Internet:Grenzen des Hasses

Wer sagt denn, dass Meinungsfreiheit auch für Bösartigkeiten gelten muss? Das Internet-Gesetz der Bundesregierung kommt zur rechten Zeit.

Von Joachim Käppner

O du Ausgeburt der Hölle! / Soll das ganze Haus ersaufen? / Seh ich über jede Schwelle / doch schon Wasserströme laufen." So klagt der Zauberlehrling in Johann Wolfgang von Goethes Ballade über die seither sprichwörtlichen Geister, die man ruft, aber nicht mehr los wird; nun verwüsten und überfluten sie das Haus. Übertragen auf die Geister, welche durch die großen Internetkonzerne entfesselt wurden, wäre der Zauberlehrling noch ein ethisches Vorbild: Er versucht wenigstens, die tückischen Wesen zu bannen.

Weil Facebook und Twitter viel zu wenig Zauberlehrling sind, will sie die Bundesregierung nun durch das von Justizminister Heiko Maas ausgearbeitete Gesetz gegen Hass im Netz zu mehr Selbstverantwortung zwingen. Die digitalen Plattformen sollen strafbare Hasskommentare und Inhalte schneller und konsequenter löschen müssen. Bei aller Kritik im Detail: Es ist höchste Zeit dafür.

Das Netz ist ein Raum, der frei sein sollte und frei sein muss von Zensur, Bespitzelung und willkürlicher staatlicher Überwachung. Frei von Recht und Gesetz ist er aber nicht. Natürlich wird es Probleme dabei geben, weltweit agierenden Plattformen mit nationalen Gesetzen beizukommen. Was in Deutschland strafbar sein kann, etwa Leugnung des Holocaust, ist in den USA noch vom Recht auf freie Rede gedeckt. Auch ist die Sorge von Experten berechtigt, dass sich soziale Netzwerke wie Facebook nun gedrängt fühlen könnten, im Zweifel aus vorauseilendem Gehorsam auch nicht strafbare Kommentare zu löschen. Aber grundsätzlich sind Hasskommentare und andere strafbare Auswüchse des Netzes ein Problem, das die Verursacher selber zu lösen haben.

Wer viel zu wenige und unterbezahlte Mitarbeiter für das Löschen krimineller Beiträge einsetzt, darf sich nicht beschweren, wenn ihn nun der Staat in die Pflicht nimmt. Wer für Hunderte Millionen Menschen ein Medium zur Verfügung stellt und damit Unsummen verdient, kann sich nicht die Hände in Unschuld waschen, wenn über dieses Medium Drohungen, Aufrufe zu Gewalt und Mord oder Bastelanleitungen für Sprengsätze verbreitet werden.

Meinungsfreiheit schützt keine Straftäter, auch online nicht

Nichts davon ist in der analogen Welt durch jene Meinungsfreiheit gedeckt, auf welche sich Maas' Kritiker nicht ohne Pathos berufen. Aber Meinungsfreiheit schützt nicht die Freiheit der Bösartigen, wenn sie gegen das Gesetz verstoßen. Auch die Opfer von Hass und Hetze haben Rechte, zum Beispiel auf Wahrung der Menschenwürde. Das wiegt viel schwerer als das Recht von Straftätern, Narren und Hasspredigern, sich im Internet auszutoben. In der Bundesrepublik gilt das Grundgesetz und nicht die sogenannte Philosophie digitaler Großkonzerne - seltsam genug, dass man das überhaupt betonen muss. Nichts anderes stellt der Gesetzentwurf von Maas übrigens fest.

In der Debatte wird oft übersehen, dass die Konfliktlinien verworrener verlaufen als nur zwischen kontrollwütiger Staatsmacht hier und grenzenloser digitaler Freiheit dort. Facebook, Twitter, Google und andere bilden eine weltweite Wirtschaftsmacht, wie es sie seit dem Frühkapitalismus nicht mehr gab. Doch wie damals kommt mit der Macht auch die Hybris, sich an die Regeln anderer nicht gebunden zu fühlen. Um 1900 höhnten die Ruhrbarone über zarte Versuche der Regierung, die Arbeitsbedingungen der Bergleute zu verbessern: Im Betrieb hat niemand etwas zu sagen als wir Bosse. In den USA herrschte seinerzeit ernsthaft Sorge, die Macht der Industriekonzerne gefährde die Demokratie.

So weit ist es in der digitalen Welt noch nicht. Aber zu oft neigen die Netzfirmen bei Kollisionen mit nationalem Recht zu selbstgerechter Überheblichkeit. So hat Uber in der Auseinandersetzung über die Wirkkraft des deutschen Arbeitsrechts sinngemäß erklären lassen: Wenn seine Firmenphilosophie nicht zu den deutschen Gesetzen passe, so müssten die Gesetze eben geändert werden. Inzwischen hat die Firma arg zurückstecken müssen.

Übrigens hat schon die Aussicht auf ein Gesetz gegen Hass im Netz in Deutschland die Einsicht bei Facebook erheblich erhöht. Andere demokratische Staaten könnten dem Beispiel ja folgen. Die Zahl der Löschungen illegaler Inhalte ist deutlich gestiegen. Dieses Verhalten ist in der freien Wirtschaft durchaus üblich: Droht der Gesetzgeber, also der Wille der parlamentarischen Mehrheit, glaubhaft mit Eingriffen, ändert man das eigene, bislang egozentrische Verhalten am besten frühzeitig, bevor die Sache richtig teuer wird. Das ist in der Umweltpolitik oder bei der Bankenaufsicht nicht anders als bei Facebook. Zumindest in Fragen wirtschaftlicher Ratio sind auch globale Netzkonzerne ganz von dieser Welt.

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