainer Bartram, in einem Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur dpa.

Der Grund dafür sei, dass Geschwister 50 Prozent der Erbinformationen gemeinsam haben. Dadurch sei die Wahrscheinlichkeit groß, dass ein Kind das Gen für eine Erbkrankheit vom Vater und von der Mutter erhält. So könnten zwei Gene mit Defekten aufeinandertreffen und eine Behinderung entstehen. Mutationen in Genen gebe es zwar bei jedem Menschen. Bei gewöhnlichen Elternpaaren könne das gesunde Gen des einen Elternteils jedoch oft das defekte des anderen ausgleichen.

Cousins und Cousinen, deren Beziehung oder Heirat juristisch kein Problem darstelle, "haben nur ein Achtel des Erbguts gemeinsam", erläuterte er. Deren Risiko, ein behindertes Kind zur Welt zu bringen, liege bei lediglich sechs Prozent. "Normalerweise, also bei gesunden und nicht verwandten Paaren, ist das Risiko noch kleiner und liegt bei drei Prozent."

Das Risiko auf behinderte Kinder ist bei Inzest-Paaren groß

Rein medizinisch gesehen sei ein Kinderwunsch bei Geschwisterpaaren also eine Risikoabwägung, wie es sie auch für Paare gibt, die mit Erbkrankheiten belastet sind - "das wären dann alles Dinge, die wir in der genetischen Beratung erklären würden", sagte er.

Aus kultureller Sicht aber sei ein Inzest-Tabu, so wie es es in unserem Kulturkreis seit Jahrtausenden gebe, sinnvoll - "es soll ja Kinder oder Geschwister vor sexuellem Missbrauch schützen". Insofern sei dieses Tabu eine Leistung - "vermutlich eine kulturelle Leistung, denn die Menschen früher wussten wahrscheinlich nicht, dass auch rein medizinisch gesehen die Gruppen, die unter das Inzest-Tabu fallen, gleichzeitig auch mit Abstand die grösste Risikogruppe hinsichtlich behinderten Nachwuchses sind".

Inzest-Tabus gebe es auch in der Tierwelt, zumal bei Tieren, die in Paaren zusammenleben, etwa Vögeln oder auch Primaten. "Hier hat die Natur evolutionär dafür Sorge getragen, dass Inzest nicht vorkommt", sagte Bartram. Bei den Menschen sei das Tabu so fest verankert, dass ein Tabubruch im Regelfall auch nicht vorkomme - "es sei denn bei Nichtwissen um den Verwandtschaftsgrad oder wenn die Betroffenen getrennt aufgewachsen sind".

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