Interview:Von Loyalitäten und offenen Ohren

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Die Kanzlerin erntet mit einer Aussage über türkischstämmige Mitbürger Kritik - auch aus den eigenen Reihen.

Die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Aydan Özoğuz (SPD), hat den Loyalitätsaufruf von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) an Menschen mit türkischen Wurzeln kritisiert. Eine deutliche Mehrheit der Türkischstämmigen fühle sich "unserem Land zugehörig", sagte die SPD-Politikerin den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. "Wir sollten daher diesen Menschen nicht pauschal Loyalitätskonflikte unterstellen." Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt warf Merkel vor, "ohne Not eine gesamte Gruppe unter Generalverdacht" zu stellen. Kritik kam auch aus der Türkei.

Merkel hatte den Ruhr Nachrichten gesagt: "Von den Türkischstämmigen, die schon lange in Deutschland leben, erwarten wir, dass sie ein hohes Maß an Loyalität zu unserem Land entwickeln. Dafür versuchen wir, für ihre Anliegen ein offenes Ohr zu haben und sie zu verstehen. Und dafür halten wir auch engen Kontakt mit den Migrantenverbänden." Der Vorsitzende des Menschenrechtsausschusses im türkischen Parlament, Mustafa Yeneroğlu, nannte den Loyalitätsappell "Wasser auf die Mühlen von Rechtspopulisten". "Die darin enthaltene Unterstellung ist unbegründet und kontraproduktiv. Sie entfremdet", kritisierte der Erdoğan-Vertraute. "Gerade die Bundeskanzlerin hätte - so wie wir es von ihr gewohnt sind - mit einem nüchternen Blick das ohnehin emotional aufgeladene Thema versachlichen können." Yeneroğlu warf Deutschland erneut vor, nicht hart genug gegen die verbotene kurdische Arbeiterpartei PKK vorzugehen: "Wir beobachten mit Verwunderung, wie frei und ungehindert PKK-Aktivisten auf Deutschlands Straßen und öffentlichen Plätzen Propaganda für verbotene Terrororganisationen betreiben dürfen. Deren Loyalität zu Deutschland scheint niemand infrage zu stellen."

Die Türkische Gemeinde in Deutschland begrüßte das Gesprächsangebot der Kanzlerin. Ihr Vorsitzender Gökay Sofuoglu betonte aber auch: "Wir sind seit Jahrzehnten Teil von Deutschland und nehmen uns seit Jahren als solcher wahr." Göring-Eckardt sagte den Zeitungen der Funke-Mediengruppe, Merkel betreibe ein Freund-Feind-Denken. "So argumentiert auch Erdoğan." Ein Zurück in die Zeit des "Wir" und "Die" wäre ein großer Rückschritt für das offene Zusammenleben, das Deutschland so stark mache. Özoğuz sagte, das Vertrauen der Türkischstämmigen in deutsche Institutionen sei unvermindert hoch. Das sei "ein wichtiges Fundament". Man müsse sich aber mit denen aktiv auseinandersetzen, die ihre politischen Ambitionen in der Türkei in Deutschland austrügen. Seit dem gescheiterten Putsch in der Türkei wird befürchtet, dass sich der innertürkische Konflikt auch in Deutschland niederschlägt. Viele Politiker hatten zuletzt der Türkisch-Islamischen Union der Anstalt für Religion (Ditib) eine große Nähe zum türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan vorgeworfen.

© SZ vom 24.08.2016 / dpa - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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