Interview mit Kaukasus-Expertin:"Lösung nur mit UN-Mandat"

Russland fordert den Westen heraus: Der Einmarsch in Georgien ist mehr als eine Drohgebärde. Er könnte das Streichholz im Pulverfass Kaukasus werden, sagt die Politikwissenschaftlerin Barbara Christophe.

Interview: Varinia Bernau

Es ist ein komplizierter Konflikt, der im Kaukasus ausgebrochen ist. Und er ist noch komplizierter geworden mit dem Einmarsch russischer Truppen in Westgeorgien. Denn mit dem Vordringen auf georgisches Kerngebiet fordert Russland den Westen offen heraus - und riskiert letztlich auch, die Kontrolle über die Freischärler in Tschetschenien zu verlieren, so die Warnung der Politikwissenschaftlerin Barbara Christophe. Im Gespräch mit sueddeutsche.de erklärt sie, welche Rolle alte Machenschaften in der Krise spielen und wie eine Lösung aussehen könnte.

Interview mit Kaukasus-Expertin: Ein verwundeter Soldat in Südossetien

Ein verwundeter Soldat in Südossetien

(Foto: Foto: dpa)

sueddeutsche.de: Am Montag sind erstmals russische Bodentruppen in einen georgischen Militärstützpunkt im Westen des Landes eingerückt. Eskaliert der Konflikt im Kaukasus?

Barbara Christophe: Ich gebe zu, diese neue Entwicklung hätte ich nicht erwartet. Es geht Russland vermutlich darum, die militärischen Kapazitäten, die Georgien mit Hilfe der Amerikaner aufgebaut hat, dauerhaft zu zerstören. Man könnte das Manöver auch als Machtdemonstration deuten, mit der die russische Seite Georgien demütigen will. Dennoch: Das russische Vordringen in georgisches Kerngebiet ist riskant. Je weiter Russland vordringt, desto stärker zerschlägt es sich selbst zwei Ziele, die es maßgeblich verfolgt: Zum einen will es Georgien signalisieren, dass dem Land die verlässliche Unterstützung aus dem Westen fehlt. Wenn man die äußerst zögerlichen Reaktionen betrachtet, die nach der georgischen Militäroffensive aus dem Westen kamen, scheint diese Strategie aufgegangen zu sein. Mit einem Einmarsch in Georgien fordert Russland den Westen heraus und riskiert zudem, innerhalb Georgiens eine Solidarisierungswelle mit dem Präsidenten Saakaschwili auszulösen. Das kann nicht im russischen Interesse sein.

sueddeutsche.de: Und das zweite Ziel?

Christophe: Das ist eines, das sicherlich nicht so stark im Vordergrund steht: Es ist das innenpolitische Signal, dass sich die Hardliner-Fraktion der FSB-Leute im russischen Machtapparat durchgesetzt hat.

sueddeutsche.de: Russlands Ministerpräsident Wladimir Putin, ebenfalls ein Mann, der aus dem Apparat des russischen Geheimdienstes FSB kommt, hat sich in der Tat sehr martialisch gezeigt. Formell ist er als Ministerpräsident aber für Außenpolitik gar nicht zuständig. Welche Rolle spielt er in dem Konflikt?

Christophe: Die Auseinandersetzung im Kaukasus gibt Putin noch einmal Gelegenheit, seine Macht zu demonstrieren. Doch jenseits der personellen Frage steht Putin für die Leute aus dem FSB-Netzwerk, die übrigens von allen postsowjetischen Konflikten profitiert haben. In Südossetien sind die wichtigen Ministerien mit FSB-Leuten besetzt. Da geht es auch um persönliche Bereicherung bei Schmuggelgeschäften. Man würde sich also ins eigene Fleich schneiden, wenn man diese Möglichkeiten aufgibt. Deshalb haben bestimmte Kräfte in Russland so ein starkes Interesse an dem Status quo.

sueddeutsche.de: Aber was ist mit dem russischen Präsidenten Medwedjew? Er repräsentiert doch kaum eine andere Linie.

Christophe: Klar ist, dass Medwedjew nicht direkt aus dem FSB-Apparat kommt. In der Vergangenheit wurde ihm immer wieder unterstellt, dass er ein logisches Interesse daran haben müsste, sich von den FSB-Leuten loszusagen, schon um an eigener Statur zu gewinnen und nicht als Marionette Putins verspottet zu werden. Wie viel Opportunismus jedoch in sein Handeln hineinspielt, ist schwer einzuschätzen: Im Zweifelsfall könnte es für ihn natürlich einfacher sein, sich mit den FSB-Leuten einzulassen, um an Macht zu gewinnen.

sueddeutsche.de: Russlands Reaktion auf die Militäroffensive Georgiens in Südossetien wurde von politischen Beobachtern als unverhältnismäßig hart wahrgenommen.

