Interview mit Abraham Jehoschua:"Die Araber hätten uns besiegen können"

Der jüdische Autor Abraham Jehoschua sieht sein Volk seit 2000 Jahren im Konflikt mit dem Rest der Welt. Im SZ-Interview gesteht er, dass das aber bald vorbei sein könnte.

Thorsten Schmitz

Abraham B. ("Boolie") Jehoschua ist neben Amos Oz der bedeutendste Autor der israelischen Gegenwartsliteratur. Seine Bücher sind in 28 Sprachen übersetzt und mit nationalen und internationalen Preisen ausgezeichnet worden. Jehoschua, der 1936 in Jerusalem geboren wurde, gilt seit Jahren als Nobelpreis-Kandidat. Die New York Times bezeichnete ihn als "israelischen Faulkner". Vor kurzem zog er den Zorn von US-Juden auf sich mit seiner Aussage, ein Jude könne nur dann "vollständig sein", wenn er in Israel lebe. Jehoschua wohnt in Haifa.

SZ: Sie waren elf Jahre alt und in Jerusalem, als David Ben-Gurion im Mai 1948 in Tel Aviv den Staat Israel ausgerufen hat. Woran erinnern Sie sich?

Abraham B. Jehoschua: Der 14. Mai war ein Tag der Freude für uns. Wir haben in den Straßen getanzt und die britischen Soldaten geküsst. Als Junge war ich dann sehr überrascht, dass die arabischen Staaten uns so unmittelbar nach der Staatsausrufung angriffen. Mein Vater sprach fließend Arabisch und hatte sehr gute Kontakte zu den Arabern in Jerusalem. Sie kamen zu uns nach Hause, wir besuchten sie in der Altstadt. Wenn sie besser organisiert gewesen wären, hätten sie uns im Unabhängigkeitskrieg besiegt. Aber sie waren wie immer unorganisiert.

SZ: Gilt das auch für den Sechs-Tage-Krieg von 1967?

Jehoschua: Ja. Der Sechs-Tage-Krieg wurde von dem verrückten ägyptischen Staatschef Gamal Abdel Nasser gestartet. Erst hatten wir Angst, dass wir gewiss 25.000 Tote zu beklagen hätten. Am Ende sind nur 700 Israelis ums Leben gekommen. Auch wegen ihrer Unorganisiertheit haben uns die Araber einen schnellen Sieg ermöglicht. Er hat uns euphorisch gestimmt.

SZ: Die Euphorie war zugleich der Startschuss für die jüdische Besiedlung im Gaza-Streifen und Westjordanland.

Jehoschua: Im Gaza-Streifen lebt heute zum Glück kein jüdischer Siedler mehr. Was soll ich sagen, die Siedlungen sind unser großes Unglück. Auch wenn uns die arabischen Staaten angegriffen haben und keinen Frieden mit uns wollten und wollen, gibt uns das kein Recht, das Westjordanland zu besiedeln.

SZ: Regierungschef Ehud Olmert teilt Ihre Auffassung nicht und lässt weiter Siedlungen ausbauen.

Jehoschua: Es können nicht sämtliche Siedlungen aufgelöst werden. Die großen wie Maale Adumim und Ariel etwa können bestehen bleiben, die Palästinenser müssen aber dafür gleich große Gebiete als Kompensation erhalten. Isolierte Siedlungen müssen aber aufgelöst werden. Den extremen jüdischen Siedlern kann man außerdem anbieten, dass sie in einem künftigen palästinensischen Staat als Minderheit leben, so wie heute eine Million Palästinenser in Israel leben.

SZ: Israel ist jetzt 60 Jahre alt und hat bis heute keinen Frieden. Wie viele Kriege wird es noch geben?

Jehoschua: Wenn die Verhandlungen mit den Palästinensern erfolgreich verlaufen, gibt es keinen Grund für noch einen Krieg oder noch eine Intifada. Aber man weiß nie. Als ich 1956 im Sinai-Krieg als Soldat gekämpft habe, war ich sicher, das sei der letzte Krieg.

SZ: Welchen Effekt hat die Abwesenheit von Frieden auf die Israelis?

Jehoschua: Seit 2000 Jahren befindet sich das jüdische Volk im Konflikt mit dem Rest der Welt. Wir sind es gewohnt. Aber ob man sich wirklich daran gewöhnen kann? Frieden kommt in kleinen Schritten. Wer hätte gedacht, dass wir heute nach Amman und nach Kairo fahren können...

SZ:...aber nicht nach Gaza und nicht in die palästinensischen Orte im Westjordanland.

Jehoschua: Ich bin zuversichtlich, dass wir uns eines Tages mit den Palästinensern aussöhnen. Die EU muss ihr Engagement verstärken. Und mit Hamas muss man reden. Sie ist Teil der palästinensischen Gesellschaft.

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