Russland und der Westen:Angst vor der Rückkehr des Kalten Krieges

Russland und der Westen: Sicherheitskräfte bewachen den Roten Platz in Moskau.

Sicherheitskräfte bewachen den Roten Platz in Moskau.

(Foto: AFP)

Auftragsmorde, Spionageaffären: Die Auseinandersetzung mit Russland erzeugt Furcht. Doch der echte Kalte Krieg unterschied sich von den Spannungen der Gegenwart grundlegend.

Kommentar von Joachim Käppner

Der Schriftsteller John le Carré begründete seinen Ruhm mit dem Agentenroman "Der Spion, der aus der Kälte kam". Das Buch erschien 1963, auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges. Es war das Jahr, in dem US-Präsident John F. Kennedy vor dem Rathaus Schöneberg ausrief "Ich bin ein Berliner"; das Jahr, in dem China mit der Sowjetunion brach und einen Weg einschlug, der ins Grauen der Kulturrevolution führen sollte; das Jahr, in dem Kennedy sein Land in den verheerenden, falschen Krieg in Vietnam trieb. Dieser Feldzug sollte dem Kommunismus Einhalt gebieten - und erschütterte das Vertrauen des Westens in die eigene moralische Überlegenheit zutiefst.

Die Furcht ist heute groß, dass die Kälte zurückkehrt. Die New York Times fühlt angesichts des mutmaßlich von Moskau verschuldeten Giftanschlags auf den Doppelagenten Sergej Skripal in Salisbury einen "cold war flashback". Furcht war ein Wesensmerkmal der Blockkonfrontation; die Furcht, aus dem Kalten Krieg könne ein heißer, gar ein nuklearer werden.

Die Freiheit ist bedroht. Aber es steht kein neuer Kalter Krieg bevor

Auch darum besitzt das Wort vom neuen Kalten Krieg einen solch suggestiven Sog: Es lädt die Konflikte der Gegenwart historisch gewaltig auf. Und erinnert nicht wirklich vieles daran? Da ist die Kriegsrhetorik Putins, der kürzlich mit seinen Atomraketen prahlte, und jene Donald Trumps, der im Konflikt mit Nordkorea nichts anderes tat. Es gibt verbales Säbelrasseln hier wie dort, Spionageaffären, gegenseitige Bezichtigungen der Einmischung in innere Angelegenheiten - und nun offenbar sogar Auftragsmorde.

Bei all diesen Parallelen gerät jedoch leicht in Vergessenheit, wie grundlegend sich der echte Kalte Krieg von den Spannungen der Gegenwart unterschied, so bedrückend diese sind. Er begann bald nach dem Sieg über Hitlerdeutschland 1945, als der Eiserne Vorhang, wie Winston Churchill beklagte, das verwüstete Europa teilte; als im Kreml noch der düstere Tyrann Stalin herrschte und das eben erst durch die Rote Armee befreite Osteuropa brutal sowjetisierte. Mitten in Europa standen dann jahrzehntelang ungezählte Atomwaffen und gewaltige konventionelle Armeen.

Die Welt ist heute sicherer als zur Zeit des Kalten Krieges

Das ist glücklicherweise Geschichte (allein die Bundeswehr war mit 4500 Kampfpanzern gerüstet; heute gilt die Aufstockung auf etwa 300 Panzer bereits als Zeichen wachsender Blockkonfrontation). West und Ost führten in der Dritten Welt zahllose mörderische Stellvertreterkriege und hofierten psychopathische Tyrannen von Pinochet bis Mengistu - Hauptsache, es war "unser Schurke", nicht der Schurke der Gegenseite.

Es konnte Entspannung geben, friedliche Koexistenz durch Gewaltverzicht, Wandel durch Annäherung wie unter Willy Brandt. Ein grundsätzlicher Ausgleich der Systeme und Ideologien aber war niemals möglich. Als Michail Gorbatschow dies von 1985 an versuchte, implodierte das rote Imperium; es war nicht überlebensfähig ohne Feindbild und den Anspruch, für die bessere Welt zu stehen.

Der englische Autor L. P. Hartley hat den schönen Satz geprägt: "Die Vergangenheit ist ein fremdes Land; dort gelten andere Regeln." Viele Menschen halten die Welt von heute für gefährlicher als je zuvor, zerrüttet von Kriegen, Krisen, Terror. Doch so fürchterlich all dies ist - im Vergleich zur Zeit des Kalten Krieges ist die Gewalt deutlich zurückgegangen, droht in der Mitte Europas keine nukleare Apokalypse mehr, gibt es einen UN-Menschenrechtsgerichtshof und Bestrebungen, Gewalt als Mittel der Politik international zu ächten. Noch immer unterstützen Großmächte Tyrannen, aber das gilt zunehmend als verwerflich.

Die Schwäche des Nationalismus ist der Egoismus

Ja, es gibt eine Bedrohung für Freiheit und Demokratie; aber sie lässt sich nicht mehr einfach in einem gegnerischen Block oder System verorten. Diese Bedrohung ist der neu erwachte Nationalismus, geschürt von Populisten; destruktiv, hasserfüllt, aggressiv will er Eigeninteressen auf Kosten anderer durchsetzen. Nationalismus treibt Wladimir Putins Politik ebenso an wie jene Donald Trumps, ist in Warschau und Budapest so zu Hause wie in Istanbul.

Der Egoismus, der Mangel an einer verbindenden Vision wie einst der weltlichen Heilslehre des Sozialismus, ist freilich auch die Schwäche des Nationalismus. Wer dem normativen Projekt der freien Welt - den Ideen der Menschenrechte, der Volkssouveränität, des Rechtsstaates - angebliche großrussische, neuasiatische oder uramerikanische Werte entgegensetzt: Er kann nie mehr sicher sein, dass sein Volk sich auf Dauer mit diesem Etikettenschwindel abfindet.

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