Christophe: Russlands Signal war klar: Wir schrecken vor einer Militäroffensive Georgiens nicht zurück, da zucken wir nicht einmal mit der Wimper. Das hat sicher auch historische Tradition.

sueddeutsche.de: Um den Druck auf Georgien zu erhöhen, hat Russland auch sein Engagement in Abchasien, der zweiten abtrünnigen Provinz, verstärkt. Ist das nur eine weitere Drohgebärde?

Christophe: Abchasien ist für Georgien viel bedeutender. Weil es historisch wichtiger ist, weil Verkehrswege über das Gebiet führen, weil die Bevölkerungszusammensetzung eine andere ist. Zu Beginn der neunziger Jahre waren in der Provinz nur 18 Prozent Abchasier, etwa 40 Pozent Georgier, von denen viele im Zuge des äußerst brutalen Krieges nach Georgien geflüchtet sind und nun längst auch zu einem innenpolitischen Problem geworden sind, weil sie auf die Regierung Druck ausüben. Auf Abchasien zu verzichten, wäre für jede georgische Regierung Selbstmord. In Südossetien hingegen ist der Anteil an Osseten größer, der Krieg zu Beginn der neunziger Jahre wurde nicht so brutal geführt und die Perspektive auf innerethnische Kooperation ist hier eher denkbar. Südossetien ist für die georgische Führung so etwas wie der Testfall. Damit signalisiert die Regierung: Was wir hier nicht durchgehen lassen, braucht Abchasien gar nicht erst zu wagen.

sueddeutsche.de: Gibt es auch Parallelen zu dem Konflikt in Tschetschenien?

Christophe: Zunächst gibt es Unterschiede: Tschetschenien ist anders als Georgien integraler Bestandteil der Russischen Förderation, deshalb ist das effektive Vordringen in das dortige Gebiet für Russland viel virulenter als im Fall Georgiens. Russland hat keinerlei Interesse daran, über Georgien zu herrschen. Das wäre viel zu teuer, das Land ist kaputt.

sueddeutsche.de: Aber welche Parallelen gibt es zu Tschetschenien?

Christophe: Die freiwilligen Kämpfer im Nordkaukasus, die bereitstehen, um ihre Brüdervölker zu unterstützen. Das könnte etwa ein Punkt sein, den die russische Führung nicht in der Hand hat: Einerseits kann man diese Freischärler natürlich gegen Georgien benutzen. Aber wenn man sie einmal von der Kette lässt, gibt man die Kontrolle über sie ab. Und das sind Leute, die auch in Tschetschenien Kampferfahrung gesammelt haben. Das ist das Problem, das Russland hat. Auch deshalb kann es militärisch nicht zu weit gehen. Und jeder Konflikt im Südkaukasus hat Strahlkraft auf den Nordkaukasus.

sueddeutsche.de: Welche Lösungsansätze sehen Sie im Konflikt um Südossetien?

Christophe: Den Konflikt kann man wohl nur lösen, wenn man es schafft, die Friedenstruppen unter UN-Mandat zu bringen. Bisher waren Russen, Osseten und Georgier als Peacekeeper in der Region stationiert. Diese haben aber überhaupt nicht das Profil einer Peacekeeping-Mission. Die Friedenshüter haben sich bislang stets untereinander beschossen und sich um verschiedene Schmuggelgeschäfte gekümmert. Deshalb muss man das Konfliktmanagement internationalisieren. Damit könnte man zudem georgischen Nationalisten ein wichtiges Argument ihrer Propaganda nehmen: Die beschwören nämlich, um sich innenpolitisch die Macht zu sichern, stets die russische Bedrohung als ein Schreckgespenst.

sueddeutsche.de: Wie realistisch ist solch ein internationales Konfliktmanagement?

Christophe: Das Problem ist in der Tat, dass dies eine Lsöung ist, an der keine Seite wirklich Interesse hat. Auch die USA zeigen bislang wenig politischen Willen, ein UN-Mandat gegen Russland durchzusetzen.

Barbara Christophe, Jahrgang 1964, ist habilitierte Politikwissenschaftlerin. Sie hat bei der Stiftung Friedens- und Konfliktforschung in Frankfurt am Main sowie an verschiedenen Universitäten, zuletzt an der Viadrina in Frankfurt/ Oder geforscht. Ihr Schwerpunkt liegt regional unter anderem auf dem Kaukasus und reicht inhaltlich von Fragen der Nationalismus- und Transformationsforschung bis zu Problemen der Friedens- und Konfliktforschung.

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