Interview mit Otto Schily:"Hundert Prozent wird es nicht geben"

Otto Schily stimmt die Koalition auf Kompromisse beim Zuwanderungsgesetz ein. Der Bundesinnenminister hält eine Einigung mit der Union für nicht ausgeschlossen - und plädiert für Reformen beim Beamtenrecht.

Susanne Höll, Heribert Prantl und Jonas Viering

SZ: Vom französischen Schriftsteller Honore de Balzac stammt der Satz: "Es gibt nur nur eine einzige von Zwergen bediente Riesenmaschinerie - und das ist die Bürokratie." Als deutscher Innenminister sind sie der Chef der Bürokratie, Balzac zufolge also der Oberzwerg. Was wollen Sie tun, um die Maschinerie zu verbessern? Schily: Zwerg zu sein, entspricht nicht meinem Lebensgefühl.

"Hundert Prozent wird es nicht geben"

SZ: Ein großer Zwerg. Schily: Oberzwerg, Großzwerg, wie immer Sie das jetzt noch versuchen zu mildern, in dieser Metapher will ich ungern bleiben. Die Modernisierung der Verwaltung gehen wir in dieser Legislaturperiode verstärkt an. Wir haben dafür ein neues Leitbild formuliert. Bei der Union hieß es: der schlanke Staat. Bei uns heißt es: der aktivierende Staat. Nicht immer muss dabei ein Personalabbau das Modernisierungsziel sein. Der kann an einer Stelle sinnvoll sein; an anderer Stelle kann es sogar richtig sein, den Personaleinsatz zu verstärken.

SZ: Gehört auch ein aktivierter Beamtenapparat zu Ihrer Reform-Agenda? Schily: Wir haben in den Entgelt-Verhandlungen für Angestellte im öffentlichen Dienst Anfang des Jahres mit den Gewerkschaften vereinbart, dass wir bis 2005 das Tarifrecht modernisieren. Dies ist auch für Veränderungen des Beamtenrechts von entscheidender Bedeutung. Wir wollen mehr Transparenz schaffen, mehr Effizienz, mehr Leistungsgerechtigkeit, mehr Flexibilität. Da kommen wir allerdings in eine sehr stressige Diskussion, weil man auf der einen Seite sagt, wir müssen maßgeschneiderte Lösungen finden, auf der anderen Seite wir auch das Prinzip der Einheitlichkeit der Besoldungsstruktur nicht aufgeben wollen. Die Gewerkschaften sorgen sich sehr, dass alles auseinander driftet.

SZ: Was lässt Sie an der Einheitlichkeit festhalten? Schily: Ich möchte keinen Besoldungs-Wettbewerb nach unten haben. Wenn wir die Polizei in Thüringen schlechter bezahlen als in Bayern, dann können sich da Verwerfungen ergeben. In staatsnahen Kernbereichen müssen wir vorsichtig sein, aber ich bin für mehr Flexibilität. Wir müssen Verfestigungen lockern. Das wird eine Herkulesaufgabe.

SZ: Jetzt sind Sie also vom Zwerg zum Herkules gewachsen. Schily: (lacht) Das ist jetzt gemein.

SZ: Das Weihnachts- und Urlaubsgeld der Beamten wollen jetzt nicht nur die Länder je nach Haushaltslage kürzen - der Bund will das auch. Schily: Nein. Es gibt den einhelligen Wunsch der Länder, dass sie bei den Sonderzuwendungen je nach ihrer Lage entscheiden dürfen. Diesem Wunsch können wir uns nicht verschließen. Wenn den Ländern diese Möglichkeit geschaffen werden soll, dann wollen wir auch, dass der Bund sie hat. Das ist noch keine Vorentscheidung, ob der Bund oder welches Land davon Gebrauch macht. Da kann man sehr gespannt sein, wer das letztlich tut.

SZ: Sie wollen zunächst davon keinen Gebrauch machen? Schily: Der Zeitpunkt wäre nicht geeignet. Wir haben jetzt die Besoldungserhöhung in Anlehnung an die Tarifabschlüsse. Die sollte man nicht gleich durch Kürzungen zunichte machen.

