Interview mit Sabine Leutheusser-Schnarrenberger:"Die Devise für die FDP lautet: Öffnen!"

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Die rechtpolitische Sprecherin der FDP, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, im sueddeutsche.de-Interview über das Grundsatzurteil des Verfassungsgerichts, Farbenspiele mit ihrer Partei und ihre mögliche Zukunft in Karlsruhe. Interview: Hans-Jürgen Jakobs und Gökalp Babayigit. Mit Videos von Karolina Schneider und Marcel Kammermayer

sueddeutsche.de: Frau Leutheusser-Schnarrenberger, das Bundesverfassungsgericht hat der schrankenlosen, heimlichen Onlinedurchsuchung einen Riegel vorgeschoben und ein "Computer-Grundrecht" geschaffen. Wie bewerten Sie die Entscheidung?

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger: Meine erste Bewertung ist positiv. Ein neues Grundrecht zur Integrität und Vertraulichkeit von elektronischer Kommunikation ist durch Rechtsprechung geschaffen worden. Bislang gab es Lücken in unserem Grundrechtsschutz. Ich denke, es ist ein Meilenstein, dass nach 1983 mit der Schaffung des informationellen Selbstbestimmungsrechtes jetzt wieder Karlsruhe den Grundrechtsschutz deutlich ausbaut.

sueddeutsche.de: Die Justiz als das letzte Korrektiv gegen übermütig gewordene Politiker?

Leutheusser-Schnarrenberger: Das Bundesverfassungsgericht ist derzeit der letzte Sicherheitsanker für Grundrechtsschutz gegen Sicherheitspolitiker, die alles wollen - auch das, was nach unserem Grundgesetz nicht geht. Deshalb schreibt es mit seinem Urteil zur Online-Durchsuchung der Politik vor, wie die Privatsphäre ausreichend geschützt bleibt. Mir wäre es lieber, die Politik machte das auch ohne Anweisungen aus Karlsruhe.

sueddeutsche.de: Haben Sie - angesichts der jüngsten Entscheidungen der Verfassungsrichter - Hoffnung auf ein Umdenken der Politik?

Leutheusser-Schnarrenberger: Der Gesetzgeber hat diese Entscheidung aus Karlsruhe zu achten, aber ich bin pessimistisch, was die Begeisterung in Teilen der Politik angeht. Die Kritik am Bundesverfassungsgericht war in den letzten Monaten bemerkenswert aggressiv. Es wurde dem Gericht vorgeworfen, dem Gesetzgeber Steine in den Weg zu legen bei seiner notwendigen Politik der inneren Sicherheit. Das hat ja letztendlich zu den bekannten öffentlichen Äußerungen von Bundesverfassungsrichtern geführt.

sueddeutsche.de: Also ein Fall von Berliner Hybris?

Leutheusser-Schnarrenberger: Ja - und ein Sich-Hinwegsetzen über unsere Grundordnung mit lapidaren Behauptungen. Zum Beispiel sagen einige, wir hätten eine neue Situation, in der das alte Grundgesetz von 1949 in Teilen überholt sei. Das ist nicht der Fall, das muss klar gesagt werden. Und deshalb freue ich mich so über das Urteil.

sueddeutsche.de: Ist es denn eine ungetrübte Freude? Immerhin haben die Verfassungsrichter die Online-Razzia unter bestimmten Auflagen erlaubt. Ist das ein Einfallstor, um in den Schutz der Privatsphäre zu gelangen?

Leutheusser-Schnarrenberger: Das Urteil formuliert sehr hohe Eingriffsschwellen. Das Bundesverfassungsgericht hat ein neues Grundrecht entwickelt, das wohl auch von einer ganzen Serie von grundrechtsblinder Gesetzgebung in den letzten Jahren geprägt ist. Eine abstrakte Gefährdungslage, die wir in der ganzen Welt generell durch den internationalen Terrorismus haben, reicht nicht aus, um immer weiter im Vorfeld anlass- und verdachtsunabhängig Überwachungsmaßnahmen in das Gesetz zu schreiben.

