Interview mit Andrea Nahles:"Wir brauchen einen politischen Generalsekretär"

Entgegen der Vorstellung des Parteivorsitzenden Franz Müntefering mehren sich in der SPD die Forderungen, Andrea Nahles zur Generalsekretärin zu machen. Die 35-Jährige schließt eine Kampfkandidatur nicht aus.

Nico Fried

SZ: Frau Nahles, werden Sie für das Amt als Generalsekretärin kandidieren?

Andrea Nahles

Andrea Nahles hält eine Kampfkandidatur auf dem Parteitag im November für möglich

(Foto: Foto: dpa)

Andrea Nahles: Viele Landes- und Bezirksvorsitzende haben mich dazu aufgefordert. Ich erwäge das ernsthaft. Wir werden aber Ende der Woche im Präsidium und im Parteivorstand noch einmal über die Personalaufstellung reden. Dieser Debatte will ich nicht vorgreifen.

SZ: Sollten sie kandidieren, würden Sie sich gegen die Personalwünsche des Parteichefs stellen.

Nahles: Franz Müntefering hat mich all die Jahre gefördert. Dafür bin ich sehr dankbar. Wir haben auch bei schwierigen Problemen gut und loyal zusammengearbeitet. Jetzt gibt es eine Diskussion in der Partei über die Rolle des Generalsekretärs. Aber wir sind eine demokratische Partei, in der es Wahlmöglichkeiten gibt. Ich bin sicher, dass wir unsere gute Zusammenarbeit in jedem Fall fortsetzen werden.

SZ: Es gibt die Befürchtung, Sie könnten versucht sein, zu sehr für ihr persönliches Profil zu arbeiten.

Nahles: Ich finde es nicht richtig, dass im Zuge der Erneuerung jede Person, die in Frage kommt, sofort in den Verdacht gerät, es gehe hier nur um persönliche Profilierung. Das ist ein Totschlagargument. Ein Generationswechsel macht nur Sinn, wenn man jungen Leuten die Gestaltungsräume gibt und sie die Chance bekommen, sich zu bewähren. Mir geht es darum, dass wir einen politischen Generalsekretär haben. Und nach meinem Eindruck wird dieser Wunsch in weiten Teilen der Partei getragen. Franz Müntefering selbst hat das Amt so ausgefüllt, als er Generalsekretär war. Für mich ist völlig klar, dass der Generalsekretär für die ganze Partei da ist, nicht nur für einen Flügel. Egal, wie der Generalsekretär am Ende heißt, er oder sie wird mit dem Parteivorstand eng zusammen arbeiten.

SZ: Eine andere Sorge ist, die Parteizentrale könnte zum Hort des Widerstandes gegen die große Koalition werden. Nahles: Wir alle wollen den Erfolg der großen Koalition. Eine Partei kann nicht gegen die von ihr getragene Regierung agieren. Es geht aber dabei auch um eine starke SPD. Die große Koalition wird in der SPD und ihrer Wählerschaft breit akzeptiert, wenn in den nächsten Jahren gleichzeitig ein Vorrat an Ideen erarbeitet wird, der die Zukunftskompetenz stärkt. Wir haben hier einen Nachholbedarf, was die mehrfach verschobene Grundsatzprogrammdebatte zeigt. Es muss aber auch darum gehen, eine Mehrheit 2009 organisatorisch vorzubereiten. Für mich ist klar, dass wir unsere organisatorische Schlagkraft erhöhen müssen.

SZ: Das heißt konkret?

Nahles: Wir müssen den Aufbau der SPD über die Länder massiv unterstützen. Vom Politik-Angebot darf es nicht nur Berlin-zentrierte Perspektiven geben. Wie wir zum Beispiel die soziale Entkoppelung ganzer Stadtteile auffangen können, wie wir einen Lebenswohlstand in den unterschiedlichen Regionen unseres Landes definieren und dabei die Kompetenzen vor Ort ausschöpfen. Das scheinen mir inhaltlich und organisatorisch zentrale Fragen zu sein. Gleichzeitig müssen wir uns in den zivilgesellschaftlichen Bereich hinein öffnen und massiv an einer funktionierenden Kooperation mit den Gewerkschaften arbeiten.

SZ: Sind Konflikte mit der Regierungsarbeit nicht programmiert?

Nahles: Nein. Ich habe selbst die Programmkommission zur Bürgerversicherung geleitet. Damit haben wir Akzente als Partei gesetzt und ein Zukunftskonzept erarbeitet, ohne unsere Regierung zu konterkarieren. Genau so könnte das auch in einer großen Koalition laufen.

SZ: Warum kandidieren Sie nicht als stellvertretende Parteivorsitzende?

Nahles: Nach Stand der Dinge kandidieren dafür mit Kurt Beck aus Rheinland-Pfalz - meinem eigenen Landesverband - und Ute Vogt aus Baden-Württemberg zwei Kollegen, die vor Wahlkämpfen stehen. Und die beiden anderen Kandidaten sind mit Peer Steinbrück und Heidemarie Wieczorek-Zeul zwei designierte Bundesminister. Der Ost-Platz geht nach dem Rückzug von Wolfgang Thierse an Matthias Platzeck. Ich schließe es für mich aus, gegen diese fünf anzutreten. Ich finde auch, in einer großen Koalition wäre es gut, wenn wir möglichst viele Spieler auf dem Feld hätten. Deshalb bin ich auch dafür, die Rolle der Stellvertreter aufzuwerten. Ich fände es aber falsch, dies zu Lasten eines politischen oder starken Generalsekretärs zu machen.

(SZ vom 25.10.2005)

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