Interview mit Roland Koch:"Wir wollen, dass die Gesellschaft mehr Freiheit wagt''

Hessens Ministerpräsident über das neue CDU-Grundsatzprogramm, den Reformkurs seiner Partei und Flexibilität am Arbeitsmarkt.

Claus Hulverscheidt und Jens Schneider

Der stellvertretende CDU-Vorsitzende und hessische Ministerpräsident Roland Koch warnt vor flächendeckenden Mindestlöhnen, zeigt sich aber aufgeschlossen für eine Ausweitung des Entsendegesetzes. Seine Partei will er auf der 2003 in Leipzig beschlossenen Reformlinie halten.

Interview mit Roland Koch: Roland Koch warnt vor flächendeckenden Mindestlöhnen

Roland Koch warnt vor flächendeckenden Mindestlöhnen

(Foto: Foto: AP)

SZ: Herr Ministerpräsident, im neuen Grundsatzprogramm der CDU fallen die Bekenntnisse zum Wert der sozialen Sicherheit auf. Sind Sie nun der letzte Mohikaner, der noch an den Beschlüssen des Leipziger Parteitags festhält?

Koch: Im Gegenteil. Das Programm ist eine ausdrückliche Bestätigung des Leipziger Reformparteitags. Wir wollen, dass die Gesellschaft mehr Freiheit wagt. Wir brauchen eine höhere Flexibilität im Arbeitsmarkt. Das darf aber nicht bedeuten, dass jemand, dem schneller in einem Betrieb gekündigt werden kann, dann in die Lage gerät, dass er am nächsten Tag seine Familie nicht mehr ernähren kann.

SZ: CDU-Generalsekretär Ronald Pofalla hat ausdrücklich die Mitarbeit des NRW-Ministerpräsidenten Jürgen Rüttgers gewürdigt, der für eine Rückbesinnung zum Sozialen steht.

Koch: Ich denke, unser letzter Parteitag hat gezeigt, dass es keinen Abschied von den Leipziger Beschlüssen gibt. Und auch dieses Programm beantwortet die Frage, ob wir in Leipzig einen Fehler gemacht haben, klar mit Nein. Wir werden darüber reden müssen, dass dieses Land es sich nicht leisten kann, Menschen zur Arbeitslosigkeit zu verdammen, weil unser Arbeitsrecht so schlecht ist.

Wir müssen Arbeitgebern das Recht geben, mit Arbeitnehmern, die eingestellt werden sollen, zu vereinbaren, ob es bei Entlassungen für sie eine Abfindung oder Kündigungsschutz geben soll. Und ich habe keine Angst, den Leuten in einer aufkommenden Konjunktur zu sagen, dass höhere Sicherheit und Wohlstand nur durch mehr Flexibilität erreicht werden können.

SZ: Es dürfte in kommenden Wahlkämpfen nicht leicht für Sie sein, wenn die SPD sagt: Wir wollten den Mindestlohn von sieben Euro fünfzig die Stunde, aber die von der CDU waren dagegen.

Koch: Natürlich kann und soll niemand von 3,10 Euro leben. Aber es ist besser, er arbeitet und der Staat stockt diesen Lohn auf, als er arbeitet nicht, lebt vollständig von der Gemeinschaft und der Job wird ins Ausland verlagert.

SZ: Also keinen Mindestlohn.

Koch: Die CDU ist gut beraten, bei ihren Prinzipien zu bleiben. Wir können doch nicht alle, die einen Stundenlohn von 7,50 Euro mit ihrer Produktivität nicht erarbeiten können, dazu verurteilen, nur noch Bezieher von staatlichen Leistungen ohne Beschäftigung zu bleiben.

Genau das aber wäre der Effekt. Wenn wir diesen flächendeckenden Mindestlohn machen, kostet das zwischen Hunderttausenden und über eine Million Arbeitsplätze - und zwar kurzfristig, an dem Tag, an dem es beschlossen wird. Das ist so stark gegen die Vernunft, dass Teile der Gewerkschaften es ja auch ablehnen und die Menschen den Sozialdemokraten dabei nicht folgen werden.

"Wir wollen, dass die Gesellschaft mehr Freiheit wagt‘‘

SZ: Arbeitsminister Müntefering will das Entsendegesetz auf möglichst viele Branchen ausdehnen. Das würde bedeuten, dass die Tarifpartner selbst Mindestlöhne festlegen, die dann von ausländischen Anbietern in Deutschland akzeptiert werden müssen. Können Sie da mitgehen?

Koch: Sicher nicht bei allen Branchen. Denn das wäre eine Hintertür, um staatliche Mindestlöhne einzuführen. Aber wir sind bereit, uns weitere Branchen anzuschauen, in denen das gehen kann. Dies ist aber auch eine andere Sache als bei den Mindestlöhnen.