Karlsruhe hat das durch seine ständige Rechtssprechung immer wieder betont - auch im Falle der Online-Durchsuchung. In das neue Grundrecht kann nur eingegriffen werden, wenn es "tatsächliche Anhaltspunkte" dafür gibt, dass eine "konkrete Gefahr für ein überragend wichtiges Rechtsgut" besteht. Das zeigt doch, dass niemand einfach so das Argument bringen kann, eine allgemeine Form der Kriminalitätsbekämpfung mache eine Online-Durchsuchung notwendig.

sueddeutsche.de: Innenminister Wolfgang Schäuble will dem Bundeskriminalamt weiterhin die Online-Durchsuchung erlauben. Er sieht das durch Karlsruhe bestätigt.

Leutheusser-Schnarrenberger: Einmal geht es um die verfassungsrechtliche Seite. Da gab es im Vorfeld zu Recht großen Streit, weil PC-Razzien ohne Rechtsgrundlage durchgeführt wurden - ein besonderer Affront. Klar, nach dem Urteil geht die politische Auseinandersetzung weiter. Es werden viele grundlegende Debatten geführt werden: Wie kann man ein verfassungskonformes Gesetz formulieren? Bringt das überhaupt etwas, die heimliche Online-Durchsuchung gesetzlich zu regeln?

sueddeutsche.de: Welche Konsequenzen sollten aus dem Urteil für das geplante BKA-Gesetz der Bundesregierung gezogen werden?

Leutheusser-Schnarrenberger: Man muss das Urteil mitsamt umfangreicher Begründung in Ruhe auswerten. Da sind viele Dinge angedeutet, die auf den ersten Blick nicht abschließend juristisch zu bewerten sind. Beachtet werden müsste eine ganz klare Formulierung der Eingriffsschwellen. Das wird gerade den Behörden, die im Namen der Gefahrenabwehr agieren, nicht gefallen. Ein weiterer heikler Punkt sind die privaten Daten. Hier wird es schwierig, die Einhaltung des Grundsatzurteils zu gewährleisten.

sueddeutsche.de: Schäubles Entwurf zum BKA-Gesetz ist damit reif für die Altpapiertonne?

Leutheusser-Schnarrenberger: Man muss sich grundsätzlich unterhalten: Was heißt es überhaupt für das Internet, wenn der Staat erlaubter Hacker wird? Wie unsicher wird das Netz? Und erwische ich wirklich die, die ich im Fadenkreuz habe? International agierende Terroristen umgehen mit technischen Hilfsmitteln spielend die Überwachung.

sueddeutsche.de: Fürchten Sie einen Aktionismus der Politik?

Leutheusser-Schnarrenberger: Die Politik ist seit Jahren in diesem Bereich aktionistisch. Da gibt es nur eine Prämisse: mehr Gesetze. Die Vorratsdatenspeicherung ist ein gutes Beispiel dafür. Der Gesetzgeber, also Rot-Grün und Schwarz-Rot, hat den Weg beschritten, den Bürger mit seinen Daten immer pauschal in den Blick zu nehmen. Je mehr Daten ohne Anfangsverdacht gesammelt werden können, desto mehr Material muss ausgewertet werden. Die Vorstellung, dass da vielleicht was Interessantes hängenbleibt, das war eine Motivation des Gesetzgebers. Das hat das Bundesverfassungsgericht jetzt gestoppt.

sueddeutsche.de: Hat sich der nordrhein-westfälische Gesetzgeber blamiert?

Leutheusser-Schnarrenberger: Ich denke, das ist eine eindeutige Niederlage. Wenn dieser Teil des Verfassungsschutzgesetzes, in dem die Online-Durchsuchung festgeschrieben war, in Bausch und Bogen für nichtig erklärt wird, ist da nichts mehr zu reparieren.

sueddeutsche.de: Droht weiter ein Überwachungsstaat? Oder ist diese Gefahr jetzt erst einmal gestoppt?

Leutheusser-Schnarrenberger: Es ist eine Säule da, eine neue Bannmeile, an der der Gesetzgeber nicht vorbei kann. Aber das heißt nicht, dass Überlegungen für weitere Zugriffsmöglichkeiten gestoppt sind. Ich sehe nicht, dass jetzt das große Stoppschild auf dem Schreibtisch des Innenministers liegt.

sueddeutsche.de: Im Jahr 2004 wurden große Teile des Lauschangriffes für verfassungswidrig erklärt. Sie hatten gemeinsam mit ihren Parteifreunden Gerhart Baum und Burkhard Hirsch erfolgreich Verfassungsbeschwerde eingelegt und die Entscheidung mit großer Genugtuung gesehen. Ist die neue Karlsruher Entscheidung auch eine Genugtuung für Sie?

