Internationale ade:Wider die Arbeiter-Hymne

Marx, Engels, Lenin, Stalin

Die Internationale ist das weltweit am weitesten verbreitete Kampflied der sozialistischen Arbeiterbewegung.

(Foto: AP)

Herr Schmitt aus dem nordrhein-westfälischen Detmold will der Linken das Singen der Internationalen verbieten. Weniger den Text als vielmehr die Melodie. Sein Antrag zum Parteitag ist ein Manifest, das die internationale Musiktheorie umkrempeln wird.

Von Thorsten Denkler, Berlin

Es ist gut zu wissen, was es in Wahrheit auf sich hat mit der Internationalen, diesem vermeintlich linken musikalischen Bollwerk gegen alles Nicht-Linke, gegen diese Kapitalisten und Imperialisten. Aufgedeckt hat die brisanten Zusammenhänge Horst Schmitt im schon jetzt legendären Antrag "P6" für den Europaparteitag der Linken Mitte Februar in Hamburg.

Geschichtskundige werden sich wundern. Horst Schmitt, das war doch der letzte Vorsitzende der SEW, der Sozialistischen Einheitspartei Westberlins. Aber nein. Dieser Schmitt ist 1989 verstorben. Verfasser dieses musiktheoretischen Manifestes ist Horst Schmitt aus Detmold. Und der ist oder war, das will die taz herausgefunden haben, als sachkundiger Bürger stellvertretend im Stadtrat von Detmold aktiv. Auf die Schnelle ließ sich das nicht verifizieren, soll aber Schmitts Expertise nicht schmälern.

Schmitt beweist in seinem Antrag, dass Politik immer da ist, wo auch Noten sind. Oder, um es in Schmitt'schen Original-Worten wiederzugeben: "Heißt, bei Liedern, Text mit Musik beträgt der politische Anteil allein durch die Musik immer mindestens 50 Prozent." - "Immer" und "mindestens" - schon für diese Offenbarung sollte die Musikwelt Schmitt dankbar sein.

Schmitt also will der Linken das Singen der Internationalen verbie... nein, das wäre zu profan. Lesen wir Schmitt besser wieder im Original:

"Aussetzung der akustischen oder gesanglich musikalischen Intonierung des Liedes 'Die Internationale' innerhalb der Partei DIE LINKE, bis ein Ergebnis über die zukünftige Anwendung und Verwendung vorliegt, da die gesangliche musikalische Intonierung des Liedes 'Die Internationale' zwar kämpferisch, aber auch militaristisch, gewalt- und kriegsverherrlichend ist, ein Symbol des Kapitalismus darstellt und Militarismus ein Element des rechten politischen Spektrums ist, genauso wie die deutsche Nationalhymne."

Schlimme Passagen zu streichen - das reicht Schmitt nicht

Die Internationale also ist genau wie die deutsche Nationalhymne militaristisch und das will die Linke nicht sein, weshalb sich viele Linke mit der Nationalhymne schwertun, noch nicht aber mit der Internationalen, was Schmitt jetzt ändern will.

Schmitts Augenmerk liegt dabei weniger auf dem von Emil Luckhardt 1910 verfassten deutschen Text "Völker hört die Signale, auf zum letzten Gefecht", der ja als durchaus militaristisch angesehen werden könnte. Schmitt würde es also nicht reichen, ähnlich wie mit der deutschen Nationalhymne zu verfahren und die besonders schlimmen Passagen einfach wegzulassen, die Musik aber weiter zu "intonieren".

Für Schmitt ist die ganze "Monoton rhythmische Musik" ein Ausdruck reinen Militarismus. Solcherart Musik finde sich "beim Militar, und diente mit monotonen Trommelschlägen in der Geschichte beim Einsatz von Menschenschlachten".

Musik wie die der Internationalen - von Eugène Pottiers um 1871 nichtsahnend komponiert - sei das "Symbol des Kapitalismus, da es die Zählweise von Geld 1 Euro, 2 Euro, 3 Euro usw." - da endet der Satz. Nach "usw." könnte jetzt "ist" oder "imitiert" folgen. Aber das sei dem Leser zur freien Interpretation überlassen.

Schmitt sieht auch die Musikrichtung Techno in gleicher Traditionslinie, "da dort die monotone technologische Zählweise 01 01 01 01 ... ist, woraus sich ein monotoner Musikrhythmus ergibt, der somit auch eine moderne Interpretationsform des Militarismus ist." Daraus erklärten sich, sagt Schmitt, "auch die Besucher von sogenannten Techno-Loveparades, die vorwiegend aus dem konservativen bis rechtspolitischen Spektrum kommen".

In Abgrenzung dazu formuliert Schmitt: "Friedensmusik oder Friedenslieder, melodisch gesungen zu melodischer Musik, dagegen sind immer melodisch und sind damit linkspolitisch." Hier eine kleine Auswahl bis hin zu "Ein bisschen Frieden", die Schmitt These eindrücklich bestätigen:

Wer nun aber lieber fröhlich etwa auf "Hoch auf dem gelben Wagen" mitsummen möchte, der sei von Schmitt gewarnt: "Musik mit oder ohne Text ist niemals harmlos, Musik ist immer ein politisches strategisches Element zur Beibehaltung oder Erringung der Macht. Musik ist auch immer das politisch psychologische Einwirken auf Massen."

Gerade der Wanderklassiker "Hoch auf dem gelben Wagen" sei dafür eine Paradebeispiel, das "seinerzeit von dem ehemaligen Bundespräsidenten Scheel, Angehöriger der FDP, gesungen wurde." Dieses Lied sei von Scheel "gezielt eingesetzt" worden, "da es mit einem unbedeutendem Text aber von der musikalischen Grundintention monoton rhythmisch, damit militaristisch, kriegsverherrlichend und Symbol der Nationalisten wie Rechten ist, um rechtspolitische Wählerschichten verdeckt anzuspielen und zu gewinnen".

Nach Lektüre dieses Antrages müsste die Linke geradezu gezwungen sein, das Singen zu lassen. Das wäre überdies eine akustische Wohltat für jeden Parteitagsbeobachter.

Allerdings hat die Linke schon andere wegweisende Anträge mit Missachtung gestraft. Im Bundestagswahlprogramm hätte das Verbot der Sommerzeit aufgenommen werden sollen. Im Antrag L9 zum letztjährigen Parteitag in Dresden heißt es: "Demokratie verwirklichen, Persönlichkeitsrechte schützen, Bevormundung durch Sommerzeit abschaffen!" Trotz vieler Sommerzeitgeschädigter werde "von der Staatsmacht weiterhin der Sommerzeitkurs gesteuert, wohl um nicht eine Blöße sich geben zu müssen, weil man - wie so oft - falsch bzw. gar nicht gedacht hatte."

Zuweilen zeigen sich die Linken aber auch vernünftig. Davon zeugt das Landtagswahlprogramm der hessischen Linken von 2008. Darin findet sich eine Forderung, die von einem tiefen Verständnis des Zusammenlebens von Mensch und Tier geprägt ist, nämlich der "Einführung einer gesetzlichen Krankenversicherung der Haustiere auf solidarischer Basis".

Was die hessische Linke damals vielleicht noch nicht wusste: Ein gewisser Patrick Döring, später Generalsekretär der FDP, hat schon Jahre zuvor die Agila Haustierversicherung gegründet. Die ist zwar nicht solidarisch im Sinne der Linken. Aber immerhin arbeitet die Agila mit der "Initiative für sozialkompetente Hundehalter" zusammen. Darauf ein Lied, zwo, drei!

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