Interview mit Gerhard Schröder:"Ich bin am Anfang fürchterlich verdroschen worden - sprachlich"

Der Bundeskanzler ist nicht der beste Redner vor dem Herrn - und findet, dass das auch für den Bundespräsidenten gilt. Anne Will sprach mit Gerhard Schröder über Meinen, Sagen, Hören und Verstehen.

Von Anne Will

SZaW: Herr Bundeskanzler, um mit dem Handwerkszeug anzufangen: Mögen Sie Ihre Stimme?

Anne Will, Moderatorin der Tagesthemen

Fragt nach: Anne Will, Moderatorin der Tagesthemen.

(Foto: Foto: AP)

Gerhard Schröder: Oh, das kann ich gar nicht beurteilen. Ich bin jedenfalls ganz zufrieden damit. Ich will keine andere haben.

SZaW: Aber wenn Sie sich selbst hören . . .

Schröder: . . . man kann schlecht bewerten, wie das wirkt, weil man, wenn man sich selber hört, nicht die Wahrnehmung hat, die andere haben. Manchmal kommt mir das so vor, als wenn da ein anderer redet.

SZaW: Was ist Ihre Lieblingsform der öffentlichen Rede, die Bundestagsrede, die Wahlkampfrede, das Interview?

Schröder: Ich hab' keine Lieblingsform. In jedem Fall ist das Beste, was ich tun kann, frei zu reden. Ich muss ja gelegentlich aufgeschriebene Reden halten, vor allem dann, wenn man das Thema nicht, wie es so schön heißt: drauf hat, dass das also wie von selber kommt. Ich muss auch gelegentlich aufgeschriebene Reden halten, weil Regierungserklärungen vorher den Fraktionen mitgeteilt werden, und man sich im Wesentlichen dran halten muss - nicht sklavisch, aber im Wesentlichen schon. In jedem Fall bevorzuge ich die freie Rede, weil man das Publikum unmittelbar sehen kann, Reaktionen spürt, und auch, welche Wirkungen das hat.

SZaW: Welche Rolle spielt das Reden in Ihrer Politikvermittlung?

Schröder: Es ist entscheidend. Sie können sich ja nicht vermitteln, wenn Sie nicht die Sprache benutzen. Sie müssen Menschen erreichen, Sie wollen Menschen erreichen. Das geht auch mit Bildern, Zeichen, Musik, aber vor allen Dingen, wenn es um Politik geht: mit Sprache.

SZaW: Aber Sie haben mal gesagt, Bild, BamS und Glotze seien das, was Sie zum Regieren brauchen. Das war eher die Entscheidung für eine symbolische Politik, die auf Bilder und auf in jedem Fall schlagzeilenorientierte Sätze setzt.

Schröder: Ich weiß nicht, ob ich das gesagt habe. Es wird ja gelegentlich auch viel hineingeheimnist in das, was man so sagt. Aber kann durchaus sein, ich will das gar nicht bestreiten. Natürlich geht es auch darum, in Bildern zu denken und sich in Bildern zu vermitteln. Ich meine jetzt nicht unbedingt die Person, sondern auch das, was man politisch will. Bilder sind wichtig, weil sie haften bleiben. Aber auf Sprache zu verzichten, das ginge nicht. Man muss, um den Vermittlungsprozess hinzubekommen, die Bilder erklären, jedenfalls soweit es sich um Politik handelt.

SZaW: Wie gefährlich sind einprägsame Sätze, zum Beispiel der der "ruhigen Hand"?

Schröder: Die können sehr gefährlich sein, weil sie missdeutbar sind. Was vermittelt werden sollte - und dies ist ein gutes Beispiel dafür - war: keine Hektik. Und keineswegs: nichts zu tun. Daraus ist, weil andere die Interpretationshoheit über den Satz gewonnen hatten, das Gegenteil dessen geworden, was ich deutlich machen wollte. Das kommt vor, weil Sie mit Ihrer Sprache ja den Vermittlungsprozess nicht alleine machen. Wenn dominante Töne hinzugefügt werden, kehrt sich das, was sie eigentlich wollen, ins Gegenteil. So war das hier in diesem Fall. Deswegen muss man mit einfacheren Formulierungen sehr pfleglich umgehen, um nicht zu sagen: vorsichtig. Jedenfalls war das etwas, wo ich hätte wissen müssen, dass es so ausgelegt werden kann - und auch bösartig ausgelegt werden würde.