Leutheusser-Schnarrenberger: Es ist eine Bestätigung. Es lohnt sich, für die Grundrechte der Bürger einzustehen, auch wenn in der öffentlichen Meinung derzeit eher die Auffassung vorherrscht, der Staat solle alles für die innere Sicherheit tun können. Dass die Verteidiger der Grundrechte in ihrer defensiven Position solch eine Stärkung bekommen, finde ich gut.

sueddeutsche.de: Müssten Sie nicht auch Überzeugungsarbeit in der Gesellschaft leisten? Viele Bürger heißen Maßnahmen wie die Online-Durchsuchung prinzipiell gut.

Leutheusser-Schnarrenberger: Ich hoffe, dass wir durch das Urteil einen weiteren Schub erhalten. An der breiten Zustimmung arbeiten wir noch - doch ich bin zuversichtlich, dass das Bewusstsein bei den Bürgern für den Grundrechtsschutz stärker geworden ist. Dass die Menschen nicht massenhaft demonstrieren, ist nun mal so. Doch innerhalb der PC-Community ist schon ein erheblicher Aufruhr da. Immer mehr haben das Gefühl, dass die Politik ohne Augenmaß vorgeht.

sueddeutsche.de: Frau Leutheusser-Schnarrenberger, in der Bundesrepublik etabliert sich ein Fünfparteiensystem. In immer mehr Bundesländern zieht die Linkspartei in die Parlamente. Inwieweit muss sich die Rolle der FDP unter diesen neuen Gegebenheiten ändern?

Leutheusser-Schnarrenberger: Die FDP versteht sich als eigene politische Kraft. Wenn in einem Fünfparteiensystem eine angestrebte Zweierkonstellation schwierig zu erreichen ist, müssen wir als Liberale uns genauer überlegen, wie wir politische Verantwortung übernehmen können, damit wir nicht zum absoluten Zuschauer in den nächsten Jahren degradiert werden. Deshalb lautet die Devise: öffnen!

sueddeutsche.de: Und: Für welche Dreierkonstellation wollen Sie die FDP öffnen?

Leutheusser-Schnarrenberger: Die FDP, aber auch die anderen Parteien, müssen sich darüber klarwerden, wo es Schnittmengen geben kann. Für die Bürger ist es langsam unerträglich, wenn sie jeden Tag mit großer Inbrunst oder mit überzeugter Abscheu neue Farbkombinationen vorgetragen bekommen. Aus heutiger Sicht sehe ich aufgrund unseres Programms eher Schnittmengen mit der Union und den Grünen. Für die Bundestagswahl 2009 aber sollten wir die Farbenspiele zurückstellen und eine Politik machen, die auf die Verwirklichung liberaler Politik setzt. Die Union nimmt ja derzeit in Hamburg mit schwarz-grünen Überlegungen auch offensiv für sich in Anspruch, ihre eigenen Positionen dort so umzusetzen.

sueddeutsche.de: Das Bild des bürgerlichen Lagerwahlkampfs ist damit ad acta gelegt?

Leutheusser-Schnarrenberger: Dieses Lagerdenken ist weg. Ich selbst habe mich nie als Lagerinsassin verstanden. Ich sehe die Liberalen auch nicht als Anhängsel einer anderen Partei. Die FDP ist eine selbständige Kraft. Auch mit dem Begriff der bürgerlichen Partei habe ich meine Probleme, solche Redewendungen sind wenig aussagekräftig. Sie müssen mit Inhalten gefüllt sein. Ich bin überzeugtes Mitglied einer liberalen Partei, die auf Pluralität, Toleranz und Weltoffenheit setzt. Wenn das auch als bürgerlich gilt, dann soll das in Ordnung sein.

sueddeutsche.de: In Kürze will das Präsidium der FDP über die Zukunftsstrategie reden. Gehört zur großen Öffnung auch eine stärkerer Akzent auf dem Sozialen?

