Integration:Wie Hamburger Flüchtlingsunterkünfte verhindern

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In Hamburg-Blankenese verhinderten Anwohner eine Flüchtlingsunterkunft. (Foto: dpa)
  • In Hamburg wehrt sich eine Volksinitiative gegen Flüchtlingsunterkünfte für mehr als 3000 Personen.
  • Auf einer Bürgerversammlung in Eidelstedt beklagen Anwohner, dass ihr Viertel ohnehin schon ein sozialer Brennpunkt sei.
  • Doch auch in noblen Vierteln wie Blankenese, wo nur 192 Flüchtlinge untergebracht werden sollen, regt sich Protest.

Von Hannah Beitzer, Hamburg

"Wir lehnen jegliche Unterstützung von rechten Parteien oder Organisationen (bspw. AfD) ab!" Rot umrandet steht der Hinweis auf der Seite der Bürgerinitiative und knapp darunter: "Unterschriften, die wir Sammlern der AfD oder ähnlichen Organisationen zuordnen können, werden wir sofort vernichten."

Ob nun mit oder ohne AfD: Die Volksinitiative, die in Hamburg den Bau von Folgeunterkünften für mehr als 3000 Flüchtlinge verhindern will, sammelte innerhalb weniger Tage 26 000 Unterschriften. Die Initiative hatte sich gegründet, nachdem bekannt geworden war, dass die Stadt mehrere Siedlungen für bis zu 3200 Personen plant. 40 000 neue Plätze sollen insgesamt bis Ende des Jahres entstehen. Fremdenfeindlich will die Volksinitiative explizit nicht sein - sie nennt sich "Hamburg für gute Integration".

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Was ist "gute Integration"?

Gute Integration ist nach Meinung der Initiatoren nur möglich, wenn Flüchtlinge in kleineren Gruppen über das ganze Stadtgebiet verteilt werden - und nicht in "Ghettos" leben müssten. Die Initiative fordert unter anderem, dass zwischen Flüchtlingsunterkünften mindestens ein Kilometer Luftlinie liegen müsse. Wütend sind die Initiatoren unter anderem deswegen, weil die Stadt trotz ihrer Unterschriftensammlung weiter Unterkünfte plant. Ein Volksentscheid auf Landesebene könnte aufgrund der rechtlichen Hürden zu spät kommen, fürchten die Gegner der Pläne - und haben sich deswegen darauf verlegt, in jedem betroffenen Bezirk den Bau der Unterkünfte mit Bürgerbegehren zu verzögern.

Um eines der kritisierten "Ghettos" ging es auch am Mittwochabend auf einer Informationsveranstaltung in Hamburg-Eidelstedt. 800 öffentlich geförderte Wohnungen sollen dort entstehen, in etwa 600 davon sollen Flüchtlinge leben. Nach einigen Jahren sollen die Flüchtlingswohnungen normale Sozialwohnungen werden. Ein Spaß war die Veranstaltung nicht für die Vertreter von Senat, Bezirk und Planungsbehörden, die sich abmühten, die Bürgerbeteiligung ausdrücklich zu loben.

"Abwählen sollte man euch", ruft gleich zu Beginn der Diskussion ein Mann unter lautem Beifall. "Wir möchten nicht, dass Sie uns 3000 Flüchtlinge einfach vor den Latz knallen", sagt eine Frau, "ich bin empört von dem, was ich hier höre und sehe!" Eine Diskutantin äußert die Befürchtung, das für die Siedlung vorgesehene Grundstück könnte kontaminiert sein, weil zuvor ein Gartenunternehmen die Fläche nutzte.

Angst um den sozialen Brennpunkt

Andere machen sich Gedanken um den Lärmschutz, die nächsten um die S-Bahn-Anbindung. Und immer wieder kommt das Argument: Die Gegend, in der die Siedlung geplant sei, sei ohnehin schon ein sozialer Brennpunkt - und da sollen nun noch mehr Sozialwohnungen hin? Warum nimmt man nicht die besseren Stadtteile in die Verantwortung?

