Interview:"Wir brauchen die USA"

Ein Weltstrafgericht galt lange als Utopie. Nur wenige Juristen und Menschenrechtler glaubten an eine Verwirklichung. Zu ihnen gehörte der Leiter des Völkerrechtsreferats im Auswärtigen Amt, Hans-Peter Kaul. Als deutscher Verhandlungsführer setzte er sich seit 1996 für den Internationalen Strafgerichtshof ein. Nun ist er fast am Ziel.

Interview: Stefan Ulrich

SZ: Warum braucht die Welt einen Strafgerichtshof?

Kaul: Das Statut des Gerichts ist von 139 Staaten unterzeichnet worden, 60haben es schon ratifiziert. Dies zeigt, dass es weltweit ein dringendes Verlangen, ja einen Hunger nach mehr internationaler Gerechtigkeit gibt. Menschen in allen Ländern sind sich einig: Völkermörder und Täter schwerster Kriegsverbrechen müssen bestraft werden, egal welche Nationalität sie haben, welchen Rang sie einnehmen und im Namen welcher Ideologie sie handeln.

SZ: Ist das Strafrecht überhaupt das richtige Mittel für die Vergangenheitsbewältigung ganzer Völker?

Kaul: Strafverfolgung kann sicher nur ein Weg sein, massenhaftes Unrecht zu bewältigen und den Frieden wieder herzustellen. Andere Wege - Konfliktbewältigung durch Verhandlungen, Wahrheitskommissionen, Amnestien - müssen mitbedacht werden. Letztlich kommt es auf die Umstände an. Ein Grundsatz sollte aber stets gelten: Schwerste Delikte wie Völkermord, die die internationale Gemeinschaft als Ganzes betreffen, dürfen nicht straflos bleiben.

SZ: Das künftige Weltgericht hat weder Polizei noch Armee. Wie kann es sich Respekt verschaffen?

Kaul: Der Gerichtshof kann - von seiner moralischen Autorität einmal abgesehen - nur so stark sein, wie die Staaten ihn machen. Es kommt also darauf an, dass die Regierungen, die dieses Projekt auf den Weg gebracht haben, dafür sorgen, dass das Tribunal tatsächlich Straftäter festnehmen und aburteilen kann.

SZ: Die Bundesregierung hat sich besonders stark gemacht für das Gericht. Warum?

Kaul: Deutschland hat nach dem NS-Regime selbst die Erfahrung gemacht, wie notwendig es ist, Verbrechen gerichtlich aufzuarbeiten. Das ist sicher ein wichtiges Motiv. Zudem gab es einen klaren Auftrag. Alle Parteien im Bundestag haben die Schaffung des Strafgerichtshofs unterstützt. Dabei ging es uns darum, ein effektives, unabhängiges und daher glaubwürdiges Gericht zu schaffen.

SZ: Die US-Regierung lehnt das Tribunal ab. Sie befürchtet, es könnte, etwa von "Schurkenstaaten", zu Propagandazwecken missbraucht werden. Zu Recht?

Kaul: Es stimmt, dass Washington das Vorhaben derzeit ablehnt. Das ist umso bedauerlicher, wenn man bedenkt, wie sehr die Herrschaft des Rechts und der Kampf gegen das Unrecht amerikanischen Traditionen entsprechen. Denken Sie nur an die Nürnberger Prozesse. Die amerikanischen Sorgen sind zudem unbegründet. Das Statut des Gerichts ist voller Schutzmechanismen. Dazu gehört, dass die Strafverfolgung durch nationale Gerichte Vorrang hat. Staaten, die ihre Verpflichtung zur Verfolgung schwerster Verbrechen ernst nehmen, haben also überhaupt nichts zu befürchten.

SZ: Die USA verweigern sich dennoch. Kann das Tribunal ohne sie auskommen?

Kaul: Der Gerichtshof braucht langfristig die Unterstützung Amerikas. Dessen gewaltige Machtmittel und Aufklärungsmöglichkeiten würden das Gericht enorm stärken. Schon deshalb müssen wir uns um eine positivere US-Haltung bemühen. Andererseits: Sollen 139 Unterzeichner-Staaten auf das Gericht verzichten, weil die derzeitige US-Regierung dagegen ist?

SZ: Von Amerika abgesehen - welche Schwierigkeiten gibt es noch?

Kaul: Der Aufbau eines Weltgerichts mit Personal aus vielen Ländern ist ungeheuer schwierig. Mehr als 60 Staaten müssen sich jetzt als Bauherrn über jede Kleinigkeit verständigen. Sie müssen sich einigen über Organisation, Regelwerke, Personal, Computersysteme. Das Gericht muss gut ausgestattet und sicher finanziert sein, damit es bestmögliche Startbedingungen hat.

SZ: Wann können die ersten Fälle bearbeitet werden?

Kaul: Ich denke, in der zweiten Hälfte des kommenden Jahres.

SZ: Und wer werden die ersten Angeklagten sein?

Kaul: Das lässt sich nicht absehen. Oberstes Ziel muss es ohnehin sein, Situationen zu verhindern, in denen es zu solchen Schwerstverbrechen kommt.

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