Integration:Unser Rasen, unsere Regeln

Zum Beispiel Steinach im Kinzigtal: Einheimische schimpfen über Flüchtlinge. Aber mit ihnen reden? Käme überhaupt nicht infrage. Eindrücke aus einem Idyll, in dem zwei Welten aufeinanderprallen.

Von Bernd Kastner

Was für ein Getöse. Es reicht!, rufen sie alle. Die Greiners sagen das und ihre Nachbarn sehen das genauso. "Die Ruhe ist weg", schimpft der eine, und der nächste sagt: "Ich habe keine Nerven mehr." Sie alle meinen ihre neuen Nachbarn, die im ehemaligen Hotel wohnen.

Steinach im Kinzigtal, keine 3000 Einwohner im Kernort, umgeben von der Idylle des Schwarzwalds. An der Kirchgasse, einen Steinwurf vom Rathaus entfernt, steht die "Alte Bauernschänke", ein wuchtiger Bau. Die Gemeinde hat das frühere Hotel günstig ersteigert und bringt dort seit zweieinhalb Jahren Flüchtlinge unter, anfangs nur ein paar, seit Herbst vergangenen Jahres sind es etwa 30. Drumherum stehen die Eigenheime der Einheimischen. Zwei Welten prallen hier aufeinander, jede ist auf ihre Art laut, und doch dominiert die Sprachlosigkeit. Hier lässt sich im Kleinen beobachten, was noch zu tun ist im Zeitalter der Integration.

Klaus Greiner und seine Frau Maja, beide Mitte 70, sitzen auf ihrer Terrasse, es ist Nachmittag, am lautesten sind gerade die Vögel. Die Greiners wollen ihr Haus verkaufen, weil sie es nicht mehr aushalten. Vor 45 Jahren haben sie es gebaut, der Garten ist ihr Paradies. Aber jetzt könnten sie keine Nacht mehr schlafen, so laut sei es nebenan, wo die Gemeinde "einfach Asylanten reingemacht hat". Herr Greiner hat sogar einen Brief an Bundeskanzlerin Angela Merkel geschrieben: "Wir wollen vor diesen Zuständen fliehen! Aber wir können unser wertvolles und schönes Haus nicht einmal weit unter Wert verkaufen, da niemand in die Nachbarschaft der Asylanten ziehen möchte."

Weil ihr diese Flüchtlinge reinholt, müssen wir weg - ist das die Lösung? Jedes Gespräch mit den Nachbarn landet schnell bei den Klagen über den Lärm: Kinder schreien, Erwachsene telefonieren bis tief in die Nacht auf den Balkonen. "Wir haben so die Schnauze voll, weil wir nachts nicht mehr schlafen können", sagt Greiner, und Hansjörg Buchholz, ein weiterer Nachbar, sagt: "Mir geht der Krach auf den Sack." Er ist 60, schafft Schicht und erzählt, was er kürzlich nachts zu den Flüchtlingen rübergebrüllt habe. Dass sie "die Schnauze halten" sollten, und "Dreckspack" habe er auch geschrien. Jetzt ist es Vormittag, er sitzt neben seinem Teich mit den bunten Koikarpfen: "Ich muss aufpassen", sagt Buchholz, "dass ich nicht rabiat werde." Nikolaus Obert, 60, sitzt im Wohnzimmer und sagt, dass er nichts gegen Flüchtlinge habe, aber: "Ich will meine Ruhe haben." Sie seien Gäste und müssten sich "an unsere Regeln halten".

Die Wortwahl ist das eine, der Krach das andere. Zwar ist Lärm alltäglich in Deutschland, mal stört der Autoverkehr, mal die feiernde WG im Mietshaus. Auch an der Kirchgasse kennt man Krach aus der Bauernschänke, er kam früher aus der Großküche und von Lastwagen, man hatte sich daran gewöhnt. Jetzt aber, da das Gästehaus Geflohene beherbergt, ist alles anders, jetzt sind Flüchtlinge die Störer, und wie die Deutschen über diese "Störer" reden, geht mitunter ins Rassistische. Steinach steht für viele Orte im Deutschland des Jahres 2016. Was darf ein Deutscher von einem Flüchtling erwarten - und umgekehrt? Wie viel Rücksicht ist nötig, wann darf Toleranz enden? Schon die Vorstufe der Integration, das Nebeneinander, ist schwer zu leben.