SZ: Auch bei den Tarifbeschäftigten ist die einheitliche Bezahlung in Frage gestellt. Baden-Württemberg hat den Austritt aus der Tarifgemeinschaft angekündigt. Und zwar inoffiziell mit der Begründung, der Bund habe in den Tarifverhandlungen nicht genug Härte gezeigt. Schily: Der Abschluss ist ein sehr günstiger Abschluss. Aber zur Meinungsfreiheit, gehört leider auch das Recht, Unwahrheiten zu verbreiten. Das ist eine alberne Diskussion, die von Baden-Württemberg geführt wird. Denen steht frei, aus der Tarifgemeinschaft auszusteigen. Aber ich finde, Länder, Bund und Kommunen wären gut beraten, sich nicht auseinander dividieren zu lassen, sondern die schwierigen Fragen gemeinsam zu lösen. Ich sitze ja auch in der Gemeindefinanzierungs-Kommission. Wir müssen auf der Ausgabenseite und auf der Einnahmenseite zusammen bleiben. Die Länder werden mit der Riesenlast der Altersversorgung der Beamten noch in dramatische Situationen kommen. Deshalb müssen wir das alles langfristig sehen.

"Hundert Prozent wird es nicht geben"

SZ: Wie schaut die Zukunft des Berufsbeamtentums aus? Einst waren die Beamten eine aufklärerische Spitzentruppe, klein und fein. Entwickelt sich das Berufsbeamtentum wieder dahin zurück - Stärkung durch Schrumpfung? Schily: Wir haben den Kernbereich der Staatsaufgaben - dazu gehören die Polizei, die Richter, Bundeswehr. Aber ich bin immer der Meinung gewesen, dass zum Beispiel Lehrer keine Beamten sein müssen. Und warum muss ein Hochschulprofessor Beamter sein? Schulen und Hochschulen wären ohne Beamte besser organisiert. Eine Lehraufgabe steht dem Künstlerisch-Kreativen viel näher als dem Hoheitlichen.

SZ: Müsste man hierfür das Grundgesetz ändern? Dort sind ja die "hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums" garantiert. Schily: Ich werde mich nicht mit einem Thema abgeben, von dem ich glaube, dass ich dafür im Moment keine Mehrheit finde. Ich will jedenfalls nicht, dass nachher alle Strukturen genauso starr und unflexibel sind - nur mit dem Unterschied, dass die Beschäftigten als Angestellte das Streikrecht haben. Da käme ich ja vom Regen in die Traufe.

SZ: Die Lehrer werden sagen, es gehört zu den hergebrachten Grundsätzen, dass sie immer Beamte waren. Schily: Es ist doch nicht vom Gesetz vorgeschrieben, dass Lehrer auf ewig Beamte bleiben! Das wäre eine merkwürdige Auslegung der hergebrachten Grundsätze des Beamtentums. Nur, aus kurzfristigen, finanziellen Erwägungen wollen Länder manchmal lieber Beamte als Angestellte, weil zunächst keine Kosten für die Altersvorsorge anfallen. Auf lange Sicht ist das natürlich keineswegs so.

SZ: Eine Kommission der nordrhein-westfälischen Regierung plädiert für ein abgesenktes Grundgehalt der Beamten, bei bis zu 50Prozent Zulagen. Geht das? Schily: Nach der geltenden Verfassungslage ist das zweifelhaft, weil wir jetzt das Alimentationsprinzip haben. Deshalb sind auch die Vorschläge der Kommission, die durchaus interessant sind, kurzfristig nicht zu verwirklichen. Dazu ist auch die Bereitschaft der Länder noch nicht hinreichend entwickelt. Obwohl die Tatsache, dass die Länder bei der Flexibilisierung der Sonderzuwendungen jetzt übereinstimmen, für mich ein Signal ist. Sowohl SPD-regierte Länder wie auch die der Union wissen, was die Stunde geschlagen hat.

SZ: Wollen Sie beim Dienstrecht auch die sozialen Elemente streichen, zum Beispiel die Bezahlung nach Kinderzahl? Schily: Darüber sprechen wir in den Verhandlungen, aber nicht öffentlich. Es geht beispielsweise um die Übertragung von Führungsaufgaben auf Zeit, um Bandbreiten statt starre Festlegungen bei der Bezahlung, bis hin zu der Frage, ob es richtig ist, dass Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes von einem bestimmten Dienstalter an so gut wie unkündbar sind. Das muss alles geprüft werden, und zwar sehr kritisch.

SZ: Wenn Ihnen eine Fee ... Schily: ... die mit den drei Wünschen?

SZ: Sie haben nur einen. Schily: Also keine gute Fee.

SZ: Dann ohne Fee. Sie haben zwei bedeutsame Projekte: die Reform des Beamtenrechts und die des Zuwanderungsgesetzes. Wenn sich sich entscheiden müssten: welches soll Erfolg haben? Schily: Auf eine solche Frage kann man nur antworten: Lieber reich und gesund als krank und arm. Beide Reformen sind außerordentlich wichtig und kompliziert. Unser Zuwanderungsgesetz ist modern und gut durchdacht, nur leider an einer Formalie im Bundesrat gescheitert. Nun haben wir einen neuen Anlauf genommen.

SZ: Die Union könnte das Gesetz mit ihrer Bundesratsmehrheit diesmal endgültig zu Fall bringen. Wie viele Chancen geben Sie der Reform noch? Schily: Es wird nicht einfach, die Interessen im Vermittlungsausschuss auf einen Nenner zu bringen. Aber wenn es die Bereitschaft zur Fristverkürzung gibt, könnte der Bundesrat noch am 23. Mai beraten. Ansonsten wird es schwierig. Wenn der Bundesrat imMai über das Gesetz berät, könnte der Vermittlungsausschuss im Juni tagen; es könnte eine Einigung geben. Aber die bayerische Regierung wird vor der Landtagswahl im September nicht gern verhandeln wollen.

"Hundert Prozent wird es nicht geben"

SZ: Bislang schaut es aber gar nicht nach Einigung aus. Wie weit kann die Koalition der Union entgegenkommen? Schily: Nach allem, was ich höre, ist ein Kompromiss nicht ausgeschlossen. In der Koalition ist verabredet, dass die Substanz des Gesetzes nicht verändert werden soll. Ich will nicht am Ende ein Zuwanderungsverhinderungsgesetz haben. Dann können wir es gleich lassen.

SZ: Man sagt Ihnen nach, Sie wollten das Zuwanderungsgesetz auch bei kompletter Preisgabe seines bisherigen Inhalts - Hauptsache, Sie haben das erste Zuwanderungsgesetz in Deutschland geschaffen. Schily: Nein, ich will kein Zuwanderungsgesetz, koste es was es wolle. Ich will, was in diesem Gesetz steht: Zuwanderung ermöglichen, vernünftig begrenzen und steuern, unter Berücksichtigung der Aufnahmefähigkeit unseres Landes. Und ich will die Integration verbessern. Alle müssen sich jetzt fragen, was ist besser: ein Gesetz, das nicht alle Wunschträume erfüllt oder der jetzige ungeregelte Zustand? Ich glaube an die Kraft unserer Argumente. Und bin optimistisch, dass die Unionsbedenken ausgeräumt werden können.

SZ: Woher kommt der Optimismus? Schily: Wenn ich nicht Optimist wäre, sollte ich die Politik verlassen. Vom Alter her wäre das angemessen, aber da ich ein unverbesserlicher Optimist bin, meine ich, mit der notwendigen Geduld alle überzeugen zu können, dass wir mit diesem Gesetz einen großen Schritt machen. SZ: Richtet sich Ihr Rat, nicht an allen Wunschträumen festzuhalten, nur an die Union oder auch an die Grünen? Schily: Der richtet sich an die SPD, an die Union, an mich, an die Grünen, die FDP. Wir werden 100 Prozent nicht erreichen. Das ist ganz klar.

