Interview am Morgen:"Strache hat keinen Grund, zurückhaltender aufzutreten"

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An diesem Freitag sind Proteste gegen den Akademikerball und die neue rechtskonservative Regierung von ÖVP-Kanzler Kurz und FPÖ-Vizekanzler Strache angekündigt. (Foto: AFP)

Auf dem Wiener Akademikerball tanzen heute rechte Burschenschafter - auch der FPÖ-Vizekanzler kommt trotz angekündigter Proteste. Im "Interview am Morgen" erklärt Judith Goetz, wie verbreitet Antisemitismus in diesen Kreisen ist.

Von Leila Al-Serori

Judith Goetz ist Politik- und Literaturwissenschaftlerin und unterrichtet an den Universitäten Wien und Klagenfurt. Die Expertin für Rechtsextremismus in Österreich hat mehrere Texte zum Wiener Akademikerball und den Protestbewegungen dagegen verfasst.

SZ: Frau Goetz, an diesem Freitag findet der Akademikerball in Wien statt. Jedes Jahr gibt es deshalb große Demonstrationen - warum ist der Ball so umstritten?

Judith Goetz: Einerseits weil der Akademikerball und vor allem sein Vorläufer der WKR-Ball ein Festakt von deutschnationalen Burschenschaftern ist - noch dazu in einem der repräsentativsten Gebäude der Republik Österreich: der Hofburg, wo auch der Bundespräsident seinen Sitz hat. Andererseits sind auch immer wieder Rechtsextreme aus ganz Europa zu Gast, beispielsweise die Le Pens oder der Russe Alexander Dugin. Durch die Proteste hat der Ball aber an Anziehungskraft eingebüßt, die Besucherzahlen sind zurückgegangen.

Dieses Jahr erwartet die Polizei bei den Demonstrationen "höhere Gewaltbereitschaft", 3000 Polizisten sind im Einsatz. Dabei blieb es zuletzt friedlich. Was ist nun anders?

Indizien für eine internationale Mobilisierung von linksradikalen Gruppierungen für Krawalle, wie sie die Polizei erwartet, sehe ich eigentlich nicht. Auch in Österreich sind die Aufrufe bisher eher verhalten. Wahrscheinlich weil der Fokus antifaschistischer Bündnisse mehr auf den Protesten gegen die neue ÖVP/FPÖ-Koalition liegt, wie die Demo mit 20 000 Teilnehmern vor zwei Wochen. Diese heraufbeschwörten Schreckensbilder sollen den Rieseneinsatz der Polizei legitimieren, bei dem ein Großteil der Innenstadt abgeriegelt wird.

Im Unterschied zu früheren Jahren empfängt diesmal FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache seine Gesinnungsgenossen als Vizekanzler Österreichs. Das ist schon eine andere Ausgangslage.

Ja, die FPÖ hat 2013 die Organisation des Balles übernommen, aber nun ist sie auch Regierungspartei. Dadurch gewinnt die Veranstaltung an Bedeutung.

Mit seinem Auftritt auf dem Ball als Vizekanzler provoziert Strache wohl viele Kritiker. Warum bleibt er nicht einfach fern?

Im Moment sieht sich die FPÖ mit sehr viel Aufmerksamkeit konfrontiert, vor allem aus dem Ausland. Sie steht unter genauer Beobachtung. Allerdings hat Strache keinen Grund zurückhaltender aufzutreten - sein Umgang mit diesen Kreisen war schließlich in der Vergangenheit kein Hindernis, um Karriere zu machen.

Die FPÖ steht in den vergangenen Tagen wieder besonders im Fokus: Die Burschenschaft des niederösterreichischen Spitzenkandidaten der Partei, Udo Landbauer, verherrlicht in Liederbüchern den Holocaust.

Bei den Liedertexten handelt es sich um die krasseste Form des Antisemitismus, nämlich Vernichtungs-Antisemitismus. Formulierungen wie "Wir schaffen eine siebte Million" sind eindeutig ein Aufruf zum Mord an Juden und Jüdinnen. Das Erschreckende ist ja auch, dass die Version des Liederbuchs aus 1997 stammt - und man damals und in den Jahren danach in der Burschenschaft keinen Grund sah, das Buch wegen dieser Texte zu ändern. Dabei gibt es in Österreich das "Verbotsgesetz", das genau solches Gedankengut ausdrücklich unter Strafe stellt. In deutschnationalen Burschenschafter-Kreisen ist Antisemitismus zwar nicht so ungewöhnlich, aber die Zeilen in dem Liederbuch sind selbst für dieses Milieu außerordentlich krass.

ÖVP-Kanzler Sebastian Kurz verurteilt den Antisemitismus in diesem Liederbuch öffentlich. Den Rücktrittsforderungen der Opposition gegen Landbauer schließt er sich aber nicht an. Wie bewerten Sie das?

Der größte Skandal im Fall Landbauer ist, dass es bisher keine politischen Konsequenzen gibt. Kurz hat im Vorfeld gesagt, dass seine Grenze im Hinblick auf seinen Koalitionspartner FPÖ das Verbotsgesetz ist. Hier ist nun ein klarer Verstoß vorgefallen und trotzdem passiert nichts. Interessanterweise kam auch keine Reaktion von der ÖVP Niederösterreich, die ja im Wahlkampf mit Landbauers FPÖ steht.

Dabei ist die Landtagswahl in Niederösterreich schon diesen Sonntag. Zuletzt stand die FPÖ in Umfragen bei bis zu 20 Prozent, sie wäre damit auf dem dritten Platz hinter ÖVP und SPÖ. Wird der Vorfall der FPÖ schaden?

Ich denke, selbst für rechte Wähler und Wählerinnen ist mit dem Nazi-Liederbuch eine Grenze überschritten. Die Frage ist aber, ob es solch ein großes Hindernis wird, dass sie die Partei nicht wählen. Schließlich ist das nicht der erste antisemitische Vorfall in der FPÖ.

Strache hat als Reaktion auf den Vorfall gesagt, dass Burschenschaften nichts mit der FPÖ zu tun hätten. Tatsächlich sind viele seiner Spitzenfunktionäre in deutschnationalen Verbindungen, darunter er selbst. Und auch der Akademikerball ist ein Beweis für die engen Bande. Wieso sagt er so etwas?

Das ist mir auch nicht ganz klar. In den Burschenschafter-Kreisen macht er sich damit sicher keine Freunde, wenn er die klar dokumentierbaren Überschneidungen verleugnet.

Strache betont auch, dass die FPÖ im Hinblick auf Antisemitismus eine Entwicklung hingelegt hat.

Es war tatsächlich Parteiorder, nicht mehr offen gegen Israel und Juden zu sein. Allerdings darf man das nicht als tatsächliche Aufarbeitung antisemitischer Vorfälle in der Vergangenheit werten, vielmehr als strategischen Schritt. Meistens wurde ja auch die Distanzierung von Antisemitismus kombiniert mit antimuslimischen Rassismus - man hat das also vor allem genutzt, um gegen eine andere Religion Stimmung zu machen.

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