Interview mit Oskar Lafontaine:"Koch sagt alles, nur nicht die Wahrheit"

Der Parteichef der Linken, Oskar Lafontaine, über den Wahlkampf von Hessens Ministerpräsident Roland Koch, die Forderungen der Linken an die hessische SPD und mit welchem Thema seine Partei jetzt auftrumpfen will.

Christoph Schäfer

sueddeutsche.de: Herr Lafontaine, in einer Woche wird in Hessen gewählt. Kommt die Linke in die Regierung, in die Opposition oder gar nicht erst in den Landtag?

Interview mit Oskar Lafontaine

Oskar Lafontaine ist Parteichef und Fraktionsvorsitzender der Linken.

(Foto: Foto: ddp)

Oskar Lafontaine: Letzteres ist unwahrscheinlich, weil selbst Umfrageinstitute, die uns immer zu niedrig einschätzen, die Linke jetzt drin sehen. Ob wir in die Regierung kommen oder in die Opposition, das hängt von den politischen Angeboten ab. Die Linke ist zu jeder Form der Zusammenarbeit bereit, wenn folgende Forderungen erfüllt werden: Längeres gemeinsames Lernen in den Schulen, ein gebührenfreies Studium, ein Stopp des Personalabbaus im Öffentlichen Dienst und eine schrittweise Rückübertragung der Energieversorger auf die Städte und Gemeinden. Darüber hinaus müssen wir eine Vereinbarung erreichen, dass der Anlagebetrug bei der Riester-Rente aufgehoben und Hartz IV abgeschafft wird.

sueddeutsche.de: Selbst wenn Sie Ihre landespolitischen Forderungen bei der hessischen SPD durchsetzen könnten: Riester-Rente und Hartz IV sind Bundesgesetze, die können Sie durch einen Koalitionsvertrag auf Länderebene nicht ändern.

Lafontaine: Da ich lange Jahre eine Landesregierung geführt habe, kann ich sagen, dass ich zusammen mit anderen Ministerpräsidenten die Bundesgesetzgebung erheblich mitbeeinflusst habe.

sueddeutsche.de: Glauben Sie, dass sich die hessische SPD auf Ihre landespolitischen Forderungen einlassen wird?

Lafontaine: Das ist nicht unser Problem. Die SPD in Hessen will das Amt des Ministerpräsidenten besetzen - und ohne uns kann sie das nach den derzeitigen Prognosen nicht. Wenn sie gleichzeitig erklärt, sie will unter keinen Umständen mit uns zusammenarbeiten, gibt sie Roland Koch eine Regierungsgarantie und will eine Große Koalition wie in Berlin.

sueddeutsche.de: Ist der Linke-Spitzenkandidat Willi van Ooyen Ihre Wunschbesetzung für die hessische Landtagswahl?

Lafontaine: Willi van Ooyen hat bei den Menschen, die sich jahrzehntelang gegen Krieg und Aufrüstung eingesetzt haben, ein Ansehen wie kein anderer. Insofern sind wir froh, dass er bereit war, die Spitzenkandidatur zu übernehmen.

"Koch sagt alles, nur nicht die Wahrheit"

sueddeutsche.de: Willi van Ooyen ist nicht Mitglied Ihrer Partei, zudem bezeichnet er sich selbst als Kommunist. Ein Traumkandidat?

Interview mit Oskar Lafontaine: Wahlkämpfer Lafontaine bei einem Auftritt in Hessen.

Wahlkämpfer Lafontaine bei einem Auftritt in Hessen.

(Foto: Foto: ddp)

Lafontaine: Ich kenne Willi van Ooyen von den Friedensbewegungen. Ich kenne seine Auffassungen zur Wirtschafts-, Sozial- und Steuerpolitik. Er vertritt unser Programm. Im Übrigen bezeichnet er sich nicht als Kommunist sondern als Marxist.

sueddeutsche.de: Wie finden Sie es, dass er nicht Mitglied Ihrer Partei ist?

Lafontaine: Die Linke ist toleranter als andere Parteien. Auch bei der vergangenen Bundestagswahl hatten wir Kandidaten auf der Liste ohne Parteibuch.

sueddeutsche.de: Hat Hessens Ministerpräsident Roland Koch Recht, wenn er die Mitglieder der Hessischen Linken als "stinknormale Kommunisten" bezeichnet?

Lafontaine: Koch ist ein Wahlkämpfer, der alles sagt, nur nicht die Wahrheit. Er weiß, dass die Linke in Hessen eine bunte Truppe ist, in der auch viele alte Sozialdemokraten und gestandene Gewerkschafter mitwirken.

sueddeutsche.de: Roland Koch hat im Wahlkampf behauptet: "Wir haben zu viele kriminelle junge Ausländer." Wie stehen Sie zu seinen Äußerungen?

Lafontaine: Die Statistik kennt jeder. Die entscheidende Frage ist doch, was Koch damit bezwecken möchte. Er will gegen Ausländer hetzen und macht sich dadurch verdächtig, dass er schweigt, wenn rechte Gruppen Ausländer zusammenschlagen. Er ist mit seinem Versuch gescheitert, alle Ausländer zu kriminalisieren - und stößt auf Widerspruch quer durch alle gesellschaftlichen Schichten.

sueddeutsche.de: Halten Sie Roland Koch für ausländerfeindlich?

Lafontaine: Ich halte ihn für verantwortungslos. Im Übrigen ist er in seine eigene Grube gefallen: In keinem Land ist die Jugendkriminalität so gestiegen wie in Hessen.

"Koch sagt alles, nur nicht die Wahrheit"

sueddeutsche.de: SPD-Fraktionschef Peter Struck glaubt, "dass Roland Koch ja eigentlich von Herzen froh war, dass dieser schreckliche Vorfall in München in der U-Bahn passiert ist". Glauben Sie das auch?

Lafontaine: Koch macht auf jeden Fall nicht den Eindruck, als ob er sehr betrübt darüber gewesen sei.

sueddeutsche.de: Warnschussarrest, Erziehungscamps, raschere Ausweisung ausländischer Täter - gibt es unter den Forderungen der CDU auch nur eine, die Sie mittragen würden?

Lafontaine: Alles, was vorgeschlagen wurde, ist untauglich. Wir brauchen keine Sicherheitskräfte am Hindukusch, wir brauchen sie auf deutschen Bahnhöfen und in deutschen U-Bahnen. Nur so kann man die alten Menschen vor Gewalttaten schützen.

sueddeutsche.de: Bei der Klausurtagung der Linken haben Sie Ihre Partei Anfang der Woche zu einem noch schärferen Kurs in der Sozialpolitik aufgerufen. Glauben Sie, dass Sie die Linke auf Bundesebene so koalitionsfähig machen können?

Lafontaine: Wir wollen nicht in erster Linie koalitionsfähig werden, wir wollen die deutsche Politik verändern. Das haben wir im letzten Jahr nach allgemeiner Beobachtung getan. Uns genügt ein bisschen Korrektur beim Arbeitslosengeld, bei der Zwangsverrentung und beim Mindestlohn nicht.

sueddeutsche.de: Was meinen Sie konkret?

Lafontaine: Wir werden den Anlagebetrug bei der Riester-Rente zum zentralen Thema der nächsten Wochen machen. Es ist ein Skandal, dass die Bundesregierung am Donnerstag erklärt hat, sie wolle daran nichts ändern. Man hat Arbeitnehmer mit niedrigem Einkommen aufgefordert, die Riester-Rente abzuschließen, damit sie im Alter eine höhere Rente haben. Und man hat sie betrogen - denn wenn sie ein niedriges Einkommen haben, zahlen sie ihre Beiträge umsonst.

sueddeutsche.de: Wie wollen Sie das ändern?

Lafontaine: Die Rentenpolitik der Union, von SPD, Grünen und FDP hat die Rentenformel total zerstört. Sie hat für Millionen Menschen Altersarmut programmiert, wie die OECD soeben wieder festgestellt hat. Wir wollen eine Rentenformel, die Altersarmut vermeidet. Dazu müssen die Dämpfungsfaktoren zurückgenommen werden. Wir brauchen eine Reform der Rentenreform.

"Koch sagt alles, nur nicht die Wahrheit"

sueddeutsche.de: Das bedeutet, dass die Sozialabgaben steigen und die Arbeitnehmer belastet werden.

Lafontaine: Was wir fordern, belastet die Arbeitnehmer nicht. Im Gegenteil: Derzeit sollen sie neben der gesetzlichen Rentenversicherung auch noch Beiträge in private Zusatzversicherungen stecken. An letzteren beteiligen sich die Arbeitgeber nicht, die müssen die Arbeitnehmer ganz allein zahlen. An höheren Abgaben an die gesetzliche Rentenversicherung müssten sich hingegen auch die Arbeitgeber beteiligen. Das wollen die Unternehmer nicht und daher macht es auch die Große Koalition nicht.

sueddeutsche.de: Die Linke fordert, den Spitzensteuersatz für Einkommen über zwei Millionen Euro im Jahr auf 65 Prozent zu erhöhen. Glauben Sie, dass dann noch irgendein Spitzenverdiener in Deutschland bleibt?

Lafontaine: Dann müssten die Großverdiener ja auch aus den Ländern abwandern, in denen es höhere Spitzensteuersätze gibt. Wir glauben, dass die Behauptung lächerlich ist, Manager würden auswandern, wenn sie nicht das Hundertfache eines Arbeitnehmers verdienen. In Japan erhalten die Toyota-Manager "nur" das Zwanzigfache eines Arbeitnehmergehaltes. In den Vorstandsetagen der deutschen Wirtschaft breiten sich hingegen Unmoral und Verantwortungslosigkeit aus.

sueddeutsche.de: In der öffentlichen Wahrnehmung haben die Sozialdemokraten beim Thema Mindestlöhne die Vorherrschaft übernommen. Wie wollen Sie das ändern?

Lafontaine: Das gilt nur für die Berichterstattung in den Medien. Die Bürger wissen, dass die Abgeordneten der SPD im Bundestag in namentlicher Abstimmung gegen den gesetzlichen Mindestlohn gestimmt haben. Außerdem ist die Unterschriftenkampagne der SPD auch deshalb ein Betrug, weil sie sich auf keine Höhe festgelegt haben. Die SPD könnte mit der Union einen Mindestlohn von vier Euro vereinbaren, dem stände die Kampagne nicht entgegen.

sueddeutsche.de: Die SPD ist unter Parteichef Kurt Beck bereits nach links gerückt. Können Sie mit der Politik Ihrer alten Partei gar nichts anfangen?

Lafontaine: Jede bescheidene Korrektur begrüßen wir. Aber Beck hat selbst erklärt, dass die SPD nicht nach links gerückt ist. Und wenn er selbst das so sieht, dann müssen wir es ihm erst gar nicht beweisen. Die Regierungspraxis der SPD steht für Mehrwertsteuer-Erhöhungen, Rentenkürzungen und dafür, dass sich Deutschland immer weiter in diesen mörderischen Krieg in Afghanistan verstrickt. Das bisschen Korrektur im sozialen Bereich ändert daran nichts.

Oskar Lafontaine ist Parteichef und Fraktionsvorsitzender der Linken. Der ehemalige SPD-Politiker war von 1985 bis 1998 Ministerpräsident des Saarlandes. 1995 löste er Rudolf Scharping als SPD-Vorsitzenden ab, 1998 übernahm er zusätzlich den Posten des Bundesfinanzministers. Im März 1999 legte Lafontaine überraschend seine Ämter nieder und zog sich vorübergehend ins Privatleben zurück.

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