Judith Holofernes von "Wir sind Helden":"Was sich bei Sarrazin auftat, ist gruselig"

Judith Holofernes, Sängerin von "Wir sind Helden", über die Hauptstadt, die Integrations-Kontroverse - und ihr persönliches Dilemma als Kreuzberger Mutter eines bald schulpflichtigen Kindes.

Oliver Das Gupta

Judith Holfernes kam 1976 in Berlin zur Welt, wuchs in Freiburg auf und zog nach dem Abitur wieder in die Hauptstadt. Im Jahre 2000 gründete sie die Band Wir sind Helden, in der Holofernes textet, singt und Gitarre spielt. Seit 2002 ist die Gruppe einem breiten Publikum bekannt durch Hits wie Denkmal und Gekommen um zu bleiben. Die "Helden" engagieren sich auch politisch, was sich auch in ihrer Musik niederschlägt. Holofernes trägt wie ihr Mann, der Band-Schlagzeuger Pola Roy, einen Künstlernamen. Das Paar lebt mit seinen beiden Kindern im Berliner Stadtteil Kreuzberg.

'Wir sind Helden' in München, 2010 Judith Holofernes Foto: Alessandra Schellnegger

"Manchmal denke ich mir: 'Macht doch euren Scheiß alleine.'" - Sängerin Judith Holofernes bei einem Auftritt von Wir sind Helden in München.

(Foto: Alessandra Schellnegger)

SZ: Judith Holofernes, als die Mauer im November 1989 fiel, lebten Sie als Berliner Kind im fernen Breisgau. Haben Sie als 13-Jährige verstanden, was da gerade passiert?

Judith Holofernes: Na klar! Beim Mauerfall saß ich ständig vor dem Fernseher. Und trotz meines zarten Alters hatte ich damals das dringliche Gefühl, dass ich dort sein müsste. Es hat richtig weh getan, nicht in Berlin zu sein. Besonders spannend für mich wurde es dann aber ein paar Jahre später.

Wie das?

Als ich mit 16 allein nach Berlin bin und dort schon eigene Freunde hatte. Die haben damals genau dieses Ding miterlebt und gelebt, was so spannend war: Man hatte das Gefühl, als ob alles Starre aufgerissen wäre und überall Blumen wüchsen. Es war der Zauber der Zeit nach dem Mauerfall. Leider ist er inzwischen fast verflogen.

Seit vielen Jahren leben Sie selbst wieder hier in Berlin. Sind Sie zufrieden, wie sich die ehemals geteilte Stadt 20 Jahre nach der Einheit entwickelt hat?

Ja und nein. In Berlin hat das zwei extreme Seiten.

Welche?

Im Inneren fühlt sich das alles sehr vereinigt an. Damit meine ich nicht nur West und Ost, sondern auch Deutschland mit dem Rest der Welt. In Berlin mischt sich alles, gerade in Kreuzberg, wo wir wohnen, ist das sehr zu fühlen. Berlin ist im wahrsten Sinne des Wortes Weltstadt. Auch dafür liebe ich Berlin heiß und innig. Ich würde nirgendwo anders in Deutschland leben wollen.

Und die andere Seite?

Diese bunte Multikulti-Blase Berlin ist klein. Sie ist schon zu Ende, wenn du am falschen S-Bahnhof umsteigst.

Was meinen Sie genau?

Dass ich mit meinem Mann, mit seinen dunklen Haaren und dem Bart, nicht einfach einen Wochenendausflug ins Umland mache.

Wegen des in manchen Orten grassierenden Rechtsextremismus in Brandenburg?

Einige Leute aus unserem Umfeld haben schlechte Erfahrungen gemacht, die wir uns ersparen wollen. Wir können da nicht überall sorgenfrei hinfahren. Das empfinde ich als niederschmetternd.

Und trotzdem fühlen Sie sich wohl hier in Berlin, keine 30 Kilometer von diesen Orten entfernt?

Es mag kurios klingen: Als Berliner nimmt man das einfach so hin. Man kann die Zustände auch so wunderbar vergessen, wenn man in der Stadt rumsitzt und den flanierenden Touristen aus aller Welt zusieht. Das ist ein ganz perverser Kontrast.

Eigentlich Stoff für einen Song.

Es gibt einen Titel, der allerdings nicht auf die Platte gekommen ist: Lonely Planet Germany. Darin geht es genau um diese Problematik: Wie abgekapselt wir hier doch leben in Berlin.

Bring mich nach Hause - das aktuelle Album von Wir sind Helden - klingt auch ein bisschen so: Wir bleiben lieber in unserem Kiez. Warum klingen die Helden im Jahre 2010 so melancholisch und weniger politisch als früher?

Ehrlich gesagt: Ich habe mir beim Schreiben keine Gedanken gemacht, ob das Album politisch wird oder nicht. Ich habe einfach die Sachen gesagt, die ich jetzt zu sagen hatte. Auf der nächsten Platte werden das vielleicht wieder ganz andere sein. Ich merke es jetzt schon: Es zappelt wieder. Als ob ich ganz alberne Dada-Sachen schreiben müsste.

