Internationale Presseschau zur Groko:"Es ist eine Zweckehe"

Abschluss der Sondierungen von Union und SPD

Kein Wunschprogramm: Seehofer, Merkel und Schulz verlassen die Groko-Sondierungen.

(Foto: dpa)

Wer hat am meisten von den Koalitionsverhandlungen profitiert? Darüber streiten die Medien weltweit. Einig sind sie sich aber in einem: Angela Merkel ist es nicht. Eine internationale Presseschau.

Die britische BBC betrachtet die Groko als das kleinste Übel:

"...es ist eine Zweckehe. Keine Liebesehe. Und schon gar keine Lustehe. Es ist die am wenigsten schlimme Variante, weil keine Seite die Alternativen aufregend findet: Eine Minderheitsregierung wird als instabil betrachtet. Neuwahlen würden zu monatelanger Unsicherheit führen und womöglich die Pläne des französischen Präsidenten Emmanuel Macron, die Eurozone zu reformieren, zu Grabe tragen. Der entstandene Bund ist also keine große Vision für ein neues Deutschland. Eher ist er eine Liste pragmatischer Kompromissen, von denen beide Seiten profitieren könnten."

Die "New York Times" ist der Meinung, dass Angela Merkel die große Verliererin der Verhandlungen ist:

"Es war aufschlussreich, dass Frau Merkel, die seit zwölf Jahren an der Macht ist, eher müde als fröhlich wirkte. Das neue Abkommen mit den alten Koalitionspartnern - mit der CSU und den nach links tendierenden Sozialdemokraten - ist eben die Regierung, gegen die die Deutschen im vergangenen September bei den nicht eindeutigen Wahlen stimmten. Es hinterlässt die rechts außen stehende Alternative für Deutschland als größte Oppositionspartei im Land. Auch ist der Preis hoch für Frau Merkel, die schrumpfende Kanzlerin, die Ministerien aufgeben musste."

Die britische "Financial Times" sieht Potenzial für Martin Schulz und die SPD:

"Auf den ersten Blick hat die SPD, nachdem Martin Schulz die Partei im September zum ihrem schlechtesten Ergebnis seit den 1950ern führte, wenig zu bemängeln. Doch die Ministerposten werden konkrete Ergebnisse mit sich bringen müssen, um als Erfolg zu zählen. Herr Schulz, ehemaliger Präsident des Europäischen Parlaments, wird von der Parteispitze zurücktreten und sich ganz dem Außenministerium widmen. Dies scheint ein kluger Schritt zu sein. Die Umfrageergebnisse der SPD haben in der vergangenen Woche Rekordtiefe erreicht und das Außenministeramt sollte ihm Einfluss in der Regierung verleihen und ihn gleichzeitig fern genug von Frau Merkel halten."

Die "Los Angeles Times" findet, dass die SPD einen Erfolg feiern kann:

"Merkel, deren Partei den größten Stimmenanteil im September erhielt, jedoch keine Mehrheit im Parlament bekommen konnte, schien dazu bereit zu sein, den Sozialdemokraten fast alles, was sie forderten, zu geben, um die längste Periode politischer Unsicherheit der Nachkriegsgeschichte des Landes zu beenden."

Die französische "Le Monde" sieht dagegen Hort Seehofer und die CSU als Sieger der Verhandlungen:

"Der Vorsitzende der CSU hat allen Grund zufrieden mit den Verhandlungen zu sein. Die restriktive Politik, die der Koalitionsvertrag zum Thema Asylbewerber und Familiennachzug vorsieht, stimmt in großen Teilen mit dem überein, was die CSU gefordert hatte. Darüber hinaus gewinnt sie im Bund zusätzlichen Einfluss, indem sie mit dem Innenministerium ein Schlüsselressort bekommen hat, das zuvor in den Händen der CDU war."

Der britische "Guardian" setzt die deutsche Regierungsbildung in einen europaweiten Kontext:

"Auf der europäischen Ebene sollte theoretisch die Bildung einer deutschen Regierung zu breiteren EU-Reformen führen. Doch die Ansichten darüber, was Brüssel, Berlin und Paris benötigen, sind widersprüchlich. Herr Schulz ist die europäische Intergration wichtiger als Frau Merkel. Gleichzeitig kann das Gleichgewicht der europäischen Macht am 4. März durch die Wahlen in Italien, die drittgrößte Wirtschaft der Eurozone, gestört werden. Rom ist eine unvorhersehbare Kraft für die EU, weil Politik und Wirtschaft in Italien derzeit sehr chaotisch sind."

Die italienische "La Repubblica" glaubt, dass die Groko Europa voran bringen würde:

"Die Entstehung einer deutschen Regierung, die endlich ohne Argwohn nach Brüssel schaut - nein, sogar mit Enthusiasmus - und die einen Sozialdemokraten auf den Posten des Finanzministers setzt, ist sicherlich eine gute Neuigkeit für Europa."

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: