Interview zur Lage am Hindukusch:"Man kann den Terrorismus nicht wegbomben"

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Die prekäre Sicherheitslage in Afghanistan hat auch etwas mit den Tornados zu tun, sagt Nadia Karim. Die Leiterin einer anerkannten deutschen Hilfsorganisation ist gerade aus ihrem Heimatland zurückgekehrt - und kennt die Befindlichkeiten der Bevölkerung.

Thorsten Denkler

sueddeutsche.de: Frau Karim, Sie sind gerade erst aus Afghanistan zurückgekehrt. Wie hat sich die Lage dort gegenüber vergangenen Reisen verändert?

Nadia Karim: "Wer sich ohne die Unterstützung von Einheimischen auf den Weg macht, begibt sich schnell in Gefahr." (Foto: Foto: sueddeutsche.de)

Nadia Karim: Ich bin in Kabul gewesen und in Kundus, bin über den Khyber-Pass mit dem Auto gefahren, habe acht Provinzen besucht. Für mich hat es auf der Reise in keinem Moment eine gefährliche Situation gegeben.

sueddeutsche.de: Von zwei verschleppten deutschen Ingenieuren ist einer tot, der andere befindet sich noch in der Gewalt afghanischer Geiselnehmer. Ein entführter Journalist ist gerade wieder frei gelassen worden. Hatten Sie einfach nur Glück?

Nadia Karim: Die Sicherheitslage hat sich eindeutig verschlechtert. Sie ist aber nicht so dramatisch, wie sie in den deutschen Medien geschildert wird. Es ist nicht so, dass dort permanent Bomben hochgehen oder Menschen entführt werden.

sueddeutsche.de: Sie sind in Kabul geboren, sprechen die Landessprache und können sich so relativ ungezwungen in Afghanistan bewegen.

Nadia Karim: Ja. Das ist für Leute aus westlichen Ländern sicher schwieriger geworden. Den Afghanen fällt es schwer, etwa zwischen guten und aus ihrer Sicht schlechten Menschen aus dem Westen zu unterschieden.

sueddeutsche.de: Woran liegt das?

Nadia Karim: Vor allem an der politischen Situation. Als die Isaf-Schutztruppe ihre Arbeit aufgenommen hat, wurden sie von den Einheimischen als Aufbauhelfer und Friedenstifter begrüßt. Aber die Grenzen zwischen dem Isaf-Einsatz und der Kampfoperation Enduring Freedom OEF verschwimmen zunehmend.

Nicht zuletzt wegen der deutschen Aufklärungs-Tornados, die zwar im Isaf-Auftrag unterwegs sind, aber auch Ziele für die OEF auskundschaften. Das deutsche Ansehen hat unter dem Verhalten erheblich gelitten, weil es immer wieder zivile Opfer gibt. Man kann eben Terrorismus nicht einfach wegbomben.

sueddeutsche.de: Werden die Tornados tatsächlich so intensiv diskutiert in Afghanistan?

Nadia Karim: Ja. Die Afghanen sind den Deutschen gegenüber sehr aufgeschlossen. Die Deutschen genießen hohe Sympathie. Aber mit den Tornados wurde viel Vertrauen verspielt. Das gefährdet unter anderem die gesamte humanitäre Arbeit in Afghanistan.

sueddeutsche.de: Die Bundesregierung argumentiert, dass das Militär die humanitären Einsätze schützen soll. Wäre eine Arbeit ohne die Isaf-Schutztruppen möglich?

Nadia Karim: Zu unserem Schutz brauchen wir sie nicht. Wohl aber für eine politische Lösung des Konfliktes. Ohne die internationale Hilfe der Isaf werden wir es nicht schaffen, dauerhaft Frieden nach Afghanistan zu bringen. Nötig ist aber, den Auftrag der Isaf-Mission klarer einzugrenzen. Wenn die Zusammenarbeit mit der OEF weiter ausgebaut wird, dann verlieren die Afghanen das Vertrauen in die Isaf-Mission. Das kann zu einer politischen und humanitären Eskalation führen.

sueddeutsche.de: Werden Menschen aus dem Westen jetzt generell als Gefahr wahrgenommen?