Hansjörg Buchholz, 60, Nachbar:

"Ich will meine Ruhe haben. Mir geht der Krach auf den Sack. Ich muss aufpassen, dass ich nicht rabiat werde. Ich habe keine Nerven mehr."

Besuch bei den Nachbarn, den unmittelbaren. Überall ist Empörung, und in jedem Haus stellt sich am Ende die eine Frage: Haben Sie denn einmal direkt den Kontakt zu den Flüchtlingen gesucht und sie um Rücksicht gebeten? Nein, sagt Klaus Greiner, aber er sei mehrmals ins Rathaus gegangen, habe sich beschwert, doch wirklich ernst genommen fühle er sich nicht. Immer wieder habe es geheißen: Die Mentalität der Flüchtlinge sei eben eine andere, was wolle man da machen. Und wie wäre es, mit den Geflohenen selbst zu sprechen? Nikolaus Obert sagt: "Das will ich gar nicht, weil die mich so auf die Palme gebracht haben." Außerdem habe er mal versucht, sie zu grüßen. "Dass ich noch mal einen Versuch mache, sehe ich nicht ein." Mit ihnen reden? "Das mach' ich nicht", sagt Hansjörg Buchholz. Warum nicht? "Warum soll ich das machen?" Gerne antworten die Nachbarn mit einer Gegenfrage: "Warum soll ich mit denen ein Gespräch führen?", fragt auch Inge Schwendemann, 62, und Greiner sagt: "In das Haus wollen wir nicht reingehen." Außerdem könne er sich nicht verständigen.

Man ist versucht, die Nachbarschaft politisch rechts einzusortieren, aber das funktioniert nicht. Klaus Greiner erzählt, dass er früher immer FDP gewählt habe. Dann, bei der letzten Bundestagswahl, habe er aus Protest SPD gewählt. Und jüngst, bei der Landtagswahl, habe er den Grünen seine Stimme gegeben, wegen Ministerpräsident Kretschmann.

Yasmine Arnold sagt, sie habe vor der Landtagswahl im Frühjahr den Wahlomat befragt, und der habe AfD ausgespuckt. Also habe sie AfD gewählt. Dass diese Partei nächstes Jahr in den Bundestag komme, das hoffe sie aber nicht. Yasmine Arnold, 38, ist eine Ausnahme in der Kirchgasse, sie hat selbst Migrationshintergrund, ihr Vater ist Franzose aus der Karibik. Zwar findet auch sie, dass zu viele Flüchtlinge kommen, zwar wird auch sie zornig, wenn Kinder ihre Blumen im Garten einfach abreißen. Sie aber geht regelmäßig rein ins Heim und redet mit den Leuten. Ihre Töchter spielen mit Flüchtlingskindern, sie selbst kümmert sich um ein syrisches Mädchen. Yasmine Arnold will sich arrangieren. Sie wünscht sich, dass das auch die anderen Anwohner versuchen und die Gemeinde sich mehr um Integration kümmert. Die Arnolds werden genau beobachtet von den Nachbarn, was nicht heißt, dass sie viel miteinander reden.

Das Kinzigtal ist CDU-Land, Heimat von Wolfgang Schäuble. Steinachs Bürgermeister Frank Edelmann gehört auch der CDU an, er ist seit 15 Jahren im Amt und kennt sein Dorf. Aber weiß er auch, wie die Stimmung um die Bauernschänke ist? Er erzählt, dass seine Frau Griechin ist und ehrenamtlich eine Familie in der Bauernschänke betreut. "Ich bin da wirklich nah dran." Er wisse, dass an der Kirchgasse "zwei unterschiedliche Lebensformen aufeinandertreffen". Der Bürgermeister wägt jeden Satz, sagt etwas, nimmt das Gesagte wieder halb zurück, bloß kein falsches Wort. Das "deutsche Ordnungsdenken", so beginnt er, dann bremst er sich, "nennen wir es vielleicht Werte", die Steinacher Werte also "treffen auf anders geprägte Werte, die die Flüchtlinge mitbringen". Es gehe um "kleine Dinge, kleine Wertedifferenzen". Und wie ist die Stimmung rund um die Bauernschänke? "Was soll ich jetzt sagen? Manche regen sich mehr auf und andere betrachten das sehr analytisch."

