Integrationsdebatte:Unsinn in allen Schattierungen

Nach Sarrazin und Seehofer herrscht bei vielen Deutschen das diffuse Gefühl vor, Massen von Muslimen würden nach Deutschland kommen. Statistiken zeichnen ein anderes Bild: Es gibt kaum noch Zuzug.

Roland Preuß

Im Grunde lebt Horst Seehofer bereits in einer Welt, die ihm gefallen müsste, nämlich in der Null-Zuwanderungs- Welt. Denn das, was der CSU-Vorsitzende am Wochenende so lautstark gefordert hat, den Zuzug aus "anderen Kulturkreisen" zu stoppen - also vor allem aus islamischen Ländern -, ist bereits seit Jahren Wirklichkeit in Deutschland.

Deutsche und türkische Fahne

Deutschland und seine Zuwanderer: Die Statistik widerspricht diffusen Gefühlen, seit sieben Jahren verlassen mehr Türken das Land, als einwandern.

(Foto: dpa)

Unter dem Strich gibt es kaum noch Einwanderer aus muslimischen Staaten. Vergangenes Jahr zogen gut 8000 Menschen mehr in die Türkei, als umgekehrt nach Deutschland kamen: Rentner, die in ihre alte Heimat zurückkehrten, beispielsweise. Auch nach Bosnien-Herzegowina wanderten fast 1500 Menschen mehr aus, als einwanderten. Auswanderungsland Deutschland - das gilt auch für Muslime.

Zweifellos ziehen Asylschutz und Wohlstand weiterhin Menschen an. Vor allem aus dem Irak und dem Kosovo gibt es unter dem Strich weiter muslimische Migration nach Deutschland. Das gleicht die Abwanderung aus. Der breiteste Weg nach Deutschland ist bereits seit vielen Jahren der Nachzug von Ehegatten und Kindern, den insbesondere viele Türken nutzten, um ins Land des Wohlstands zu gelangen.

Die Asylbewerber scheitern an den Außengrenzen

Doch strengere Vorgaben haben diesen Weg zum schmalen Pfad werden lassen, es kommen deutlich weniger, gerade aus der Türkei. Zogen im Jahr 2002 noch gut 85.000 Partner und Kinder von Ländern außerhalb der EU zur übrigen Familie, so waren es im Jahr 2008 nur noch gut 39.000 - weniger als die Hälfte. Hier hat sich der Sprachtest für Ehepartner ausgewirkt, die seit 2007 schon im Heimatland nachweisen müssen, dass sie wenigstens einfaches Deutsch können.

Der zweite Hauptweg ins Land ist der über ein Asylverfahren. Hier fällt vor allem die hohe Zahl an Irakern auf, von denen vergangenes Jahr 6500 einen Asylantrag stellten, unter ihnen viele irakische Christen. Auch Türken sind wegen der anhaltenden Gewalt im kurdisch besiedelten Osten des Landes mit mehr als 1400 Antragstellern vertreten. Diese Zahlen verblassen allerdings im Vergleich zur Asylzuwanderung Anfang der neunziger Jahre, als in der Spitze 438.000 Menschen einen Asylantrag stellten - unter ihnen viele Muslime.

Die meisten Asylsuchenden scheitern heute bereits an den immer strenger überwachten Außengrenzen der EU oder stranden in den Ländern, in denen sie erstmals Unionsboden betreten haben, also vor allem in Griechenland, Italien und Spanien. Selbst wer es bis nach Deutschland schafft, muss in diesen Unionsstaat zurück, so sieht es EU-Recht vor. Die Regelung ist eine der Hauptgründe für die seit Jahren niedrigen Asylbewerberzahlen.

Wer es dennoch schafft und bleiben darf, kann nicht mit baldigem Wohlstand rechnen. In der Regel erkennen deutsche Behörden und Unternehmen die Schul- und Ausbildungsabschlüsse aus Ländern von außerhalb der EU nicht an, ehemalige Buchhalter oder Professoren müssen sich deshalb als Kellner oder Hilfsarbeiter durchschlagen - oder sie bleiben arbeitslos. Diese Probleme teilen sie mit vielen einstigen Gastarbeitern, die ganz bewusst für einfache Arbeiten ins Land geholt worden waren. Nachdem dann ihre Zeche oder ihr Autozulieferbetrieb geschlossen hatte, fehlten die Jobs für sie.

"Die Rolle der Religion ist überschätzt"

Allerdings ist die wirtschaftliche Rolle der etwa vier Millionen Muslime in Deutschland längst nicht mit Hilfsjobs, Gemüsehandel oder Hartz IV beschrieben. Es gibt zahlreiche Erfolgsgeschichten, vom Tourismusunternehmer Vural Öger über den Regisseur Fatih Akin bis hin zur niedersächsischen Sozial- und Integrationsministerin Aygül Özkan (CDU).

Horst Seehofer

Horst Seehofer will eine Begrenzing der muslimischen Zuwanderung - es bleibt nur die Frage: Welcher?

(Foto: dpa)

Laut einer Untersuchung des Zentrums für Türkeistudien der Universität Duisburg-Essen gibt es fast 64.000 von Deutsch-Türken gegründete Unternehmen, die nahezu 30 Milliarden Euro im Jahr umsetzen. Sie haben mittlerweile deutlich mehr als 300.000 Arbeitsplätze geschaffen. Zugleich suchen Umfragen zufolge viele der deutsch-türkischen Akademiker ihr Glück in der Türkei: Dort wächst die Wirtschaft schneller, und sie haben bessere Aufstiegschancen als in Deutschland, wo ihre türkischen Wurzeln oft von Nachteil sind.

"Der Konsens ist gefährdet"

Insgesamt wimmelt es bei dieser größten muslimischen Zuwanderer-Gruppe, den 2,6 Millionen Türkischstämmigen, allerdings vor Problemen: Der jüngste Forschungsbericht des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge bescheinigt ihnen unter den großen Gruppen das geringste Bildungsniveau, die Arbeitsagenturen registrieren unter den Türken eine gut doppelt so hohe Arbeitslosenquote wie unter Einheimischen.

Was hat dies nun mit dem Islam zu tun? Wenig, kann man mit Blick auf die aus dem islamischen Iran Zugewanderten sagen: Sie schneiden laut Bundesamt in Bildung und Beruf teilweise besser ab als die Einheimischen, fast zwei Drittel der iranischstämmigen Schüler erreichen in Deutschland das Abitur oder die Fachhochschulreife. Viele von ihnen sind Bildungsbürger, die vor dem Mullah-Regime in ihrer Heimat geflohen sind. "Es gibt unter den Muslimen eine große Vielfalt", sagt der Präsident des Bundesamtes, Albert Schmid. "Die Rolle der Religion ist überschätzt."

So wie viele andere Fachleute fasst sich Schmid angesichts der Sarrazin-Debatte und der Seehofer-Forderungen an den Kopf. Er sieht die Grundsätze in Frage gestellt, die mühsam unter den großen Parteien erstritten worden sind: Auf die Integration der Zuwanderer zu setzen statt auf ihre Rückkehr und das Land vorsichtig für Fachkräfte zu öffnen. "Dieser über zehn Jahre erreichte Konsens ist nun gefährdet", warnt Schmid.

Sichtbar wird dies an der Seehofer- Forderung, der Fachkräftemangel dürfe nicht durch Einwanderer aus anderen Kulturkreisen behoben werden. Damit fällt er hinter die Green-Card-Initiative des damaligen Bundeskanzlers Gerhard Schröder (SPD) zurück, der vor zehn Jahren anfing, IT-Experten und andere Fachkräfte aus Indien, der Türkei und weiteren fernen Ländern zu holen. Diese kommen anders als einst die Gastarbeiter meist aus wohlhabenden Familien und bringen einen Universitäts-Abschluss mit. "Natürlich sind das nicht die Leute, die Probleme bereiten", sagt Schmid. Als Angehörige eines anderen Kulturkreises hat sie Seehofer nun dennoch zu unerwünschten Zuwanderern erklärt.

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