SZ: Wären Sie bereit, auf den Unionsvorschlag einzugehen, nur ein Integrationsgesetz zu machen, wenn es über Zuwanderung keine Einigung gibt? Schily: Nein, ich werde das Gesetz nicht aufspalten lassen. Auf solche Lockvögel falle ich nicht herein.

SZ: Haben Sie noch Zuwanderungsverbündete in der Union, so wie einst Saarlands Ministerpräsident Peter Müller? Schily: Die Union kann im Bundesrat nicht allein agieren. Sie hat eine ganze Reihe von Koalitionsregierungen, in Niedersachen etwa und in Baden-Württemberg. Die FDP hat einen Gesetzentwurf vorgelegt, der dem unseren fast wie ein Ei dem anderen gleicht.

SZ: Also niemanden in der Union? Schily: Wir bekommen Unterstützung aus allen Richtungen. Nehmen Sie die Härtefallregelung für Ausländer. Die ist übrigens auf Drängen von Ministerpräsident Müller in das Gesetz aufgenommen worden. Die finden auch CDU-Politiker gut. Mir sagen CDU-Landtagsabgeordnete, rigorose Gesetze seien schön und gut. Aber da gäbe es diesen Handwerker, der habe einen Angestellten, den Asylbewerber Soundso und der sei ein guter Mann und müsse bleiben. Und der CDU-Bürgermeister von Ichweißnichtwo sagt, diese arme Familie aus seinem Ort dürfe nicht abgeschoben werden. Dafür brauchen wir die Härtefallregelung.

SZ: Die Union sagt, Deutschland brauche in Zeiten hoher Arbeitslosigkeit keine Zuwanderung im großen Stil. Schily: Auch hier irrt die Union. Der Versuch von Herrn Stoiber, Arbeitslose gegen Zuwanderer auszuspielen, geht völlig ins Leere. Wir haben ein Regelwerk geschaffen, bei dem der inländische Arbeitslose ausnahmslos den Vorrang vor Zuwanderern haben.

SZ: Wie kommt es, Herr Minister, dass Sie, der Sie in Deutschland den Reformzug mit dem Zuwanderungsgesetz anführen, in bei den Versuchen einer gemeinsamen europäischen Flüchtlings- und Zuwanderungspolitik der Bremser sind? Schily: Meine Haltung in der EU entspricht dem, was ich für Deutschland für richtig halte. Es geht mir um die konkrete Ausgestaltung der Schutzgewährung. Ich werde meine Hand nicht für europäische Regelungen reichen, die sich nur zum Nachteil von Deutschland auswirken würden. In Brüssel wird über einige Maßnahmen geredet, die mehr Menschen dazu ermuntern würden, in die EU und nach Deutschland zu kommen. Nicht, weil sie verfolgt sind und Schutz brauchen. Sondern weil sie die sozialen Sicherungssysteme in Anspruch nehmen möchten. Im übrigen stehe ich mit meinen Einwänden in Brüssel nicht allein.

SZ: Nun ist aber jahrelang in Deutschland behauptet worden, unser Asylrecht biete zu viel Schutz und sei deshalb in der Gemeinschaft inakzeptabel. Jetzt fordert die EU-Kommission von uns wieder mehr Schutz - und Sie sagen Nein. Schily: Sie bringen die Dinge durcheinander. Wir haben bessere Sozialleistungen als die anderen Länder. Schauen Sie mal nach Griechenland, Portugal, Spanien oder auch nach Frankreich. Diese Länder sollen uns doch nicht vorschreiben können, wie wir uns verhalten!

SZ: Wir sind die Stärkeren: Das ist kein sehr partnerschaftliches Reden. Schily: Europa ist nicht praktizierte Selbstverleugnung. Wir wollen ein faires Regelwerk, das Deutschland nicht benachteiligt. An Europafreundlichkeit wird mich, Europas dienstältesten Innenminister, niemand übertreffen.

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