SZaW: Man kann es nie wieder zurückholen.

Schröder: Man kann es nicht wieder zurückholen, das soll man auch nicht, weil das mit Sprache eben so ist.

SZaW: Was war denn Ihre bisher wichtigste Rede während Ihrer Kanzlerschaft?

Schröder: Ich glaube schon die Rede zur "Agenda 2010", weil dort zusammengefasst worden ist, was wir erstens gemacht hatten und zweitens machen wollen, um die sozialen Sicherungssysteme in Deutschland zukunftsfest zu machen. Das war sicherlich eine wichtige Rede. Ich glaube, auch das, was unmittelbar nach dem Angriff auf New York am 11.9. gesagt worden ist, war in gleicher Dimension wichtig. Es gibt nicht die wichtige Rede. Alles was zu Grundsatzfragen gesagt wird, ist gleichermaßen wichtig.

SZaW: Ich hätte Wetten abgegeben . . .

Schröder: Aber ich glaube schon, wenn man eine Rangfolge machen will, dann ist sicher die zur "Agenda 2010" die wichtigste.

SZaW: Genau, hätt' ich gewettet! Am 14. März 2003 haben Sie sie gehalten. Warum ist es im Rückblick nicht gelungen, dass die Menschen da Ihr Ziel verstanden hätten? Stattdessen erinnern sie sich an ein Sammelsurium technokratischer und ein bisschen nichtssagender Begriffe - wie "Agenda 2010", "Hartz I bis IV" . . .

"Ich bin am Anfang fürchterlich verdroschen worden – sprachlich"

Schröder: Ich glaube, dass der Begriff "Agenda 2010" verstanden worden ist, dass verstanden worden ist, dass wir was tun müssen, um im Jahre 2010 in Wohlstand leben zu können, die sozialen Sicherungssysteme funktionsgerecht zu halten. Das ist schon verstanden worden, übrigens nicht nur national, auch international. Insofern war dieser technokratisch daherkommende Begriff etwas, was Aufmerksamkeit erregt hat. Dass dann die Dinge verkürzt werden in der täglichen Diskussion, ist ja klar. Man sagt ja nicht: "Gesetz, um Recht und Ordnung auf dem Arbeitsmarkt zu erreichen", sondern man sagt dann "Hartz I, II, III, IV". Aber das sind Begriffsbildungen, die erstens nicht beabsichtigt sind, die sich gleichermaßen verselbstständigen, an denen man aber nicht viel ändern kann, weil man ja nicht alleine Interpret dessen ist, was man sagt, sondern viele daran beteiligt sind. Sie wissen das ja aus Ihrem Job ganz gut.

Gerhard Schröder

"Gelegentlich hilft es, dass man witzige Sachen einflicht"

(Foto: Foto: Reuters)

SZaW: Aber man kann natürlich auch einen Begriff setzen. Sie haben bei "Agenda 2010" überlegt, wie Sie die Rede überschreiben. Das war ja genau geplant.

Schröder: Ja, das war genau geplant. Ursprünglich waren andere Begriffe gedacht. Die erwiesen sich aber als immer mal wieder gebraucht in der politischen Sprache. Und eine Sache war dann interessant: Viele haben gewarnt, "Agenda 2010" sei zu technokratisch. Aber ich sage es noch einmal, es ist nicht nur national etwas damit verbunden worden, sondern international genauso. Ich bin in vielen Ländern der Welt - für mich sehr überraschend - auf die "Agenda 2010" angesprochen worden. Und man hat immer damit verbunden: Sozialreformen in Deutschland.

SZaW: Wer gefragt wird, wofür Willy Brandt stand, wird darauf kommen: "Mehr Demokratie wagen." Was ist Ihr Satz?

Schröder: Ich glaube, dass das bei Brandt nicht das Beherrschende war. Man würde eher auf die Ostpolitik kommen, für die er den Nobelpreis bekommen hat. Aber "mehr Demokratie wagen" in einer Gesellschaft, die ziemlich zu war, war ein wichtiger Satz, weil er Freiheitsversprechen enthielt. Und das Gleiche wird versucht, mit dem, was sich hinter "Agenda 2010" verbirgt, nämlich jenes Freiheitsversprechen neu zu beleben, neu zu definieren, das ja auch in der sozialen Sicherheit liegt. Man darf die sozialen Bezüge in einer Gesellschaft nicht als unfreiheitliche darstellen. Man muss wissen, dass für viele Menschen Sicherheit in diesem Sinn der Beginn wirklicher Freiheit ist.

SZaW: Fänden Sie es gut, wenn der Satz hängen bliebe: "Ich kann nur diese Politik weiterführen - und ich will nur diese Politik weiterführen"?

Schröder: Sicher, das sind so Dinge, die von innen kommen, die spontan kommen, die nicht vorher gedacht werden, aber die das Richtige beschreiben, nämlich dass man von dem, was man politisch tut, überzeugt sein muss.

SZaW: Man kann es auch anders deuten. Indem man sagt, dass Sie Politik nicht über Inhalte, sondern über politisches Personal definieren, in dem Fall: sich selbst.

Schröder: Na, es ist ja beides! Der Begriff "ich kann nur dies - und ich will nur dies" heißt: Ich will nur diesen Inhalt und keinen anderen. Aber natürlich sind Inhalte auch immer mit Personen verbunden. In einer Gesellschaft, die nicht nur, sondern auch von Bildern lebt, die aber ganz stark von Bildern lebt, geht das nicht anders. Die Personalisierung von Politik ist etwas, das ich für unaufhaltsam halte. Vielleicht hat es nie in der Geschichte eine solch starke Personalisierung gegeben. Das hat auch zu tun mit Kurzatmigkeit in den Medien, zumal den elektronischen.

SZaW: Wurde zu Hause viel gesprochen?

Schröder: Nein, wenig! Meine Mutter hatte viel damit zu tun, ihre Kinder durchzubringen. Sie hat als Putzfrau gearbeitet. Wir haben sie relativ wenig gesehen. Wir haben kaum diskutiert zu Hause. Bei uns gab es auch relativ wenig Bücher. Ich habe mir das auf dem zweiten Bildungsweg aneignen müssen. Hat mir nicht geschadet . . .

SZaW: . . . auf dem zweiten Bildungsweg auch aneignen müssen zu sprechen, sich auszudrücken, vor Menschen zu treten?

Schröder: Na ja, vor Menschen zu treten, das muss man wirklich lernen. Ich erinnere mich noch genau, wie ich mein erstes Rundfunkinterview geben wollte. Da gab es einen Redakteur im NDR-Studio in Hannover, ich war damals bei den Jungsozialisten und sollte irgendwas werden, ich weiß nicht mehr, was. Dann kam - ich werd den Namen nie vergessen, ich glaube, er ist jetzt pensioniert - Klaus Verhey. Der hielt mir dieses große Ding, das Mikrofon vor den Mund. Ich hatte mir vorher genau überlegt, was ich sagen wollte. Und konnte nicht mehr. Also, mein erstes Rundfunkinterview kam nicht zustande.

SZaW: Weil Sie nichts gesagt haben.

Schröder: Weil ich so aufgeregt war, dass ich nichts sagen konnte! Das Reden vor Menschen muss man trainieren. Eine gewisse Sicherheit stellt sich erst im Laufe der Zeit ein. Wer völlig ohne flaues Gefühl im Magen vor große Mengen Publikum geht, bei dem stimmt irgendwas nicht. Bei mir ist das noch heute so, dass ich frage: "Ist die Halle voll?" Und dass ich immer noch gucke, na, ist es da eher freundlich oder weniger freundlich. Also, es gibt noch so etwas - Lampenfieber ist übertrieben - , aber es gibt noch sowas wie Spannung.

SZaW: Halle voll ist dann gut oder schlecht?

"Ich bin am Anfang fürchterlich verdroschen worden – sprachlich"

Gerhard Schröder, zu sehen bei einer Bundestagsrede auf zahlreichen TV-Schirmen

"Die Menschen müssen merken, der kommt da nicht nur hin und sagt etwas, was andere ihm aufgeschrieben haben."

(Foto: Foto: Reuters)

Schröder: Halle voll ist gut.

SZaW: Als Sie sich entschlossen haben, auf dem zweiten Bildungsweg zunächst die Mittlere Reife, dann auch das Abitur nachzumachen, da haben Sie an Wahlveranstaltungen teilgenommen, von rechts bis links, und sich darin geübt, vor Menschen zu reden, Standpunkte zu entwickeln. War das die entscheidende Schule?

Schröder: Ich glaube schon. Das war das Training. Ich bin am Anfang fürchterlich verdroschen worden - sprachlich - von denen, die das Mikrofon hatten, und habe mich auch verhaspelt und nicht rübergebracht, was ich eigentlich wollte. Im Laufe der Zeit habe ich mehr und mehr Sicherheit gewonnen, die Fragen präziser zu formulieren, die Standpunkte präziser zu formulieren, auch weil die Standpunkte selber präziser wurden. Mit Sprache umzugehen, das geht dann am besten, wenn man weiß, was man will und sich das auch selber erarbeitet hat.

SZaW: Und die Zeit als Juso-Vorsitzender brachte den Feinschliff?

Schröder: Feinschliff will ich nicht sagen, aber natürlich Routine.

SZaW: Es heißt - und mit dem Satz wird einer Ihrer Mitarbeiter zitiert -, Sie würden 24 Stunden am Tag nur an Ihr Image denken. "Immer überlegt er, wie er wirkt."

Schröder: Das ist sicher ganz falsch. Also, ein besonders enger Mitarbeiter kann das nicht gewesen sein. In all diesen Beschreibungen der eigenen Person wird sich immer berufen: auf "Mitarbeiter", auf "Kreise, die der Regierung nahe stehen", auf "Menschen, die mir nahe stehen". Die, die so Nachrichten produzieren, produzieren meistens keine Wahrheiten.

SZaW: Wie stellen Sie sich an Tagen, an denen Sie etliche Reden vor ganz unterschiedlichen Menschen halten müssen, auf die immer wieder neuen Menschen ein?

Schröder: In der Regel sind das Reden über Themen, die ich gut kenne und wo ich mich absolut sicher fühle. Das heißt ja nicht, dass alle dem zustimmen müssen. Aber der entscheidende Punkt ist wirklich, dass man davon überzeugt ist, was man sagt. Dann bekommt man das den Menschen nahe gebracht, sowohl vermittelt über die Medien, die elektronischen zumal, als auch in der direkten Ansprache. Das ist der absolut entscheidende Punkt. In dem Moment, wo man seiner selbst nicht sicher ist, klappt der Vermittlungsprozess nicht. Er kann auch sonst gestört werden, weil: die Vermittlung läuft ja über die Medien, und wenn die nicht vermitteln wollen, hilft auch die beste Sprache nicht.

SZaW: Sie sind dann also in so einem Saal. Wie gelingt das, bei so schnellen Wechseln, den Ton, die Zwischentöne zu treffen?

Schröder: Kann ich Ihnen auch nicht sagen. Ich hab' da kein Patentrezept. Ich schau mir die Menschen an, stelle mir ihre Erwartungen vor und sage das, was ich sagen will. Gelegentlich hilft es, um Aufmerksamkeit zu erregen, dass man witzige Sachen einflicht - wenn man dazu in der Lage ist. Entscheidend ist, dass man genau hinhört, was Vorredner sagen, und darauf eingeht, humorvoll, wenn es geht, oder auch deutlich zurückweisend, wenn es sein muss.

Also, der Kommunikationsprozess muss klappen. Die Menschen müssen merken, der kommt da nicht nur hin und sagt etwas, was andere ihm aufgeschrieben haben, sondern: Der hat ein Interesse an der Kommunikation speziell mit uns. Wenn einem das nicht gelingt, dann klappt das nicht. Darauf muss man sich immer wieder neu einstellen. Deswegen darf eine zweite Rede zum selben Thema nie dieselbe sein, sondern es müssen Abweichungen drin sein. Das ist wichtig, für einen selber auch. Sonst steht man neben sich - und hört sich selber sprechen.

SZaW: Wenn Sie sprechen, wann immer Sie eine öffentliche Äußerung tun, haben Sie vermutlich immer mehrere Adressaten gleichzeitig im Sinn. Wie gelingt das?

Schröder: Schwer zu sagen. Am besten gelingt das, wenn man sich auf die konzentriert, die einem gegenüber sitzen, also, man sollte nie den Versuch machen, an den Menschen, die einem direkt zuhören, vorbeizureden, nur fürs Publikum zu reden.

"Ich bin am Anfang fürchterlich verdroschen worden – sprachlich"

Interview mit Gerhard Schröder: Hand drauf: "Sie dürfen auch nicht unterstellen, dass man jeden Schritt, jede Pose vorher kalkuliert."

Hand drauf: "Sie dürfen auch nicht unterstellen, dass man jeden Schritt, jede Pose vorher kalkuliert."

(Foto: Foto: Reuters)

SZaW: Aber wenn Sie etwas sagen, zum Beispiel zur Rede Münteferings, dann liest man interessante Sachen. Ich lese mal aus der Süddeutschen Zeitung vor: "Regierungssprecher Bela Anda sagte: Aus der Sicht Schröders habe Müntefering deutlich gemacht, dass Macht auch Verantwortung bedeute. Dies gelte in der Politik wie in der Wirtschaft. Daraus folge, dass auch die Interessen der Arbeitnehmer berücksichtigt werden müssten. "In diesem Sinne" - da werden Sie jetzt zitiert! - " . . . in diesem Sinne teile der Kanzler uneingeschränkt Münteferings Position". Eine Distanzierung von Müntefering - oder?

Schröder: So würde ich das nicht sagen! Ich bleibe dabei, was ich in der Rede am 17.März zur Weiterführung des Reformprozesses gesagt habe: dass wirtschaftliche Macht sich verbinden muss mit Verantwortung. Das ist genau das, was Franz Müntefering sagen wollte. Und das halte ich nicht für falsch. Dass jeder seine eigene Sprache hat und seine eigene Form findet, das steht auf einem anderen Blatt. Ich kann das nur mit meiner Sprache machen.

SZaW: Mir ging es hier eher um die Adressaten.

Schröder: Ich habe schon gemerkt, worum es Ihnen geht. Wir wollten ja auch über die Zwischentöne reden!

SZaW: Aber ist hier Müntefering gemeint, dem gesagt werden soll: "Junge, okay, das ist ein schöner Versuch."? Oder ist Steinbrück gemeint, den Sie da unterstützen wollen in dessen pragmatischerem Kurs?

Schröder: Ich bin gemeint! Wie ich das auffasse, was ich davon halte. Und Sie werden mich nicht dazu bekommen, mich vom einen oder vom anderen zu distanzieren. Wenn man etwas wahrnimmt, was ein anderer gesagt hat, ohne dass man es vorher kannte, dann bewertet man das ja. Und die Bewertung, die ich abgegeben habe, ist die: Er hat Recht, wenn er meint, was ich gesagt habe, nämlich dass sich mit wirtschaftlicher Macht, die erheblich ist, soziale Verantwortung verbinden muss. Das ist Kern seiner Äußerung. Und diesen Kern der Äußerung kann ich unterschreiben. Tue ich ja auch.

SZaW: Noch ein Beispiel: Als Sie im Interview mit der "Zeit" den Satz nicht rausgestrichen haben: Sie würden sich in der Frage der Aufhebung des EU-Waffenembargos gegen China notfalls auch über das Votum des Bundestages hinwegsetzen. War da die chinesische Führung der Adressat?

Schröder: Nein, das habe ich ja gar nicht gesagt.

SZaW: Ach?

Schröder: Wenn Sie das Interview lesen . . .

SZaW: . . . hab' ich . . .

Schröder: . . . da steht nicht drin, dass ich mich über das Votum des Bundestags hinwegsetze!

SZaW: Notfalls!

Schröder: Nein! Wenn Sie das Interview lesen, steht da drin, dass ich sehr ernst nehme, was im Parlament gesagt wird, dass ich aber daran erinnern muss, dass Außenpolitik Sache der Bundesregierung ist. Das habe ich gesagt. Daraus - und das ist ja wieder ein ganz gutes Thema, das passt auch zum Bereich "Zwischentöne" - daraus ist dann gemacht worden: Der setzt sich einfach darüber hinweg. Das steht aber gar nicht drin in dem Interview. Und sehr interessant ist jetzt, wie das dann weiter transportiert wird. Das, was nicht drin steht, erklären Sie jetzt zu dem, was geschrieben worden ist, obwohl das ja schon nicht stimmte. Jetzt soll ich das bewerten, was ich gar nicht gesagt habe. So gehen Medien gelegentlich mit Politikern um, sie versuchen es jedenfalls. Madam, der Versuch ist zu durchsichtig!

"Ich bin am Anfang fürchterlich verdroschen worden – sprachlich"

SZaW: Okay, ich versuche es noch mal. War die chinesische Führung gemeint mit . . . ?

Schröder: Das war eine Positionsbeschreibung, die an diejenigen, die es angeht, gerichtet ist. Und die beschreibt, was in Europa beschlossen worden ist. Und das habe ich ja auch dem Deutschen Bundestag gegenüber gesagt. Und bei dem, was ich dort gesagt habe, bleibe ich auch.

SZaW: Dabei fiel wieder auf, dass Sie, linke Hand in der Hosentasche, sehr gelassen an diesem Pult stehen. Ist das eine Geste, die Sie wählen, weil sie funktioniert?

Schröder: Nein, die ist nicht trainiert. Sie dürfen auch nicht unterstellen, dass man jeden Schritt, jede Pose vorher kalkuliert. Den Politikern - und das geht ja nicht nur um mich - immer zu unterstellen, sie kalkulieren jede Geste, das ist verkehrt. Es gibt auch bei jemandem in meinem Amt noch Spontanität. Das wäre schade, wenn es die nicht gäbe. Unterstellen wir mal, dass ich nicht jede Bewegung kalkulieren kann, ich muss mich ja konzentrieren auf das, was ich sagen will.

SZaW: An Ihren Reden und öffentlichen Auftritten wird Ihre Schlagfertigkeit gelobt. Deshalb macht auch das schöne Halbsatzspiel mit Ihnen so viel Spaß. Der beste Redner im Bundestag ist derzeit . . .

Schröder: . . . Joschka Fischer.

SZaW: Eine Bundestagsrede von Angela Merkel ist dagegen . . .

Schröder: . . . meistens langweilig.

SZaW: Wenn ich mir von den Reden des Bundespräsidenten etwas abgucken kann, dann ist es . . .

Schröder: . . . da fällt mir nichts ein.

SZaW: Nein?

Schröder: . . . ich soll mir ja was abgucken.

SZaW: Ja.

Schröder: Warum soll ich da was abgucken?

SZaW: Also . . . Antwort: "Mir fällt nichts ein!"

Schröder: Die Reden des Bundespräsidenten sind in Ordnung. Aber mir fällt nicht ein, was ich mir da abgucken könnte.

SZaW: Als ich zuletzt meine Rede auf der Konferenz für Sicherheitspolitik vom Bundesverteidigungsminister habe vorlesen lassen, ist ein für alle Mal klar geworden . . .

Schröder: . . . dass man solche Reden selber halten muss.

Gerhard Schröder wurde im April 1944 im westfälischen Lipperland geboren. Als er sechs Monate alt war, fiel sein Vater. Schröder wuchs in kargen Verhältnissen auf und arbeitete sich in seiner Ausbildung (Jurist) wie auch in seiner Karriere (Bundeskanzler) eisern nach oben. Er regiert seit 1998.

Anne Will, 39, moderiert seit 2001 die "Tagesthemen" der ARD. Seit Jahresbeginn spricht sie auch wieder fürs Radio. Für "NDR Kultur" moderiert sie "Klassik à la carte", mit Interviews zum Thema "Zwischentöne". Das nächste läuft am 18. Mai 2005 mit Jutta Limbach über "Sprache".

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