Integration:Die einen tüfteln, die anderen schweigen

Integrationspolitik ist das derzeit wichtigste Element einer guten Sicherheitspolitik in Deutschland. Umso erstaunlicher ist, dass Grüne und Sozialdemokraten so stumm zusehen, wie die Unions-Innenminister Pläne austüfteln.

Von Ronen Steinke

Die schlimmsten islamistischen Anschläge in Europa wurden nicht von Flüchtlingen begangen, sondern von Einwanderersöhnen. Ihre Junge-Männer-Wut hat sich über Jahre aufstauen, aufschaukeln und am Ende eine fatale Sinngebung suchen können: Es waren frustrierte Franzosen aus der Banlieue, abgehängte Belgier aus dem Problemviertel Molenbeek. Abschottung, Zurückweisung, das Gefühl des Nicht-Dazugehörens sind die wichtigsten Quellen des Euro-Dschihadismus - auch in Deutschland, wo die sozialen Gräben nicht so tief sind wie in manchem Nachbarland; wo sich aber infolge des großen Zuzugs von Muslimen mit ungewisser Zukunft die Probleme verschärfen könnten in den kommenden Jahren.

Keine Frage, der deutsche Staat wird bei neu ankommenden Flüchtlingen genauer hinsehen müssen, gerade wenn in deren Unterkünften Salafisten auf Werbetour gehen. Das viel größere, langfristig gefährlichere Thema ist jedoch dieses: Nicht alle Dschihadisten sind sozial Abgehängte. Aber der Lebensentwurf, den Hassprediger anbieten, spricht vor allem junge Männer an, die mit anderen Lebensentwürfen schon gescheitert sind. Deutsche Behörden zählen Hunderte gewaltbereite Islamisten, vor allem in Migrantenvierteln, in denen sich auch andere kriminelle Karrieren häufen; die Franzosen bereits Tausende. Damit keine Zustände wie in Frankreich oder Belgien erwachsen, ist Integrationspolitik das derzeit wichtigste Element der Sicherheitspolitik.

Die Minister von CDU und CSU regen die Debatte an. Immerhin

CDU und CSU haben schon recht, wenn sie die beiden Themen miteinander verknüpfen: einerseits klassische Kriminalitätsbekämpfung, andererseits jene Kriminalitäts-Ursachenbekämpfung, welche die Unions-Innenminister in ihrem Papier neulich im Kapitel über "Zusammenhalt" genannt haben. Also die gesellschaftliche Anbindung von Gruppen, die sich bislang selbst marginalisieren oder (worüber die Union nicht ganz so gern redet) marginalisiert werden. Es gehört auch dazu, über Niqabs und Deutschkenntnisse zu reden, selbst wenn Niqab-Trägerinnen wirklich die letzten sind, von denen Gewalt ausgeht. Dass gute Sozialpolitik die beste Kriminalprävention bedeutet, ist traditionell sogar eher eine Erkenntnis von Linken gewesen als von Konservativen.

Umso erstaunlicher ist, dass die anderen Parteien so stumm zusehen, wie die Unions-Innenminister Pläne austüfteln - vor allem Grüne und Sozialdemokraten, die sich in Sachen Integration eigentlich etwas auf ihre Kompetenz zugutehalten. Die Union hat einen wertvollen Anstoß zur Wiederbelebung der Debatte gegeben, wertvolle Argumente aber noch nicht unbedingt. Für Migranten soll es künftig wieder weniger deutsche Pässe geben? So empfiehlt es jetzt die CSU. Sicher, der Blick nach Frankreich zeigt, dass ein großzügiges Staatsbürgerschaftsrecht nicht schon ein besseres Gemeinwesen schafft. Es lindert das Elend in den Banlieues nicht sehr, dass die Menschen dort französische Pässe haben. Was ihnen fehlt, sind Chancen. Aber: Wer glaubt, dass man auf der Kippe stehende junge Männer in die Gesellschaft zurückholt, indem man ihnen den Pass nimmt?

Ein Grund, weshalb Deutschland bislang relativ glimpflich davongekommen ist, liegt hierin: Die allermeisten Muslime in Deutschland sind (bislang) türkischstämmig, anders als in Frankreich, wo die meisten aus dem Maghreb stammen. Wenn deutsche Behörden sich erleichtert darüber zeigen, dass frustrierte, zum Autoritären neigende Deutschtürken ein so ansprechendes Angebot im Erdoğan-Nationalismus entdecken, dass sie bislang kaum zu den Salafisten gehen - dann führt das vor Augen, welche soziale Misslage meist am Anfang einer Radikalisierung steht. Die Ideologien sind dann im Grunde auswechselbar.

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