Integration:Babylon auf dem Pausenhof

Beim Thema Deutschsprechen an Schulen sind die Aggressionen groß. Jedenfalls in Berlin.

Constanze von Bullion

Vielleicht liegt es ja daran, dass viele Journalisten selbst Kinder an Berliner Schulen haben. Sicherlich sind auch einige Vertreter der türkischen Verbände im Nebenberuf Eltern und kennen den Schulalltag nur zu gut.

Dass aber bei einer ganz gewöhnlichen Pressekonferenz so wütend geschimpft wird und manche Reporter ihre Fragen stellen, als hielten sie ein Gewehr den Händen, das zeigt vor allem eines: Beim Thema Deutschsprechen an Schulen sind die Aggressionen groß. Jedenfalls in Berlin.

Es war der Türkische Bund Berlin-Brandenburg, der am Donnerstag unter die Stuckdecken seines Kreuzberger Büros eingeladen hatte, um der Presse zu erklären, was türkische Eltern und Lehrer von der Entscheidung einer Berliner Schule halten, auf dem Schulhof nur noch Deutsch sprechen zu lassen.

Acht Muttersprachen

Die Realschule liegt im Wedding, einem der ärmsten Viertel der Stadt, in jeder Klasse werden hier acht verschiedene Muttersprachen gesprochen, und nur bei jedem zehnten ist diese Sprache Deutsch.

Als die Lehrer feststellten, dass viele Schüler weder ihre Fragen noch ihr Unterrichtsmaterial verstanden, beschloss eine Schulkonferenz - zusammen mit Eltern, Lehrern und Schülern - in die Hausordnung zu schreiben, dass nicht nur im Klassenzimmer, sondern auch in der Pause Deutsch gesprochen werden muss.

Anderthalb Jahre ist das her, jetzt schwappt eine Welle der Aufregung über die Stadt. Denn Berlins Schulsenator Klaus Böger (SPD) und die Staatsministerin für Integration, Maria Böhmer (CDU), haben signalisiert, dass sie die Sprachregelung für eine gute Idee halten.

In den türkischen Verbänden sieht man das anders. "Das Verbot der Muttersprachen offenbart die Inkompetenz und Unfähigkeit des deutschen Bildungssystems", erklärte der türkische Elternverband und warnte vor einer "kulturell und sprachlich gesäuberten Schule".

Im Ton zurückhaltender, aber ähnlich empört, war die Sprecherin des Türkischen Bundes, Eren Ünsal. Sie kritisiere nicht die Regelungeiner einzelnen Schule, sondern das Signal, das von dieser Entscheidung ausgehe: "Mit dieser Botschaft werden Kategorien und Wertigkeiten bestimmt. Was wir erleben, ist nur das Schüren von Ressentiments bei der Mehrheitsgesellschaft."

Offenbar haben die Mitarbeiter des Türkischen Bundes Berlin in den letzten Tagen reichlich Briefe und Anrufe bekommen, die sie als rassistisch und beleidigend empfunden haben.

Es gebe da wohl etliche Leute, die endlich mal loswerden wollten, wie sehr sie die Migrantenkinder an deutschen Schulen stören, erzählte ein Mitarbeiter des Türkischen Bundes. Hätte die Schulleitung auch "Elitesprachen" wie Englisch verboten, wollte eine Vertreterin türkischer Studenten wissen?

Hätte sie nicht, sagte Jutta Steinkamp, die die Herbert-Hoover-Realschule im Wedding leitet und stolz ist auf ihre Hausordnung. Um ein Sprachverbot geht es gar nicht, sagt sie.

Wenn auf ihrem Pausenhof ein Schüler Serbokroatisch oder Türkisch spricht und eine Lehrerin hört das, weist sie ihn darauf hin, er entschuldigt sich in der Regel - das war's.

Jeder versteht jeden

Strafen für den Gebrauch der Muttersprache gibt es nicht, versichert die Direktorin, die nichts davon hören will, dass Schüler so ausgegrenzt werden. Im Gegenteil, sagt sie.

Nun könne in der Schule jeder jeden verstehen - und das baue Aggressionen ab. Und weil jeder Realschüler Englisch verstehe, sei Englisch auf dem Pausenhof erlaubt.

Yener Polat ist ein geduldiger Mensch, auch wenn er langsam das Gefühl bekommt, dass diese ganze Debatte irgendwie entgleist. Polat ist Chef einer Reinigungsfirma, türkischer Berliner und Elternvertreter der Herbert-Hoover-Schule. Die Aufregung der türkischen Verbände versteht er nicht.

"Wir wollen, dass unsere Kinder besser Deutsch sprechen", sagt er. "Diese Hausordnung ist von uns einstimmig und ohne Druck beschlossen worden."

Natürlich stimme es, sagt der Vater von zwei Teenagern, dass viele Migrantenkinder viel zu wenig Deutsch sprächen, und natürlich hielten sich auch nicht alle Kinder immer an die Sprachregelung auf dem Schulhof. "Aber wenn sie auf diese Weise nur ein oder zwei Wörter dazulernen, dann ist doch schon etwas gewonnen."

Rettung von der Sprachinsel

Sieht ganz so aus, als hätten die türkischen Lobbyisten vergessen, mit der Basis zu reden. Die Diskussion jedenfalls hat sich inzwischen so aufgeladen, dass die langjährige Berliner Ausländerbeauftragte Barbara John (CDU) vor einer unnötigen Emotionalisierung warnt.

"Es geht hier nicht um ein Verbot, sondern um eine Verabredung, die durchaus Sinn hat", sagte sie. Aber: "Im Widerstand gegen die Beteiligten ist so eine Maßnahme nicht durchsetzbar."

Dass Minderheiten empfindlich reagierten, wenn es um ihre Sprache und Identität gehe, sei ganz natürlich und nicht neu. Deshalb sei es wichtig, hier nicht bevormundend oder autoritär aufzutreten.

In einer Stadt, in der eine große Zahl von Migrantenkindern weder die Sprache ihrer Eltern noch die ihrer Lehrer gut beherrschen, haben sich viele auf "sehr verarmte" Sprachinseln zurückgezogen, sagt Barbara John.

Um sie von diesen Inseln zu holen, seien Ideen und ein kooperativer Ton gefragt. "Das muss mit pädagogischem Pfiff angegangen werden." John könnte sich etwa einen "Babylon-Tag" an Schulen vorstellen, an dem jeder redet, wie ihm der Schnabel gewachsen ist. Für einen Tag.

Ob sich der Vorschlag durchsetzt, ist ungewiss. Städte wie Hamburg, Köln oder München jedenfalls haben signalisiert, dass sie die Berliner Sprachversuche nicht übernehmen.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: