Interview mit Beck:"Ich bin entsetzt"

Merkel auf Polen-Reise: Der Grünen-Politiker Volker Beck spricht im sueddeutsche.de-Interview über die Verfolgung von Schwulen im Nachbarland, Erika Steinbach - und seine Erwartungen an die Kanzlerin bei ihren Gesprächen mit der Regierung in Warschau.

Thorsten Denkler

Volker Beck ist Fraktionsgeschäftsführer der Grünen im Bundestag und menschenrechtspolitischer Sprecher der Fraktion.

Volker Beck

Volker Beck

(Foto: Foto: AP)

sueddeutsche.de: Herr Beck, pünktlich zum Besuch der Kanzlerin in Polen erreicht uns die Nachricht, dass die polnische Regierung ein Gesetz gegen schwule Lehrer vorbereitet. Ist das wieder so etwas, was das Bild der Deutschen von den Polen prägt?

Volker Beck: Das hat mich auch entsetzt. Ich muss aber vorausschicken, dass in Polen die Hälfte der Menschen wie auch der politischen Klasse genauso wenig ein Problem mit Schwulen haben, wie wir hier in Deutschland. Die andere Hälfte der politischen Klasse in Polen neigt allerdings zu radikalen Tönen und Hetze.

sueddeutsche.de: Was erwarten Sie von der Kanzlerin?

Beck: Wenn es um Menschenrechte geht, darf man keine falsche Rücksicht nehmen, egal ob es um Juden, ob es um Homosexuelle oder um Roma geht. In Polen gehören vor allem Schwule und Juden zu den verfolgten Gruppen. Der polnische Europaabgeordnete Giertych hat erst kürzlich davon gesprochen, Juden lebten ja ganz gerne im Ghetto. Solchen minderheitenfeindlichen und antisemitschen Tendenzen muss Frau Merkel entschieden entgegentreten.

sueddeutsche.de: Was ist die größere Belastung für die deutsch-polnischen Beziehungen: Die seltsamen Vorstellungen in der polnischen Regierung oder die Vertriebenen-Chefin Erika Steinbach?

Beck: Frau Steinbach ist in Polen die wohl bekannteste deutsche Politikerin. Wenn es um die Ängste der Polen vor deutschen Gebietsansprüchen geht, wenn es um den Versuch geht, deutsche Schuld und Verantwortung zu relativieren, wird sie in Polen damit identifiziert. Frau Merkel sollte in Polen klar und eindeutig sagen, dass Frau Steinbach für die deutsche Politik längst nicht die Bedeutung hat, die ihr in Polen zugewiesen wird.

sueddeutsche.de: Ist die Vertreibung kein Verbrechen gewesen?

Beck: Man kann das Unrecht der Vertreibung der Deutschen aus den polnischen Gebieten nicht relativieren, muss es aber in den historischen Kontext einordnen. Das Unrecht zu benennen, heißt eben nicht, dass Gebietsansprüche abgeleitet werden können oder die deutsche Schuld gegenüber den Polen zu relativieren.

Eigentumsansprüche erhebt übrigens auch Frau Steinbach nicht. Die Polen merken das nur nicht, weil sie sich zu historischen Fragen immer so ungeschickt und tendenziös äußert, dass sie immer wieder unnnötige Irritationen auslöst. Das ist ein echtes Problem. Die Äußerungen der Vertriebenenverbände sorgen dafür, dass rechte Parteien in Polen so gut mit dieser Thematik polarisieren können.

sueddeutsche.de: Europa hat sich Mindeststandards in Fragen der Diskriminierung und Menschenrechte gegeben. Hat Polen diese Standards schon erreicht?

Beck: Polen ist eine Demokratie und wir sollten zunächst mit Respekt vor den Leistungen der früheren polnischen Opposition reden. Wir haben auch der Solidarność zu verdanken, dass Europa und Deutschland heute wieder frei und geeint sind. Aber wenn, wie in Polen geschehen, Demonstrationen nicht geschützt werden, wenn es dann wie auf der Homosexuellen-Demonstration in Krakau zu gewalttätigen Übergriffen kommt, das ist schon beängstigend.

Aber wird dürfen nicht vergessen: Auch in Deutschland sitzen Neonazis in Parlamenten. Demokratien müssen immer um die demokratischen Standards kämpfen. Da könnte die polnische Regierung noch einiges tun. Und hier sind einige aus der Regierungskoalition eher Teil des Problems als Teil der Lösung.

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