Leutheusser-Schnarrenberger: Wir brauchen sicher kein neues Programm. Es geht darum, pointierter bei sozialen Fragen Position zu beziehen. Wir haben tolle junge Leute in der FDP, die ins Rampenlicht gehören, und die sich in den sozialen Diskurs sehr gut einbringen. Neben den Leistungsträgern haben wir auch Verlierer in unserer Gesellschaft. Sie brauchen die Chance, teilhaben zu können. Das ist ein urliberales Anliegen: Menschen nicht auszugrenzen, sondern sie mitzunehmen.

sueddeutsche.de: In Hessen kann die FDP beweisen, dass sie kein Anhängsel der CDU ist - und eine Ampelkoalition mit SPD und den Grünen einzugehen. Warum kommt es nicht dazu?

Leutheusser-Schnarrenberger: Aber Hessen bietet auch die große Chance, allen zu zeigen, dass man bei Grundsatzentscheidungen standhaft bleibt. Jetzt müssen sich die Parteikollegen an ihren Versprechungen messen lassen. Ich habe viele Wahlkämpfe mitgemacht, in denen uns vorgeworfen wurde, dass wir umgefallen sind. Hinzu kommt, dass SPD, FDP und Grüne in vier Jahren Opposition in Wiesbaden nicht mit vielen Übereinstimmungen aufgefallen sind. Da gibt es keine großen Schnittmengen, das weiß Andrea Ypsilanti ganz genau.

sueddeutsche.de: Die SPD-Spitzenkandidatin Ypsilanti wird sich also weiter bei ihren Kontaktversuchen eine Abfuhr von der Hessen-FDP holen?

Leutheusser-Schnarrenberger: Sie wirbt ja auch aus rein taktischen Gründen um uns. Man sollte nicht so tun, als sei sie begeisterte Anhängerin liberaler Positionen. Ypsilanti will so die Zusammenarbeit mit den Linken legitimieren, nach dem Motto: "Seht her, ich kann ja gar nicht anders."

sueddeutsche.de: Seit Wochen erschüttert ein Steuerskandal die Republik. Gut- und Besserverdienende, die auch zur Klientel der FDP gehören, verschoben Vermögen nach Liechtenstein. Haben wir ein Elitenproblem in Deutschland?

Leutheusser-Schnarrenberger: Das würde ich nicht sagen. Aber wir haben Probleme mit einigen Menschen, die sich über geltendes Recht hinwegsetzen. Dagegen muss man mit allen Möglichkeiten des Gesetzes vorgehen - auch durch Druck auf Länder wie Liechtenstein, damit sie sich nicht der Rechtshilfe entziehen.

sueddeutsche.de: Sind das Einzelfälle? Oder handelt es sich um eine allgemeine Verschiebung der Moral?

Leutheusser-Schnarrenberger: Leider hat es Steuerhinterziehung wohl schon immer gegeben. Wir haben drastische Gehaltsentwicklungen - damit scheint auch die Bereitschaft zu wachsen, möglichst viel vom schönen Gehalt vorbei am Staat für sich zu behalten. Die beste Abschreckung wäre eine möglichst hohe Gefahr, dabei entdeckt zu werden. Die Zahl der Steuerfahnder sollte möglichst bald signifikant erhöht werden.

sueddeutsche.de: Frau Leutheusser-Schnarrenberger, über Ihre politische Karriere gab es immer wieder einmal Spekulationen. Was verbinden Sie eigentlich mit dem Namen Omid Nouripour?

Leutheusser-Schnarrenberger: Ein netter Kollege der Grünen-Fraktion im Bundestag. Ich las vor kurzem die Meldung, er könne sich vorstellen, dass ich in Karlsruhe am Verfassungsgericht wirke. Das fand ich sehr sympathisch.

sueddeutsche.de: Weil Sie sich das auch vorstellen können?

Leutheusser-Schnarrenberger: Dass ein Kollege aus einer anderen Fraktion seine Meinung kundtut, das fand ich sympathisch. Aber beim Bundesverfassungsgericht bewirbt man sich nicht.

sueddeutsche.de: Auf offene Ohren würde man bei Ihnen aber schon stoßen, wenn Karlsruhe ruft?

Leutheusser-Schnarrenberger: Karlsruhe ruft nicht an. Diese Entscheidung wird in den Reihen der Koalitionsfraktion getroffen. Da mische ich mich nicht ein.

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