Interview mit Guido Westerwelle:"Ypsilanti betrügt ihre Wähler mit der Linksfront"

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FDP-Chef Guido Westerwelle über die Kehrtwende der hessischen SPD-Spitzenkandidatin, einen möglichen Missbrauch des BND durch die frühere Bundesregierung und ein verlockendes Schröder-Angebot nach der Wahl 2005.

Thorsten Denkler und Bernd Oswald

sueddeutsche.de: Der Steuerskandal um den geschassten Postchef Zumwinkel erschüttert das Land. Sie selbst haben beim politischen Aschermittwoch in Passau an das "steuerrebellische Bewusstsein" der Bürger appelliert. Hat Herr Zumwinkel dieses Bewusstsein in Ihrem Sinne bewiesen?

FDP-Chef Guido Westerwelle: "Sind Sie der Meinung, dass Steuerhinterziehung wirklich schärfer bestraft werden sollte als zum Beispiel eine gefährliche Körperverletzung?" (Foto: Foto: dpa)

Guido Westerwelle: Ich sehe, dass Sie bei der Bemerkung selbstironisch lächeln. Sie wissen, dass ich ein steuerrebellisches Bewusstsein angemahnt habe vor dem Hintergrund der größten Steuer- und Abgabenerhöhung in der Geschichte der Bundesrepublik durch die schwarz-rote Regierung. Tatsache ist, dass die Bundesregierung damit einer durchschnittlichen vierköpfigen Familie 1600 Euro pro Jahr mehr abnimmt.

sueddeutsche.de: Die Regierung verweist auf die desaströse Finanzlage. War der Schritt, mehr Steuern und Abgaben zu verlangen, nicht notwendig?

Westerwelle: Nein. Denn er setzt zwei Grundregeln jeder erfolgreichen sozialen Marktwirtschaft außer Kraft: Leistung muss sich lohnen - und: wer arbeitet, muss mehr haben als der, der nicht arbeitet. Der Aufschwung geht zu 70 bis 80 Prozent an unserer Bevölkerung vorbei, weil die Regierung den Bürgern durch diese maßlose Steuer- und Abgabenerhöhung die Aufschwungdividende abgenommen hat.

sueddeutsche.de: Was macht einen Bürger mit steuerrebellischem Bewusstsein aus?

Westerwelle: Zum Beispiel, dass man Steuererhöhungsparteien nicht mehr wählt. Zum Beispiel, dass man den Unfug nicht glaubt, der Staat habe kein Geld. Der Staat hat Geld wie Heu. Er verplempert es nur zu gerne in Bereichen, wo er nichts zu suchen hat. Zum Beispiel, dass man auf die Mehrwertsteuerlüge der Sozialdemokraten nicht mit Schweigen, sondern mit Protest reagiert.

sueddeutsche.de: Würden niedrigere Steuern eine Kapitalflucht nach der Zumwinkel-Methode verhindern?

Westerwelle: Wir wollen keine Steuerstrukturreform für millionenschwere Steuerhinterzieher, sondern eine Steuerstrukturreform zugunsten der Millionen Bürger, die hart arbeiten, aber immer weniger übrig haben. Ein niedrigeres, einfacheres und gerechteres Steuersystem wäre insgesamt ein großer Beitrag zu mehr Steuerehrlichkeit. Dies ist eines der herausragenden Projekte, die wir dringend anpacken müssen. Aber das ändert natürlich nichts an der Tatsache, dass Menschen, die Recht und Gesetz ignorieren, ihrer moralischen Verpflichtung nicht gerecht werden. Und dass sie, wenn sie Gesetze brechen, sich natürlich auch in einem Strafverfahren verantworten müssen.

sueddeutsche.de: Sie wenden sich gegen höhere Strafen für Steuersünder, wie SPD-Chef Beck sie fordert. Warum?

Westerwelle: Sind Sie der Meinung, dass Steuerhinterziehung wirklich schärfer bestraft werden sollte als zum Beispiel eine gefährliche Körperverletzung? Also wenn einer einem anderen vorsätzlich ein Auge aussticht oder die Hand abschlägt?

sueddeutsche.de: Die Politik ist immer schnell dabei, schärfere Strafen zu fordern, wenn es etwa wie jüngst um Jugendstraftäter geht.

Westerwelle: Das können Sie gerne von allen anderen Parteien behaupten - nicht aber von der FDP. Wir haben immer zu Maß und Mitte geraten, auch als sich andere rauf und runter abgearbeitet haben an den immer spektakuläreren und radikaleren Forderungen im hessischen Wahlkampf.

sueddeutsche.de: Also, warum keine höheren Strafen für Steuersünder?