Wer sich mit den Besuchern der Veranstaltung unterhält, kommt unweigerlich auf einen dieser besseren Stadtteile zu sprechen: Blankenese. Anwohner des noblen Viertels haben diese Woche den Bau einer Flüchtlingsunterkunft für 192 Menschen, für den Bäume gefällt werden sollen, mit ihren Autos blockiert - und schließlich vor Gericht einen einstweiligen Baustopp erreicht.

Eine verdatterte Sprecherin der zuständigen Betreibergesellschaft Fördern und Wohnen sagte danach: "So einen handfesten Widerstand gegen eine Unterkunft haben wir in Hamburg seit Monaten nicht mehr erlebt." Eine Biologin, die die zu fällenden Bäume mit einer Spraydose markieren wollte, sei beschimpft und ihr die Spraydose weggenommen worden.

Den klagenden Anwohnern geht es eigenen Aussagen zufolge auch nicht darum, dass grundsätzlich keine Flüchtlinge in ihr Viertel sollen. Sie machen sich ihrem Anwalt zufolge Sorgen um die Umwelt: Auf dem Grundstück gebe es zahlreiche schützenswerte Tiere und Pflanzen. Endgültig gestoppt ist der Bau nicht, er wird sich aber verzögern. Denn frühestens im Juli soll es wieder eine Genehmigung für Baumfällungen geben. Eigentlich sollte die Unterkunft im Juni fertig sein.

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Erinnerungen an Harvestehude

Das erinnert an einen anderen Fall, der Hamburg im vergangenen Jahr beschäftigte. Im schicken Harvestehude hatten ebenfalls Anwohner gegen eine Flüchtlingsunterkunft geklagt und den Bau damit um Monate verzögert. Damals hieß es: Die Unterkunft, in der etwa 200 Flüchtlinge wohnen sollten, sei zu groß und passe nicht in das Wohnviertel. Für Empörung hatten unter anderem Aussagen von Anwohnern gesorgt, wonach es für Flüchtlinge in der noblen Umgebung ja gar keine Einkaufsmöglichkeiten gäbe. Dort sind die Flüchtlinge allerdings inzwischen eingezogen.

Auf der Bürgerversammlung in Eidelstedt ist nun Blankenese das große Thema. Hier nach Eidelstedt sollen 3000 Flüchtlinge - und die Bonzen halten nicht einmal 192 aus? Rassisten seien das, nichts weiter! Anders als man selbst. "Mit Blankenese haben wir nichts zu tun", sagt zum Beispiel eine Frau, die am Eingang Unterschriften für das Bürgerbegehren gegen die Unterkunft in Eidelstedt sammelt.

Die drei so unterschiedlichen Fälle - Eidelstedt, Harvestehude, Blankenese - vermitteln einen Eindruck, den eine Besucherin der Bürgerversammlung formuliert: "Ich verstehe, dass sich hier manche Sorgen machen. Aber was mir nicht gefällt, ist der Unterton: Überall - aber bloß nicht bei mir." Not in my backyard: Dieser Verdacht steht in Hamburg. Denn natürlich ist jeder Kläger, jeder Gegner einer Unterkunft von seinen Argumenten überzeugt - sei es nun der Umweltschutz oder die Frage, wo die beste Integration für Flüchtlinge möglich sei. Für fremdenfeindlich hält sich keiner von ihnen.

"Hamburg integriert" als Gegengewicht

Inzwischen äußert eine ganz andere Gruppe Hamburger laut ihren Unmut: Etwa 60 Flüchtlingsinitiativen haben sich in dem Verband "Hamburg integriert" zusammengeschlossen, der sich ausdrücklich als Gegengewicht zur Volksinitiative versteht. "Wir möchten ein Volksbegehren zur Unterbringung von Flüchtlingen abwenden", sagte Gründungsmitglied Claus Grötzschel dem NDR. "Die Stadt nennt sich ja auch Tor zur Welt. Wir wollen verhindern, dass eine kleine Gruppe dieses Tor zuschlägt."

Wie klein diese Gruppe tatsächlich ist - das wird sich in den kommenden Monaten zeigen, wenn es zu Bürgerbegehren und vielleicht sogar zu einem Volksentscheid kommt.

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