Interview mit Rita Süssmuth:"Der Bundestagspräsident muss kein Neutrum sein"

Am Dienstag konstituiert sich der neue Bundestag. Vor allem um das Amt des Präsidenten rangelten sich Union und SPD. Ex-Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth über ein Präsidium in Rekordgröße, warum der Parlamentspräsident so wichtig ist und wie viel Tagespolitik die Nummer Zwei im Staat machen darf.

Bernd Oswald

Rita Süssmuth (68) war von 1988 - 1998 Bundestagspräsidentin. Erst ein Jahr vor Amtsantritt war sie in den Bundestag eingezogen. Von 1985 - 1986 war sie Bundesministerin für Jugend, Familie und Gesundheit, 1987 kam der Bereich "Frauen" dazu. Dem Bundestag gehörte Süssmuth bis 2002 an. 2000/01 leitete sie die von Bundeskanzler Schröder eingesetzte Zuwanderungskommission. Seit September 2005 ist sie Präsidentin der privaten OTA-Hochschule in Berlin.

Interview mit Rita Süssmuth: Rita Süssmuth war knapp zehn Jahre lang Bundestagspräsidentin

Rita Süssmuth war knapp zehn Jahre lang Bundestagspräsidentin

(Foto: Foto: AP)

sueddeutsche.de: Frau Prof. Süssmuth, in den Sondierungsgesprächen zwischen Union und SPD wurde heftig um das Amt des Bundestagspräsidenten gestritten. Warum ist es so begehrt?

Rita Süssmuth: Dieses Amt hat ein ganz wesentliches Stück Prestige, es ist ein wichtiges Amt mit vielen Kontakten, in dem sie z.B. sehr viele Staatsgäste empfangen. Damit ist Einfluss und ein hohes Ansehen der Fraktion verbunden.

sueddeutsche.de: Das Ergebnis der Verhandlungen wird das größte Bundestagspräsidium aller Zeiten sein: CDU/CSU stellen den Präsidenten und einen Stellvertreter, die SPD bekommt zwei Vizepräsidenten, alle anderen Fraktionen einen. Der Bund der Steuerzahler spricht von Steuermittelverschwendung, Staatsrechtler von Arnim von "Parteiengeschacher". Teilen sie diese Kritik?

Süssmuth: Die stärkste Fraktion hat immer das Vorschlagsrecht ausgeübt, darüber brauchen wir jetzt nicht zu streiten. Wenn man insgesamt zu der Zahl sieben kommt, dann muss man sie auch vertreten. Es bedarf der Argumentation, wofür ich ein siebenköpfiges Präsidium brauche. Gegen des Argument des Bundes der Steuerzahler muss man sagen, dass allen Fraktionen nicht das Recht bestritten werden kann, auch einen Vizepräsidenten zu stellen.

sueddeutsche.de: Aber die SPD bekommt ja zwei!

Süssmuth: Da muss argumentiert werden, warum das notwendig ist. Die SPD hatte zwar schon mal zwei Vizepräsidenten, aber nicht immer.

sueddeutsche.de: Die SPD will doch nur einen zweiten Vizepräsidenten, weil sie den Präsidenten nicht bekommt.

Süssmuth: Man kann durchaus in die politische Waagschale werfen, dass der Abstand zwischen den beiden größten Parteien nicht so gravierend ist. Es handelt sich hier um eine politische Einigung, die man politisch vertreten muss.

"Der Bundestagspräsident muss kein Neutrum sein"

sueddeutsche.de: Was macht einen guten Bundestagspräsidenten aus?

Süssmuth: Seine wichtigste Aufgabe und Verpflichtung ist es, das Parlament überparteilich zu führen. Er hat dafür zu sorgen, dass die Geschäftsordnung für alle in gleicher Weise angewandt wird. Das ist ein ganz wichtiger Punkt, denn alle achten darauf, ob der Bundestagspräsident parteilich agiert oder ob er gleiches Recht für alle walten lässt.

sueddeutsche.de: Spielen sie damit auf Wolfgang Thierse an?

Süssmuth: Ich finde das generell wichtig. Natürlich ist der Bundestagspräsident immer der Erwartung seiner eigenen Fraktion ausgesetzt: "Er kommt von uns." Dann möchte die eigene Fraktion schon ein bisschen gleicher behandelt werden als gleich. Da hat ein Bundestagspräsident immer aufzupassen, dass er dieser Erwartung nicht entspricht. Damit verärgert er zwar manchmal seine Fraktion, aber darauf muss er achten. Das ist deshalb so wichtig, weil sonst kein Vertrauen in die Amtsführung entsteht.

sueddeutsche.de: CDU/CSU haben Thierse immer wieder angegriffen und ihm Parteilichkeit vorgeworfen. War die Kritik berechtigt und eine Erklärung dafür, warum der Union so sehr daran gelegen war, dieses Amt zurückzubekommen?

Süssmuth: Ich weiß um diese Vorwürfe. Aber als seine Vorgängerin nehme ich nicht zur Amtsführung des Präsidenten Stellung. Nur soviel: Die Gerichtsurteile - die Union hat ja in Teilen auch geklagt - haben ihm in seinem Verhalten Recht gegeben.

sueddeutsche.de: Die Grünen haben mit Katrin Göring-Eckardt eine 39-Jährige als Vizepräsidentin nominiert. Kann man auch als junger Abgeordneter ein guter Bundestagspräsident sein?

Süssmuth: Sie hat ja schon ein paar Jahre Erfahrung im Parlament. Dort lag der Schwerpunkt ihrer Tätigkeit, ich hatte ein einziges Jahr. Frau Göring-Eckardt ist seit 1998 dabei, hat hinreichend Erfahrung. Das Lebensalter spielt nicht die entscheidende Rolle. Wichtiger ist die Erfahrung, die man im Umgang mit dem Parlament hat. Es ist wichtig, eine gute Beziehung zu den Fraktionen zu entwickeln, insbesondere zu den parlamentarischen Geschäftsführern.

sueddeutsche.de: Wie viel Tagespolitik darf der Bundestagspräsident machen?

Süssmuth: Der Bundestagspräsident kann natürlich seine politische Auffassung zu bestimmten Punkten äußern, er hat natürlich das Recht, öffentlich Stellung zu nehmen. Ich habe das bei frauenpolitischen Fragen und beim Paragraph 218 getan. Sie müssen also für die Zeit der Amtsführung nicht ein Neutrum sein. Nur bei der Attacke auf die Wettbewerber müssen sie sich zurückhalten.

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