Westerwelle: Die deutsche Steuergewerkschaft hat vorgerechnet, dass wir in der Zollfahndung 6000 Beamte haben, aber nur 2400 Beamte in der Steuerfahndung. Es ist genau wie bei der Jugendkriminalität: Wir haben kein Gesetzesdefizit, wir haben ein Vollzugsdefizit. Tausend neue Gesetze werden nicht helfen, wenn es an Polizisten und Steuerfahndern fehlt. Das Entscheidende ist der Fahndungsdruck: Jeder, der sich hier etwas zuschulden kommen lässt, muss wissen: Die Wahrscheinlichkeit, dass er auffliegt, ist riesengroß.

sueddeutsche.de: SPD-Chef Beck sieht das anders - und der wollte auch keine höheren Strafen für jugendliche Delinquenten wie der hessische Landeschef Roland Koch.

Westerwille verspricht eine harte Linie gegen die Linke: "Jede Verharmlosung der Linkspartei bekämpfe ich, weil ich als Liberaler immer gegen links- oder rechtsextremes Gedankengut kämpfen werde." (Foto: Foto: ddp)

Westerwelle: Wenn Herr Beck heute den Koch beim Thema Steuerkriminalität macht, wird das uns Liberale nicht vom Kurs der Rechtsstaatlichkeit abbringen. Der Unterschied ist: Gegen die geradezu unvernünftigen Beiträge zur Debatte um Jugendkriminalität von Herrn Koch gab es noch rechtsstaatliche Kritik von links. Wenn aber dieselbe Debatte gegen Steuerkriminalität genauso unvernünftig geführt wird, dann wird sie von links auch noch befeuert. Es geht ja gegen den vermeintlichen Klassenfeind.

sueddeutsche.de: Welche Fragen bleiben für Sie offen nach der Sitzung des Parlamentarischen Kontrollgremiums (PKG) vom Mittwoch?

Westerwelle: Dass Steuerkriminalität geahndet werden muss, ist klar. Ich bin indes der Ansicht, dass auch bestraft gehört, wer Daten stiehlt. Wenn der SPD-Vorsitzende sagt: "Historiker werden in der Rückschau vermutlich feststellen, dass die Initialzündung dazu die CDU-Schwarzgeldaffäre war" - dann frage ich: Was will Herr Beck damit andeuten? Wurde etwa der BND unter der letzten Bundesregierung beauftragt, Hinweise zur Spendenaffäre der CDU in Liechtenstein zu suchen?

Unser Vertreter im PKG, Max Stadler, sieht in mehreren Bereichen noch erheblichen Klärungsbedarf. Deshalb hat das Gremium eine neue Sitzung anberaumt. Und ich kritisiere ausdrücklich, dass die Bundesregierung ihrer aktiven Informationspflicht gegenüber diesem parlamentarischen Aufsichtsgremium nicht von sich aus und rechtzeitig nachgekommen ist.

sueddeutsche.de: Wie bewerten Sie, dass einige die Kritik an den BND-Methoden als Klientel-Politik verstehen? Die FDP gilt ja nach wie vor als Partei der Besserverdienenden.

Westerwelle: Als Rechtsstaatspartei muss man offensichtlich auch sehr dumme Vorwürfe ertragen.

sueddeutsche.de: Am Sonntag ist die Bürgerschaftswahl in Hamburg. Auch dort deutet sich an, dass die Mehrheitsbildung ähnlich kompliziert werden könnte wie in Hessen. In beiden Ländern schließt die FDP andere Bündnisse als mit der CDU kategorisch aus. Warum so starrsinnig?

Westerwelle: In Hamburg werden sehr viele Wähler zur Wahl gehen, weil sie hessische Verhältnisse verhindern wollen. Die CDU steht derzeit bei 42 Prozent, die FDP bei fünf. Würden beide Parteien nur um einen Prozentpunkt zulegen, haben wir in Hamburg eine schwarz-gelbe Mehrheit.

sueddeutsche.de: Das klingt sehr mathematisch.

Westerwelle: Koalitionen sind keine mathematischen Additionsaufgaben, sondern eine Frage inhaltlicher Übereinstimmungen. Man muss für eine Koalition schon eine einigermaßen miteinander vereinbare Vorstellung von der Zukunft unseres Landes haben.

sueddeutsche.de: Die gibt es - zumindest in Teilen - auch mit der SPD, wie die 15-jährige sozialliberale Koalition in Rheinland-Pfalz gezeigt hat. Was spricht jetzt dagegen, in Hessen oder in Hamburg eine Koalition mit der SPD zu wagen?

Westerwelle: Dass es inhaltlich nicht zusammenpasst. In Hessen wollen SPD und Grüne den Rhein-Main-Flughafen behindern, während wir ihn als Herzstück einer modernen Infrastruktur für Hessen und ganz Deutschland ausbauen wollen. Die Sozialdemokraten und die Grünen wollen ein neues Bildungssystem, das auf die Einheitsschule setzt - wir wollen ein gegliedertes Schulsystem, das unterschiedlichen Talenten maßgeschneiderte Angebote macht.

Wir halten an einer rationalen Energiepolitik fest, zu der die erneuerbaren Energien gehören, aber ausdrücklich auch die sichere und CO2-freie Kerntechnik. SPD und Grüne wollen Biblis abschalten. In Hessen ist die SPD so weit nach links gerückt, dass ihr eigener Ex-Vize und Ex-Wirtschaftsminister Wolfgang Clement vor ihr warnen muss. In Hamburg ist das, wenn ich nur an die Verkehrspolitik denke, ganz ähnlich.

sueddeutsche.de: Ist nicht Kompromissbereitschaft die Voraussaussetzung für jede Koalition?

Westerwelle: Unterm Strich geht es darum, nach einer Wahl das zu tun, was man vor einer Wahl versprochen hat. Ich weiß, dass das in einigen intellektuellen Kreisen mit Naserümpfen kommentiert wird. Ich merke aber, dass die Bürger seit Jahren die FDP von Wahl zu Wahl stärker machen, weil wir klar sind - beim Programm, bei den Personen und bei Koalitionsaussagen.

sueddeutsche.de: Als Oppositionspartei lässt sich das leicht machen. 2005 hatte die FDP im Bund schon die Chance mitzuregieren, und jetzt schlagen Sie ein solches Angebot erneut aus. Wie lange geht das gut?

Westerwelle: Natürlich ist es verlockend, wenn uns wie 2005 Herr Schröder in einem bemerkenswerten Fernsehauftritt am Wahlabend vollmundige Angebote macht. Und natürlich wollen wir auch regieren, weil eine liberale Kraft in einer Bundesregierung gut für unser Land ist. Aber wir haben zur Kenntnis zu nehmen, dass wir andere Vorstellungen haben als Rot-Grün. Ihrer Frage liegt im Übrigen die Annahme zugrunde, dass in einem Fünf-Parteien-System klare bürgerliche Mehrheiten nicht mehr möglich seien. Wir haben eine vollkommen andere Einschätzung, die in Niedersachsen belegt wurde.

sueddeutsche.de: Hessen belegt, dass es schwieriger wird.

Westerwelle: Dass es dort keine schwarz-gelbe Mehrheit gegeben hat, liegt vor allen Dingen am Desaster der Wahlkampfführung der CDU.

sueddeutsche.de: Müssen Sie sich nicht auf Koalitionen vorbereiten, die heute noch nicht auf Ihrem Wunschzettel stehen?

Westerwelle: Wir machen keinen Wahlkampf für Notlösungen, sondern für eine Politik, die für unser Land eine gute Zukunft und Wohlstand für alle ermöglicht. Und wir sehen - anders als Rot-Grün - in wirtschaftlicher Vernunft keinen Gegensatz zu sozialer Gerechtigkeit, sondern deren entscheidende Voraussetzung.

sueddeutsche.de: Wäre es nicht wenigstens strategisch geschickter, offener in den nächsten Bundestagswahlkampf zu ziehen?

Westerwelle: Sie beziehen sich auf Taktik. Mit Strategie hat das nichts zu tun. Die Strategie der FDP heißt, dass wir durch klare Verhältnisse eine Politik der Leistungsbereitschaft, der Weltoffenheit und der Toleranz für Deutschland ermöglichen wollen - dass wir den Linksruck verhindern müssen. Deutschland soll von der Mitte aus mit bürgerlichen Mehrheiten regiert werden.

sueddeutsche.de: Werden Sie also definitiv ausschließen, dass es 2009 eine Koalition mit SPD und Grünen geben wird?

Westerwelle: Die Koalitionsfrage auf Bundesebene werden wir beantworten, wenn die Bundestagswahl ansteht.

sueddeutsche.de: Warum fürchten Sie sich so vor der Linken?

Westerwelle: Ich fürchte mich nicht vor ihr. Aber die Linkspartei vertritt ein Gedankengut der Unfreiheit. Sie verbündet sich mit der DKP, die in wesentlichen Teilen bis heute den Mauerbau rechtfertigt und sich die Stasi zurückwünscht.

sueddeutsche.de: Christel Wegner wurde aus der niedersächsischen Linken-Fraktion ausgeschlossen - einstimmig.

Westerwelle: Wenn Sie das beruhigt ... Mich beruhigt das in gar keiner Weise. Am kommenden Sonntag werden zehn weitere DKP-Mitglieder auf den Listen der Hamburger Linkspartei zur Wahl stehen. Jede Verharmlosung der Linkspartei bekämpfe ich, weil ich als Liberaler immer gegen links- oder rechtsextremes Gedankengut kämpfen werde. Dass manche 18 Jahre nach der Wende so tun, als wäre die Mauer ein nettes Kulturdenkmal gewesen und nicht Teil einer totalitären Unterdrückungsmaschine, halte ich für eine erschreckende Entwicklung.

sueddeutsche.de: Sie überbieten sich in Ihren Attacken auf die Linkspartei geradezu mit CSU-Chef Erwin Huber. Geholfen hat es bisher nicht.

Westerwelle: Ich darf entgegenhalten, dass der Erfolg der FDP in den vergangenen Jahren herausragend ist. Bei den letzten beiden Landtagswahlen hatten wir weit vor der Linkspartei die besten Wahlergebnisse seit etwa 40 Jahren. Sie werden anerkennen müssen, dass wir als Partei offensichtlich etwas richtig machen.

sueddeutsche.de: Die FDP profitiert von der Schwäche der Union.

Westerwelle: Tatsache ist, dass die CDU schon gigantische demoskopische Höhenflüge erlebt hat, und trotzdem hat am Ende die FDP erfolgreich abgeschnitten. Nicht einmal die Süddeutsche Zeitung kann bestreiten, und sie gibt sich Mühe in der Auseinandersetzung mit uns, dass die FDP an Substanz, an Anhängerschaft und bei Wahlen zunimmt. Das ist, was zählt.

sueddeutsche.de: Die Linkspartei legt auch zu.

Westerwelle: Das hängt wesentlich mit dem totalen Chaos bei SPD und Grünen zusammen.

sueddeutsche.de: Dann glauben Sie auch, dass die Linkspartei stark geworden ist, weil die SPD nicht links genug ist.

Westerwelle: Nein, weil SPD und Grüne keinen Kurs mehr haben. Dann wirkt ein simples und unvernünftiges, aber klares Angebot à la Lafontaine auf den einen oder anderen verlockend, der auf solche Parolen steht.

sueddeutsche.de: Die Agenda 2010 der Regierung Schröder war ja ein klares Angebot. Aber es war ein Kurs, den offenbar Wähler links der Mitte nicht wollten.

Westerwelle: Darum werde ich nie verstehen, dass man sich von einer Reformpolitik gerade dann verabschiedet, wenn die ersten Früchte sichtbar werden. Ich teile auch hier nachdrücklich die Kritik Wolfgang Clements am Kurs der Sozialdemokraten.

sueddeutsche.de: Gibt der SPD-Zugewinn in Hessen dem Parteichef Kurt Beck nicht Recht? Er korrigiert Teile der Agenda.

Westerwelle: Der Linkskurs der SPD ist doch eher ein Unterstützungsprogramm für die Linkspartei. Wenn alle Parteien außer der FDP nach links gehen und von morgens bis abends verkünden, wie angeblich ungerecht dieses schreckliche System Bundesrepublik sei, wenn die anderen Parteien wieder die Spendierhosen anziehen und auf mehr Umverteilung setzen, dann darf man sich nicht wundern, wenn das einige glauben - und dann das radikale Original, die Linkspartei, bevorzugen.

sueddeutsche.de: In Hessen blockieren sich die Parteien gegenseitig. Es macht den Eindruck, dass lediglich persönliche Animositäten eine Koalition verhindern. Muss nicht irgendwann einer freiwillig den Hut nehmen, um das Patt zu brechen?

Westerwelle: Frau Ypsilanti hat die Katze aus dem Sack gelassen. Sie bereitet längst das Linksbündnis vor. So, wie die SPD bei der Mehrwertsteuer vor der Bundestagswahl gelogen hat, so betrügt sie jetzt ihre Wähler in Hessen mit der Linksfront.

sueddeutsche.de: Wer wird sich als Erstes bewegen müssen?

Westerwelle: Ich stelle nur fest: Die CDU ist stärkste Kraft, trotz ihrer Verluste. Und die FDP ist weit stärker geworden als die Grünen. Ich kann nicht beurteilen, ob der Erkenntnisprozess bei den Grünen nach der Wahl in Hamburg noch heranreift und sie merken, dass Rot-Grün in Hessen keinen Regierungsauftrag hat. Vielleicht werden sie ja dann das Gespräch mit uns und der CDU suchen, um eine Regierung der Mitte parlamentarisch zu unterstützen.

sueddeutsche.de: Sie plädieren also in Hessen für eine schwarz-gelbe Minderheitsregierung mit grüner Tolerierung?

Westerwelle: Das Schöne an Ihrem Beruf ist, dass Sie in extenso spekulieren und kommentieren können. Diese Arbeit möchte ich Ihnen nicht abnehmen.

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