Atomkraft, Armut, Aufbegehren der Bürger: Gerade heute gibt es doch besonders viele und große Themen, die verarbeitet werden könnten. Wollen Sie keinen Soundtrack liefern für die Menschen, die auf die Straße gehen?

Wenn die Leute unbedingt politische Sachen von uns auf ihren Demos hören wollen, müssen sie eben unsere alten Platten auflegen (lacht). Oder vielleicht auf die nächste warten. Spaß beiseite: Es gibt ein Thema, das mich derzeit entflammt und was sich auf Bring mich nach Hause niedergeschlagen hat: Man könnte es mit großer Verzagtheit, Zahnlosigkeit und kollektiver Depression in der Gesellschaft umschreiben. Es scheint in Deutschland einfach nicht so viel Spaß zu machen, sich für irgendetwas zu engagieren.

Macht Engagement anderswo mehr Spaß?

U2 Sänger Afrika-Aktivist und Rockstar Bono, Bundeskanzlerin Angela Merkel

"Habt ihr sie noch alle?": Angefeindeter Afrika-Aktivist und Rockstar Bono, hier während eines Treffens mit Bundeskanzlerin Angela Merkel

(Foto: REUTERS)

Hoffentlich! Ich kann nur sagen, wie ich es erlebe: Ich finde das tatsächlich mühsam. Manchmal denke ich mir: 'Macht doch euren Scheiß alleine.'

Dabei wurden Sie anfangs in den Feuilletons gerade für klare Kante und die "Repolitisierung der Popmusik" gefeiert. Was hat sich verändert?

Seitdem wir auf der Bildfläche erschienen sind, habe ich das Gefühl, einen Suchscheinwerfer im Gesicht zu haben. Zwanghaft wird geguckt, ob man irgendwelche Fehler hat, nach dem Motto: Das ist ja zu schön um wahr zu sein. Nehmen Sie Bono: Der Sänger von U2 setzt sich seit Jahren für Afrika ein - für einige gerade in Deutschland scheint ihn das hassenswert zu machen. Da fragt man sich: Habt ihr sie noch alle?

Schelten Sie gerade die Medien?

Ich meine das generell: Gerade die Leute, die sich eigentlich eine gerechtere Welt wünschen, glauben sofort, dass an denen, die sich exponieren, irgendetwas faul sein muss. Dann sind sie wahnsinnig kleinlich und perfektionistisch.

Können Sie ein Beispiel nennen?

Wir gehen auf Tour und haben einen Tourbus dabei. Der Vorwurf lautet dann: Wie könnt ihr das machen, wo ihr doch angeblich für Umweltschutz seid! Dabei habe ich gar nichts zu verkaufen, ich habe nichts zu verstecken, nichts zu verteidigen. Diese Engstirnigkeit ist mir einfach zu blöd. Aber Humor ist, wenn man's trotzdem macht.

Sie haben sich für die Freiheit Tibets eingesetzt, für den Umweltschutz, Sie zeigten beim G-8-Gipfel Flagge: Engagement für lauter grüne Themen. Nun steht die Partei Die Grünen in Umfragen bei 24 Prozent. Das müsste Ihnen doch eigentlich Mut machen.

Tut es auch. Und das tröstet mich auch ein bisschen darüber hinweg, wie der Kapitalismus in seiner gegenwärtigen Form die Krise überstanden hat. Nachdem unser Finanzsystem wackelte, dachte ich: Jetzt scheißt der Affe auf den Ventilator und die Leute wachen endlich auf. Nach ein paar Monaten war zu sehen, wie unerschüttert diese Welt sich dann doch weiterwurstelt, das war schon ernüchternd.

Sie sagten unlängst in einem Interview, Sie würden keine Zeitung mehr lesen, das sei zu frustrierend.

Ich muss das ein wenig spezifizieren: Ich habe zwei kleine Kinder, da hat man als Mutter ohnehin weniger Zeit zum Lesen. Außerdem habe ich ein Problem damit, wie Journalismus dargeboten wird.

Sie haben selbst vor Ihrer Bandkarriere als Journalistin gearbeitet. Wohin zielt Ihre Kritik?

Ich habe das Gefühl, dass der Qualitätsjournalismus abnimmt. Stattdessen wird vereinfacht, es wird boulevardisiert und teilweise unterschwellig gehetzt. Eindeutig tendenziöse Dinge werden als Nachrichten getarnt.

Solche Erscheinungen sind in der Medienwelt kein Novum.

Neu ist aber, dass auch anspruchsvolle deutsche Medien solchen Kram abliefern, aber gepaart mit dem Nimbus von Unfehlbarkeit und Unantastbarkeit. Diese Selbstgefälligkeit ärgert mich maßlos. Dabei weiß ich nur zu gut, unter welchem Zeitdruck Beiträge entstehen und welche Mechanismen beim Spin wirken.

