Internationale Beziehungen:Wie die Republikaner von den Irokesen lernen

Das letzte Werk der verstorbenen US-Philosophin Iris Marion Young ist ein Plädoyer für eine weitreichende Reform internationaler Beziehungen: Das Vorbild für ihre Utopie ist der Föderalismus, wie er zwischen englischen Kolonien und irokesischen Stämmen praktiziert wurde.

Thomas Wagner

Die politischen Beiträge der jüngst verstorbenen US-Philosophin Iris Marion Young (1949-2006) werden in der ganzen Welt rezipiert. Zeit ihres Lebens arbeitete die Feministin an Fragen der internationalen Verteilungsgerechtigkeit, der Geschlechtergleichheit, Friedenspolitik und der Demokratisierung.

Irokese Larry Sault

Von den Irokesen lernen: Der Vorsitzende der "Iroquois Confederation", Larry Sault.

(Foto: Foto: AP)

Hinzu kommen Überlegungen zum Selbstbestimmungsrecht indigener Völker und zur Lage der Menschenrechte im globalen Maßstab. Ihr von der Polity Press in Cambridge veröffentlichtes Buch "Global Challenges" bündelt diese Themen zu einem Entwurf für eine weitreichende föderalistische Reform internationaler Beziehungen.

Die Selbstbestimmung lokaler Gemeinschaften soll bewahrt, sogar ausgeweitet, gleichzeitig aber die Souveränität der Staaten stark eingeschränkt werden. Ein dezentralisiertes Modell föderal verknüpfter Autonomieräume soll helfen, die Nord-Süd-Problematik und andere Konflikte institutionell zu entschärfen, ohne dafür einen übermächtigen Weltstaat zu installieren.

Minderheiten, Ethnien und lokale Gemeinschaften verhandeln miteinander und mit staatlichen Akteuren mit Hilfe von internationalen Mediationsinstanzen um einen fairen Ausgleich ihrer Interessen.

Irokesische Frischzellenkur

Leitbild für Youngs konkrete Utopie ist der Abbau von Herrschaft auf allen politischen Ebenen. Dafür ist das Bündnis vorbildlich, das die englischen Kolonien im 17. und 18. Jahrhundert mit der Konföderation der sechs Irokesen-Nationen unterhielten. Im einleitenden Kapitel erörtert Young, wie der irokesische Föderalismus für ihr postkoloniales Projekt einer hybriden Demokratie im globalen Maßstab fruchtbar gemacht werden kann.

Damit setzt sie eine Linie republikanischer Irokesenrezeption fort, die mit Cadwallader Colden, Adam Ferguson und Benjamin Franklin anhob, von Karl Marx und der frühen US-Frauenrechtsbewegung um Matilda Joslyn Gage und Elizabeth Cady Stanton fortgesetzt wurde und vor dreißig Jahren mit der von Donald A. Grinde und Bruce E. Johansen initiierten Einflussdebatte um den Anteil der Irokesen an der Entwicklung der US-Verfassung neuen Auftrieb erhielt.

Die New York Times veröffentlichte am 4. Juli 2005 einen Beitrag über die irokesischen Gründer und der Historiker Donald S. Lutz interpretierte die mündliche Überlieferung der Irokesen als Verfassung im heutigen Wortsinne.

Fachzeitschriften wie International Organization oder Alternatives erörtern die Tauglichkeit des Irokesenbunds als alternatives Modell zwischenstaatlicher Beziehungen. Der konservative Publizist Charles S. Goodwin verpasst dem republikanischen Tugenddiskurs eine irokesische Frischzellenkultur und der Grünen-Politiker Brian Tokar entnimmt dem Irokesenbund Ideen für ein ökologisches Reformprojekt.

Rüstzeug für den Widerstand

Philosophen wie Scott L. Pratt und Bruce Wilshir untersuchen indianische Einflüsse auf die Entwicklung des Pragmatismus. Der Soziologe John Brown Childs wiederum entwickelt aus irokesischen Politikformen eine politische Ethik für Globalisierungsgegner. Unterdessen schöpft eine neue Generation indianischer Intellektueller in Nordamerika für den Kampf um Land und Autonomie Ideen aus der Jahrhunderte dauernden Widerstandsgeschichte.

Der irokesische Politologe Taiaiake Alfred leitet das Indigenous Governance Program an der Universität von Victoria im kanadischen British Columbia. Er versucht die Essenz der irokesischen Politik für die Erneuerung indianischer Gemeinschaften und als theoretisches Rüstzeug für den Widerstand zu revitalisieren. Unter Fachkollegen genießt Alfred den Ruf eines brillanten Theoretikers.

Die von Politologen wie James Tully, JG.A. Pocock, Philip Pettit und Will Kymlicka in den ehemaligen englischen Siedlerkolonien Nordamerika, Neuseeland und Australien geführten Debatten über die Selbstbestimmung indigener Gesellschaften innerhalb der Grenzen von liberalen Demokratien kommen ohne Zitate aus den radikalen Interventionen des irokesischen Intellektuellen nicht mehr aus.

Vor zwei Jahren gründete er die militante panindianische Bewegung Wasáse. Ihr Manifest hat er unter dem gleichen Titel im Jahr 2005 publiziert. Wasáse ist der Name für ein Kriegsritual der Irokesen: den Donnertanz.

IRIS MARION YOUNG: Global Challenges: War, Self-Determination and Responsibility for Justice. Polity Press, Cambridge 2007.200 Seiten, ca. 19 Euro.

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