Jeden Monat gebe es ein Begegnungscafé für Einheimische und Asylsuchende, sagt der Bürgermeister. Und? Gehen da auch die Nachbarn hin? Edelmann zögert. Hm, nein, soweit er wisse, eher nicht. Ganze zweieinhalb Jahre dauerte es nach dem Einzug der ersten Flüchtlinge ins alte Hotel, ehe der Bürgermeister die Nachbarn ins Rathaus einlud, Anfang Juli war das. Es wurde ein Krisentreffen, die Stimmung wird als gereizt beschrieben, aber immerhin, man will sich jetzt regelmäßig zusammensetzen.

©ARTIS-Uli Deck// 15.07.2016 Fluechtlingsunterkunft in Steinach mit den Nachbarn Herrn Klaus Greiner und Herr Buchholz

Hansjörg Buchholz und Klaus Greiner (v. l.) wollen, dass die Flüchtlinge leiser sind. Aber es werde besser, sagen sie: Greiner musste vergangene Woche nur einmal nachts zu ihnen hinüberbrüllen.

(Foto: ARTIS/Uli Deck)

Christine Haas-Matt war auch dabei, die Sozialarbeiterin gehört zum ehrenamtlichen Helferkreis, sie geht ein und aus in der Bauernschänke, und auch sie hat erst in jüngster Zeit realisiert, wie groß der Groll ist: "Das habe ich nicht kommen sehen." Auch sie habe die Spannungen unterschätzt und gedacht, dass sich alles einspielt, es habe sich ja auch kein Nachbar bei ihr gemeldet. "Wir haben nichts erfahren." Dabei verstehe sie den Ärger, "da muss sich etwas tun". Die Helfer arbeiten mit der Caritas zusammen und mit einem Tunesier, Adel Daoud, der seit Jahrzehnten im Kinzigtal lebt und seine Dolmetscherdienste anbietet. "Man kann mit den Leuten reden", sagt Daoud über die Flüchtlinge. "Die hören zu. Und sie machen, was wir verlangen." Es seien ja nur ein paar Bewohner zu laut, auch andere Flüchtlinge störe das. Er hat den Nachbarn seine Telefonnummer gegeben, sie dürften ihn anrufen, wenn was ist, Tag und Nacht. "So kann es ja nicht weitergehen."

In Begleitung der Helfer stehen einem die Türen der Bauernschänke offen. Erster Stock, eine Mutter aus Kosovo serviert in ihrem Zimmer Kaffee und Kuchen. Erdgeschoss, eine Mutter aus Syrien serviert Gebäck und Tee, bald kommt ihr drittes Kind auf die Welt, der Vater arbeitet als Ein-Euro-Jobber im Gemeindeschwimmbad. Ein junger Syrer setzt sich dazu, 18 ist er gerade geworden. In gutem Englisch erzählt er, dass die Bewohner inzwischen darauf achteten, nachts leise zu sein, dass sie nach zehn Uhr abends nur noch drinnen telefonieren. Nebenan aber wirkt das nur bedingt: "Es ist ruhiger geworden", sagt Hansjörg Buchholz. Na ja, sagt Klaus Greiner. "Ich möchte es nicht als gut bezeichnen, aber es ist etwas besser geworden." Er habe vergangene Woche nachts nur einmal rüberrufen müssen. Zu diesem Begegnungscafé werde er aber nicht gehen, "weil ich es ablehne, mit diesen Leuten großen Kontakt aufzunehmen".

Der junge Syrer erzählt von seinen ersten Tagen in Steinach. Da habe er sich bei den deutschen Nachbarn vorstellen wollen, und er habe an einer Tür geklopft. Ein Mann hat aufgemacht und ihn weggeschickt. Warum?, fragt sich der Syrer. Muss man mit den Deutschen immer einen Termin vereinbaren? Oder wollen sie keine Flüchtlinge? Die Asylhelferin Haas-Matt kennt diese Geschichte. Der deutsche Nachbar habe ihr hinterher gesagt, dass ihm das leid getan habe, dass der Syrer in einem ungünstigen Moment geklopft habe.

Der junge Mann muss jetzt los, er macht ein Praktikum in der Küche eines Hotels. Er kenne auch freundliche Nachbarn, aber an eine Tür habe er nicht noch mal geklopft. Er wollte sich nicht noch einmal fühlen wie ein Bettler, der abgewiesen wird. So funktioniert sie, die Schweigespirale in Steinach.

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