Also: Nur miese Medien in Deutschland?

Keineswegs: Gerade die Tageszeitungen sind lesenswert, auch weil sie oft Bericht und Meinung sauber trennen. Und es ist ja in den meisten Fällen richtig, dass Journalisten eine gewisse Distanz zu den Dingen haben, die sie beschreiben. Trotzdem fehlen mir oft die Empathie und positive Handlungsimpulse.

Hat die Presse mit dem nötigen Einfühlungsvermögen über die Causa Thilo Sarrazin berichtet?

Sarrazin Integrationsdebatte Offenbach

"Dunkle Reflexe": Pro-Sarrazin-Plakat an einer Brücke in Offenbach.

(Foto: REUTERS)

Sehr witzig! Das ist genau das, was ich gemeint habe: Manche Medien schaffen erst Reizthemen und berichten dann darüber.

Sowohl Bild als auch Spiegel druckten Auszüge aus dem umstrittenen Sarrazin-Buch Deutschland schafft sich ab. Das war der Beginn der Kontroverse.

Medien leben davon, das ist mir klar. Nur manchmal, wie im Fall Sarrazin, denken die Journalisten offenbar nicht an die Folgen, beispielsweise auf das Wahlverhalten - oder sie nehmen das in Kauf. Was sich da in den letzten Wochen für Gräben auftaten, was sich da an dunklen Reflexen offenbart hat: Das ist gruselig. Ich empfinde das als bedrohlich.

Ist es falsch, über Integration und Integrationsprobleme zu diskutieren?

Natürlich ist es richtig, darüber zu sprechen. Aber die Debatte ist so angeheizt, dass nicht mehr fruchtbar diskutiert wird. Thilo Sarrazin tut ja so, als ob vor ihm niemand darüber gesprochen hätte. Es war auch vorher kein Tabu, über Integrationsprobleme zu sprechen oder zu schreiben, es war nur weniger Polemik im Spiel. Für Eltern in Kreuzberg ist das Thema sowieso immer präsent, denn die Berliner Schulpolitik ist bisher von echter Integration weit entfernt.

Warum?

Der Anteil der Kinder mit Migrationshintergrund liegt bei unseren Kreuzberger Einzugsgebietsschulen bei 86 und 94 Prozent. Das ist ein Drama, und nicht zuletzt für diese Kinder, weil bei diesen Prozentzahlen eine Integration kaum möglich ist, vor allem sprachlich. Bei unserem Sohn kommt noch zusätzlich hinzu, dass er durch unseren Beruf sowieso herausstechen wird.

Sie wollen nicht, dass Ihr Kind in der Schule einer Minderheit angehört?

Es geht mir um den Grad. Bei einer Schule mit einem Anteil von 60 Prozent wäre ich sofort dabei. Das sind in Kreuzberg die Schulen, vor denen die Eltern Schlange stehen.

Warum schicken Sie Ihr Kind nicht gleich auf eine Schule in einem anderen Bezirk?

In Berlin gilt: Wo du lebst, musst du auch dein Kind einschulen. Das führt dazu, dass die meisten deutschen Eltern aus Kreuzberg wegziehen, sobald ihre Kinder ins schulfähige Alter kommen. Und dadurch wird das Problem weiter zementiert. Ich fände es schön, wenn mein Kind auf eine Schule gehen könnte, die den Stadtteil abbildet, in dem es lebt, aber hier ist das Bild völlig verrutscht. Über die Kinder hat man eine tolle Chance, wirklich mit den türkischen Eltern in Kontakt zu kommen. Da wäre viel Potential für tatsächliche Integration, aber das Gegenteil passiert.

Gibt es sonst Alternativen?

Die Gegenentwürfe überzeugen nicht: beispielsweise komplette Freundeskreise zusammen einzuschulen, und so die Prozentsätze zu verschieben. Aber ich weiß nicht, ob Kinder in solchen Inselklassen glücklich werden, und ob das wirklich der Integration zuträglich ist. Andere Eltern schicken ihre Kinder auf evangelische Schulen. Und nicht wenige, weil sie wissen, dass das Muslime nicht tun. Das ist im wahrsten Sinne des Wortes scheinheilig.

Am Beginn unseres Interviews sprachen Sie von der heilen Kreuzberger Multikulti-Blase. So heil ist diese Welt offenbar doch nicht. Gibt es ein Schlüsselproblem?

Schwer wiegt wohl, dass man bislang eher nebeneinander, als miteinander hier lebt. Viele denken, sie sind so toll, weil sie ihren türkischen Bäcker mit Vornamen kennen - aber im Grunde genommen geht das oft nicht viel weiter.

Also doch: Umzug nach Zehlendorf?

Ich will nicht weg aus Kreuzberg, darauf habe ich einfach keinen Bock.

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