Nadia Karim: Das lässt sich nicht verallgemeinern. Unsere Arbeit gründet sich auf gegenseitigem Vertrauen. Wirklich schwierig kann es deshalb für jene werden, die ungeplant und unvorbereitet nach Afghanistan kommen.

sueddeutsche.de: Worauf müssen die achten?

Nadia Karim: Wer sich ohne die Unterstützung von Einheimischen auf den Weg macht, begibt sich schnell in Gefahr. Man sollte dort nicht einfach von Ort zu Ort fahren, wie es einem gefällt. Man muss die aktuelle Situation vor Ort bewerten können. Das können in der Regel nur Einheimische. Das Risiko lässt sich so allerdings nur begrenzen, nicht ausschließen.

sueddeutsche.de: Manche versuchen sich mit gepanzerten Jeeps und bewaffneten Eskorten vor Übergriffen zu schützen.

Nadia Karim: Wer in humanitärem Auftrag unterwegs ist, braucht das nicht. Im Gegenteil. Wer sicher Reisen will, sollte sich so unauffällig wie möglich verhalten. Frauen und Männer sollten traditionelle Kleidung tragen. Aus der Entfernung sollte nichts darauf hinweisen, dass hier Ausländer aus dem Westen unterwegs sind. Wirklich unsicher sind nur die Straßen, die einen Ort mit dem anderen verbinden. In einem Dorf oder in der Stadt schützt einen die Gemeinschaft, sobald man dort aufgenommen wurde.

sueddeutsche.de: Auch wenn dort die Taliban das Sagen haben?

Nadia Karim: Die Taliban von heute sind nicht die von vor fünf oder sechs Jahren. Die einen werden von Pakistan aus unterstützt. Andere vom Iran. Andere sind unabhängig. Viele Gruppen sind untereinander zerstritten. Manche sollen sogar von den Amerikanern Unterstützung bekommen. Die Taliban sind also keine homogene Gruppe. Hinzu kommen die vielen schlicht kriminellen Banden, die oft mit den Taliban verwechselt werden.

sueddeutsche.de: Was kann die Regierung in Kabul tun?

Nadia Karim: Die Regierung in Kabul ist schwach. Sie ist korrupt und hat im Land nicht viel zu sagen. Es müsste nach Petersberg und London eine Konferenz in Kabul geben, auf der die Afghanen sagen können, was für ein Land sie aufbauen wollen. Wir sollten auf die Wünsche der Afghanen eingehen.

sueddeutsche.de: Wie schaffen Sie es, unter diesen Bedingungen die Hilfe für Afghanistan zu organisieren?

Nadia Karim: Das klappt ausgesprochen gut. Das liegt aber auch an unserem Vorgehen. Wir handeln erst dann, wenn die Dorfältesten uns vertrauen und uns sagen, welche Art von Hilfe sie benötigen. Wir würden nicht gegen den Willen der Dorfältesten eine Schule bauen, wenn deren dringendstes Problem gerade sauberes Wasser ist. Dann bauen wir eben erst einen Brunnen. Wir organisieren den Bau meist nur, beschaffen und bezahlen das Material. Alles anderen machen die Afghanen selbst. Die Bevölkerung muss unsere Arbeit unterstützen. Ohne würde es nicht funktionieren.

Nadia Karim ist Vorsitzende der Hilfsorganisation "Afghanischer Frauenverein". Bekannt wurde ihre Arbeit durch das Buch "Die afghanische Reise", das der Journalist Roger Willemsen über sie geschrieben hat. Willemsen ist inzwischen Schirmherr des Vereins. Der Verein kümmert sich um den Bau von Schulen, Krankenhäusern, Brunnen und Nothilfe. Karim ist für ihre Arbeit mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet worden. Ihre Organisation ist im Internet unter www.afghanischer-frauenverein.de erreichbar.

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