Interview mit dem Dalai Lama:"Unsere Probleme sind gleich"

Der Dalai Lama über sein Verhältnis zu den Uiguren, die gemeinsame Probleme mit China und die Aussicht auf eine Lösung der Tibet-Frage.

Manuela Kessler und Thomas Knellwolf

SZ: Ihre Heiligkeit, wie geht es Ihnen?

Dalai Lama, ddp

Der Dalai Lama hat noch immer Hoffnung auf eine Einigung mit Peking.

(Foto: Foto: ddp)

Dalai Lama: Gut. Ich musste mich im vergangenen Jahr einer Operation unterziehen, um Gallensteine entfernen zu lassen, habe mich aber schnell erholt. Ich kann keine Anzeichen von Schwäche mehr erkennen.

SZ: Und was sagen die Ärzte?

Dalai Lama: Das Gleiche. Ein Spezialist, der mich danach untersuchte, befand mich für fit. Er bezeichnete mich gar als jungen Patienten.

SZ: Stehen Sie nach wie vor um 3.30 Uhr in der Früh auf?

Dalai Lama: Jawohl.

SZ: Vergangenes Jahr gab es Unruhen in Tibet, vergangenen Monat in Xinjiang: Die chinesischen Behörden behaupten, die Uiguren dort würden den tibetischen Aufstand kopieren. Sehen Sie auch Parallelen?

Dalai Lama: Es gibt Parallelen, aber von einem Kopieren des Vorgehens oder einem Anzetteln von Aufständen kann keine Rede sein. Die Uiguren werden als eine der 55 Minderheiten in China wie die Tibeter seit Jahrzehnten diskriminiert. Ihr Drang nach mehr Selbstbestimmung und Freiheit wird mit Gewalt unterdrückt. Bevor die Kommunisten 1949 die Macht in Peking übernahmen, hatte es in dem Gebiet, das heute die chinesische Provinz Xinjiang ist, kurze Zeit eine "Republik Uiguristan" gegeben.

SZ: Welche Kontakte unterhalten Sie zu den Uiguren?

Dalai Lama: Ich kenne viele Uiguren, und mit der uigurischen Führung im Exil treffe ich mich von Zeit zu Zeit. Wir sind einander freundschaftlich verbunden, und unsere Probleme gleichen sich, aber ein gemeinsames Vorgehen oder gar gemeinsame Gewalttaten, wie die chinesische Seite sie uns unterstellt, gibt es nicht.

SZ: Uiguren-Führerin Rebiya Kadeer sieht Sie als Vorbild im gewaltfreien Freiheitskampf. Wieso arbeiten die Tibeter nicht enger mit den Uiguren zusammen?

Dalai Lama: Anfang der sechziger Jahre nahmen Uiguren, Tibeter und Mongolen auf einer Konferenz in Indien Kontakt auf und besprachen gemeinsame Anliegen. Aber wir haben kaum gemeinsame Aktivitäten entwickelt.

SZ: Befürchten Sie, dass die chinesische Regierung Ihnen eine Verschwörung unterstellen könnte?

Dalai Lama: Wir sind keine engen Verbündeten, die gemeinsam Druck erzeugen. Wir setzen uns einfach für unsere Anliegen ein.

SZ: Neben Deutschland besuchen sie auch die Schweiz, wo sie einige hundert Vertreter der chinesischen Zivilgesellschaft treffen. Sind das Verbündete?

Dalai Lama: Die Tibetfrage geht nicht auf einen Bürgerkrieg oder einen ideologischen Graben in einem Volk zurück, wie früher zwischen Ost- und Westdeutschland. Das Problem der Tibeter ist, dass ein ungeladener Gast mit Waffen in unser Land eingedrungen ist. Darum muss ein gangbarer Weg zwischen Tibetern und Chinesen gefunden werden. Wir bemühen uns seit Jahrzehnten um eine konstruktive Lösung mit der chinesischen Regierung. Ohne jeden Erfolg. Unser Glaube, dass Peking an einer Lösung der Tibet-Frage interessiert ist, hat im Lauf der Zeit abgenommen. Aber unser Glaube an das chinesische Volk ist intakt. Von ihm erfahren wir immer mehr Verständnis und Solidarität. Weil es derzeit keine Gespräche mit Chinas Regierung gibt, versuchen wir, die Kontakte zu Vertretern des chinesischen Volkes zu vertiefen.

SZ: Peking wirft Ihnen vor, "ein Wolf im Mönchsgewand" zu sein. Westliche Medien kritisieren, dass Sie, der Toleranz in aller Welt predigt, ein überholtes, repressives System verkörpern. Steckt da nicht ein Funken Wahrheit drin?

Dalai Lama: Mein Vorgänger, der 13. Dalai Lama, hat erste Schritte unternommen, um Reformen in Tibet durchzuführen. Ich habe die Reformen fortgeführt. Seit 2001 haben wir eine demokratisch gewählte politische Führung im Exil. Ich habe mich in den Halbruhestand zurückgezogen. Damit haben 400 Jahre geendet, in denen der Dalai Lama politischer und religiöser Führer zugleich sein musste. Kein einziger Tibeter denkt auch nur daran, das alte System zu restaurieren. Aber die chinesische Propaganda geht darüber einfach hinweg. (lacht)

SZ: Haben Sie die Hoffnung aufgegeben, zu Ihren Lebzeiten eine Übereinkunft mit Peking zu erreichen?

Dalai Lama: Noch nicht ganz. Es gibt Anzeichen, dass Peking den 2002 aufgenommenen Dialog, der nach acht Runden im vergangenen Oktober zum Erliegen gekommen ist, wieder aufnehmen könnte. Die chinesische Führung scheint in der Minderheitenpolitik gespalten zu sein. Nach den jüngsten Unruhen gibt es Stimmen, die eine Kursänderung in der Minderheitenpolitik befürworten.

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