Es geht nicht um Niedrigstlöhne, sondern es geht um qualifizierte Tätigkeiten, für die in anderen Ländern Europas weniger bezahlt wird. Wenn wir diese Löhne bei uns zulassen, kann das die Sozialstruktur in einigen Branchen vorübergehend kaputtmachen. Um diese Branchen zu schützen, sind wir dort gesprächsbereit, das geht aber nicht mit der Gießkanne.

SZ: Auch für den Krippenausbau suchen Sie nach einer Lösung. Die Sozialdemokraten beharren auf einem bundesweiten Rechtsanspruch, auch Ihre Parteifreundin Ursula von der Leyen scheint nun dafür offen zu sein.

Koch: Ich glaube, dass man mit einem Rechtsanspruch den falschen Eindruck erweckt, dass der Besuch der Krippe das ist, was wir in der Gesellschaft zur Regel machen wollen. Dass also alle möglichst ab dem ersten Lebensjahr ihr Kind in eine Krippe oder zur Tagesmutter geben müssten, weil der Staat das so will.

Aber genau das ist für die Kinder unter drei Jahren genau nicht das Ziel der Union. Wir wollen die Wahlfreiheit in dem Wissen gewähren, dass sehr viele Mütter - und hoffentlich künftig auch Väter - sich über längere Zeit selbst sehr intensiv um ihre Kinder kümmern wollen.

SZ: Sie lehnen den Rechtsanspruch ab?

Koch: Ich rate erst mal dazu, dass wir uns im Augenblick mit der Schaffung der nötigen Betreuungsplätze beschäftigen und eine ideologische Debatte vermeiden. Wenn wir einen Rechtsanspruch gewähren würden, müssten wir aus Gründen der Gerechtigkeit auch darüber reden, was wir für diejenigen Eltern tun, die ihre Kinder daheim betreuen.

SZ: Sie haben die Eltern angesprochen, die gar keine Krippe für ihre Kinder wollen. Wie groß ist die Gefahr, dass diese Leute sich von der CDU/CSU abwenden, weil sie sich nicht mehr vertreten fühlen?

Koch: Es ist objektiv so, dass die CDU in den vergangenen Jahren eine Positionsveränderung vorgenommen hat. Noch in den Achtzigern hat Helmut Kohl Familienmaßnahmen eingeführt, die den Eltern gerade ermöglichten, lange beim Kind zu bleiben. Jetzt gibt es viele Menschen in unserem Land, die ihren Lebensentwurf in Frage gestellt sehen und fragen, ob sie in unseren Augen alles falsch gemacht haben.

Wir als CDU müssen ihnen sagen, dass Millionen von Müttern für dieses Land sehr sehr viel geleistet haben und dass es ein ganz toller Lebensentwurf ist, sich so den Kindern zu widmen. Und gleichzeitig sind diese Mütter oft sehr stolz auf ihre Töchter, die tolle Studienabschlüsse haben, Kinder bekommen und trotzdem im Beruf bleiben wollen. Diesen Töchtern müssen wir helfen, damit aus Kinderwunsch auch Kinderwirklichkeit wird.

SZ: Ihr Kollege Günther Oettinger aus Baden-Württemberg hat für hochverschuldete Länder ein Angebot formuliert. Wenn sie keine Schulden mehr machen, könne man etwa Berlin beim Abbau von 60 Milliarden Euro Altschulden helfen. Würden Sie da mitmachen?

Koch: Hessen ist ein Land, das in extremer Weise vom Länderfinanzausgleich gebeutelt ist. In meiner Regierungszeit haben wir mehr als 17 Milliarden Euro als Land Hessen eingezahlt, und nur 8,9 Milliarden Euro Schulden gemacht.

Und wenn Sie dann sehen, dass vom Länderfinanzausgleich der mit weitem Abstand größte Teil in Berlin angekommen ist und Berlin trotzdem so viel Schulden gemacht hat, dürften Sie verstehen, dass wir ganz vorsichtig sind, wenn es darum geht, Berliner Schulden abzuzahlen, die ohne unseren Beitrag noch viel höher wären. Wir selbst haben viel getan und gucken nun etwas fassungslos darauf, dass Berlin zum Beispiel proportional deutlich mehr Lehrer je Schüler hat als Hessen.

SZ: Also sind Sie dagegen?

Koch: Mir geht es darum, dass Berlin sich bei der Entschuldung erst einmal richtig anstrengen muss. Dafür reicht es nicht, keine neuen Schulden mehr aufzunehmen. Wir haben als Land Vermögen verkauft und unsere Schulden niedrig gehalten.

Berlin behält Verkehrsbetriebe, Infrastruktur und wir sollen die ,,Operation Entschuldung'' organisieren. Das kann so nicht funktionieren. Berlin muss auf die Standards der durchschnittlichen Bundesländer kommen. Eigenhilfe geht vor Fremdhilfe, und in Berlin ist noch viel Eigenhilfe möglich.

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