Integration:Deutsche Einheit, die zweite

Lesezeit: 3 min

Endlich wird Integrationspolitik gemacht - trotzdem haben die Türken in Deutschland Angst vor dem steigenden Assimilierungsdruck.

Heribert Prantl

In der Natur hört man das Echo spätestens nach ein paar Sekunden. In der Politik kann das viele Jahre dauern. Die Philippika, die der türkische Premier Tayyip Erdogan soeben in Köln gegen die Assimilierung gehalten hat, ist keine Antwort auf Bestrebungen der aktuellen Politik. Erdogan antwortet nämlich nicht auf Wolfgang Schäuble, sondern auf Schily.

Der türkische Rgeirungschef Erdogan trat am Sonntag in Köln vor fast 16.000 Landsleuten auf. (Foto: Foto: ddp)

Otto Schily, der Vorgänger Schäubles als Bundesinnenminister, hat vor knapp sechs Jahren das Wort Assimilierung in die Zuwanderungsdebatte geworfen; er war es, der recht apodiktisch sagte: "Die beste Form der Integration ist die Assimilierung". Es gibt heute in der Bundesregierung niemand mehr, der so etwas fordert.

Stattdessen gibt es erste positive Bilanzen bei den Integrations- und Sprachkursen, zu denen der Staat seit dem Jahr 2005 einlädt; stattdessen gibt es einen ambitionierten nationalen Integrationsplan; und demnächst wird die dritte deutsche Islamkonferenz Vorschläge zur Einführung eines staatlichen Islam-Unterrichts an den Schulen machen. Bei allen Problemen, die es gibt und die gern in den Vordergrund gestellt werden: Die Integration lebt.

Das Drohwort

Im Jahr 2002, als Schily für die Assimilierung der Türken plädierte, reagierten deren Vertreter und Verbände wie vor den Kopf gestoßen. Da half es auch nichts, dass Schily in seiner näheren Erklärung des Wort "Assimilierung" beschwichtigend definierte: "Assimilierung heißt zunächst einmal", so Schily seinerzeit, "dass eine gewisse Anpassung und Angleichung an die hiesigen Lebensverhältnisse stattfindet.

Dabei verändern sich dann natürlich mehr oder weniger sachte auch die hiesigen Lebensverhältnisse." Das war eigentlich eine passable Definition für das, was man üblicherweise unter Integration versteht.

Aber Schilys unbedachtes Wort hatte ganz andere Empfindungen geweckt: Es verstärkte die Ängste, die damals mit der Leitkultur-Debatte wachgerufen worden waren. Viele Türken in Deutschland verstanden und verstehen unter Assimilierung so etwas wie eine Abschiebung: Der deutsche Staat, so das mulmige Gefühl, wolle nun zwar nicht mehr, wie früher, den ganzen Türken aus Alemanya entfernen, aber doch seine Identität und seine Sprache.

Niemand verlangt Abschneiden der Wurzeln

Viele empfanden und empfinden das Wort Assimilierung als ein staatliches Drohwort, das von ihnen verlangt, zu vergessen, wo man herkommt, das von ihnen fordert, ihre Wurzeln abzuschneiden. Es gibt heute in der Bundesregierung niemand, der so etwas verlangt.

Niemand tut mehr so, als könne man die deutsche Gesellschaft homogenisieren und sterilisieren wie die Milch. Auch die Unions-Politiker, die ehedem eine deutsche Leitkultur propagiert haben, reden heute vom kulturellen Reichtum, den die Einwanderung nach Deutschland getragen habe.

Aber die Angst zumal der türkischen Wohnbevölkerung vor dem vermeintlichen Assimilierungsdruck kommt nicht aus dem Nichts. Sie ist die Frucht einer jahrzehntelangen falschen Politik: Vor 25 Jahren behaupteten nicht nur Rechtsradikale, sondern Politiker etablierter Parteien, dass Ausländer keine Mitbürger seien. Und viele Politiker auch der Volksparteien lebten viele Jahre in dem Irrglauben, man könnte die Einwanderung wieder rückabwickeln; um Integration wollte und brauchte man sich daher nicht zu kümmern, Sprachkurse waren nicht so wichtig. Warum sollte man "Gastarbeiter" integrieren? Warum sollten sie Deutsch lernen?

Stattdessen legte die Politik sogenannte Rückkehrprogramme auf. Erst das sogenannte Zuwanderungsgesetz vom 5.August 2004, in Kraft seit Anfang 2005, brachte das, was man einen Paradigmenwechsel nennt: eine grundsätzliche Neubesinnung. Wie schwer sie ist, zeigt schon der Name des Gesetzes: Das Wort "Einwanderung" wurde ersetzt durch "Zuwanderung".

Schäuble häkelt

Dieses Gesetz ist zwar nicht der ursprünglich geplante große Teppich, auf dem Integration stattfinden kann; es ist eher ein Topflappen - aber an diesem Topflappen wird seitdem eifrig weitergehäkelt: nicht zuletzt von Bundesinnenminister Schäuble. Er weiß, dass Integration sehr viel mehr sein muss als die Addition aller Dönerbuden in den deutschen Fußgängerzonen.

Schäuble, der in seiner ersten Amtszeit als Innenminister Architekt der deutschen Wiedervereinigung war, knüpft nun daran an. Seine Islamkonferenz und die Arbeitsgruppen, die deren Sitzungen vor- und nachbereiten, dazu der Integrationsgipfel im Kanzleramt - das alles ist der Versuch, eine zweite deutsche Einheit zu organisieren: die Vereinigung von Bürgern deutscher und ausländischer Herkunft.

Wenn es um Integration geht, erlebt man einen ganz anderen Schäuble als bei den Debatten über Sicherheitsgesetze. Das verblüfft. Aber es gibt eine Verbindung: Integration ist der wichtigste Beitrag zum inneren Frieden.

© SZ vom 12.02.2008/maru - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: