Instagram:Selfies aus der Steinzeit

Der tränenreiche Rückzug eines Social-Media-Stars zeigt: Im digitalen Kosmos geht es um Zustimmung um fast jeden Preis. Dabei herrschen die uralten Rollenklischees.

Von David Pfeifer

Die gute Nachricht: Man muss immer weniger können, um berühmt zu werden. Die schlechte Nachricht: Es werden immer mehr Menschen berühmt, mit immer weniger Begabungen.

Bis vergangenen Mittwoch war die 19-jährige Australierin Essena O'Neill eine überschaubar Prominente, bekannt nur für ihre 745 000 Follower auf dem Fotodienst Instagram. O'Neill postete Bilder von sich im knappen Kleid, im Bikini, gerne ihren flachen Bauch präsentierend. Insgesamt eine Ästhetik, die an Softpornos der 80er- oder Herrenmagazine der 90er-Jahre erinnerte. Aber alles nur privat, für ihre 745 000 besten Freunde.

Unter Tränen zog Essena O'Neill sich nun von Instagram zurück. Sie beichtete ihren Fans, dass die Kleider auf ihren Selfies gesponsert waren, bis zu 2000 Dollar bekam sie für ein Bild vom entsprechenden Hersteller. Außerdem erklärte O'Neill, dass sie für Bilder mit flachem Bauch hungern und sich ihre Akne überschminken musste, um toll auf Schnappschüssen auszusehen. Sie beschrieb also in etwa das Jobprofil, das Heidi Klum ihren Kandidatinnen umreißt, wenn sie das nächste Topmodel werden wollen.

"Das Problem bei Mädchen wie O'Neill ist, dass ihr Celebrity-Status vor allem auf dem Exhibitionismus ihrer körperlichen Selbstinszenierung beruht", erklärt Ramón Reichert, Professor für digitale Medienkultur an der Universität Wien. "Für ihre Follower verkörperte die Bikinifigur von O'Neill die typischen Merkmale des weiblichen Rollenmodells. Bei Jungs ist das ganz anders: Da zählen Coolness-Faktoren - Skater-Stunts und Go-Pro-Videos, um Aufmerksamkeit zu erregen." Ein typisches männliches Beispiel ist der 23-jährige Youtube-Star, der die Lawine am Basislager des Mount Everest filmte und damit 20 Millionen Klicks gerierte. "Für den war das Wichtigste: Ich halte drauf! Diese jungen Social-Media-Stars sind so eingespannt in ihr Netz, dass sie ihr Leben riskieren", warnt Reichert.

Online ist ein Wettbewerb entbrannt um die Frage: Wer zeigt den cooleren Identitätsentwurf, wer exhibitioniert sich noch mehr, um die wachsende Nachfrage zu bedienen? Ohne Likes kein Preis. Nur die wenigsten können mit ihrem Einsatz Geld verdienen. Also zeigen Mädchen immer freizügigere Posen, und Jungs halten ihren Kopf bei waghalsigen Stunts hin, gerne im Dienst eines Energie-Getränke-Herstellers. Die seltsame Erkenntnis: Sogar in den modernsten Selbstdarstellungsformen fallen die Protagonisten in Rollenbilder aus der Steinzeit zurück.

"Dabei sind die Identitäten in dem Alter noch brüchig, immer auf Suche nach Bestätigung", sagt Reichert, "deswegen wechseln Jugendliche auch permanent ihr Profilbild." Bestätigung bekommen sie dann in Klischees, die nur in scheinbar neuen Formen wiederkehren.

Durch ihren Ausstieg wurde O'Neill über die Grenzen ihres Accounts hinaus bekannt. Die Erkenntnis für ihre Follower war allerdings nicht, dass O'Neills Leben nicht ganz so glamourös war, sondern dass sie damit zugab: Ich bin keine von euch, ich bin ein Profi. Eventuell hat sie sogar eine neue Stufe der Prominenz gezündet: berühmt werden fürs Nicht-mehr-berühmt-sein-wollen.

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