Inselstreit zwischen China und Japan:Eskalation wegen ein paar Felsbrocken

Konflikt um die Senkaku/Diaoyu Inseln zwischen China und Japan

Peking erhebt seit Jahren Anspruch auf die von Tokio kontrollierte Inselgruppe, die in Japan Senkaku und in China Diaoyu genannt wird.

(Foto: REUTERS)

Chinas Luftwaffe lässt Kampfjets aufsteigen und verfolgt Militärmaschinen von Japan und den USA. Die Lage im Ostchinesischen Meer ist brisant. Vordergründig geht es nur um ein paar Quadratkilometer Land. Tatsächlich aber geht es um neue Großmachtphantasien.

Von Christoph Neidhart, Tokio, Kai Strittmatter, Peking, Reymer Klüver und Oliver Klasen

Territorialstreit, unter dieser Chiffre läuft das, was gerade zwischen den Regierungen in Peking und Tokio passiert. Doch schon an den Namen einiger der Inseln, um die gestritten wird, lässt sich ablesen, dass das Wort Territorium ein bisschen hochgegriffen ist. Es geht um Kita-Kojima und Minami-Kojima, übersetzt: nördliche kleine Insel und südliche kleine Insel, um Oki-no-Kitaiwa, den nördlichen abgelegenen Felsen und Oki-no-Minamiiwa, den südlichen abgelegenen Felsen, außerdem um Uotsuri-shima, Taishō-tō, Kuba-shima und Tobise - zusammen handelt es sich um gerade einmal 5,8 Quadratkilometer Land, das noch dazu unbewohnt ist.

Doch bei der Inselgruppe, die in China als Diaoyu und in Japan als Senkaku bekannt ist, spielen echte Territorialinteressen nur eine untergeordnete Rolle - selbst dann, wenn man einbezieht, dass in dieser Gegend des Ostchinesischen Meers Rohstoffvorkommen vermutet werden. Es handelt sich vielmehr um Symbolpolitik - um unterschwellige Konflikte zwischen zwei rivalisierenden Nationen, die eine lange Geschichte haben und nie gelöst wurden. Die wichtigsten Fragen und Antworten zum japanisch-chinesischen Inselstreit.

Was ist in den vergangenen Tagen passiert?

Der Gebietsstreit droht zu eskalieren, seit China am vergangenen Wochenende eine Luftverteidigungszone über den Inseln eingerichtet und gefordert hat, dass sämtliche Militärflüge über das Territorium bei der Regierung in Peking anzumelden sind. Die Regierungen von Südkorea, das mit China ebenfalls über eine unbewohnte Insel streitet, und Japan ignorierten das, ließen mehrere Luftwaffen-Jets aufsteigen und unangemeldet durch das Gebiet fliegen.

Die USA, die Japan als einen der wichtigsten Verbündeten in Asien sehen, sind deshalb ebenfalls involviert und haben am Montag mit zwei B-52-Bombern über den Senkakus Präsenz gezeigt. Auf die Missachtung der Luftverteidigungszone antwortet China nun wiederum mit der Entsendung von Kampfjets. Das bringt eine neue Eskalation: Sie haben am Freitag Überwachungsflüge absolviert und ein Dutzend amerikanische und japanische Jets verfolgt. Die Situation ist derart brisant, dass sich nun US-Vizepräsident Joe Biden einschaltet und kommende Woche in die Region reist. In Tokio, Peking und Seoul will er auf eine diplomatische Lösung dringen.

Was ist die Vorgeschichte des Streits?

Der Streit um die Inseln ist sehr alt. Mindestens so alt wie die Demütigung des einst mächtigen Chinas durch das imperiale Japan, das 1895 die Inseln - und bis zum Zweiten Weltkrieg große Teile Chinas besetzte. Nach 1945 (und der Niederlage Japans) kontrollierten die USA die Senkakus zunächst, überließen sie 1972 aber wieder der Regierung in Tokio - allerdings ohne klare Aussage darüber, wem sie gehörten.

Als Japan und China Anfang der siebziger Jahre die Beziehungen normalisierten, einigten sie sich in Bezug auf die Inseln auf eine so einfache wie pragmatische Lösung: Man ließ den Streit bis auf Weiteres ruhen. Eingeschlossen war das Einverständnis beider Seiten, die Frage des historischen Anspruchs weiterhin ungeklärt zu lassen.

Praktisch bedeutete das: Japan verwaltete die Inseln, akzeptierte die chinesischen Ansprüche, die bis auf die Ming-Dynastie im 14. Jahrhundert zurückgehen, aber zumindest pro forma. Zwar gab es gelegentlich Zwischenfälle, aber alle Seiten hielten sich an die Stillhaltevereinbarung - bis zum August 2012.

Da hissten japanische Nationalisten Flaggen auf einer der Inseln, um den Anspruch ihres Landes zu bekräftigen. Kurz darauf erklärte die Regierung in Tokio, drei der Inseln kaufen zu wollen. Sie gehörten bis dahin einer japanischen Unternehmerfamilie, die dort Anfang des 20. Jahrhunderts ursprünglich einmal Tierprodukte verarbeitete, sie aber dann jahrezehntelang nicht genutzt hatte. Seit der Einmischung des japanischen Staates ist der Konflikt im Ostchinesischen Meer voll entbrannt, Immer wieder kam es in den vergangenen Monaten zu gegenseitigen Provokationen und Drohgebärden.

Warum tritt China in dem Konflikt so dominant auf?

Dafür gibt es vier Gründe. Erstens fühlt sich China provoziert. Es war Japan, das im Sommer 2012 mit der Verstaatlichung der Inseln den Streit eskalieren ließ. In der Folge kam es in China zu großen anti-japanischen Demonstrationen und Ausschreitungen. Die Luftverteidigungszone ist die bislang letzte und wohl riskanteste Retourkutsche Pekings.

Zweitens ist der Inselstreit eine Art Kräftemessen. Heute ist China die aufstrebende und Japan die absteigende Nation. Das eben noch arme und rückständige China hat in den vergangenen drei Jahrzehnten ein Wirtschaftswunder vollbracht. Mit dem Wohlstand wachsen die militärische Stärke, das Selbstbewusstsein und die außenpolitischen Ambitionen. Die Führer des Landes streben nach alter Größe, Parteichef Xi Jinping nennt es den "chinesischen Traum".

Japan mag drittens der direkte Adressat sein, gleichzeitig aber zielt Chinas Regierung auch auf die USA, Japans Schutzmacht - und noch immer die stärkste Macht im asiatisch-pazifischen Raum. China sieht sich auf Augenhöhe mit den USA und möchte als ebenbürtig anerkannt werden. Gleichzeitig hegt Peking den Verdacht, die USA seien nur deshalb in Asien so präsent, weil sie Chinas Aufstieg verhindern oder bremsen wollten.

Viertens ist der Konflikt innenpolitisch nützlich für die Kommunisten. Die KP hat in den vergangenen Jahren den Nationalismus im Volk geschürt, sie präsentiert sich als Garantin für Chinas Stärke. Das ist aber ein gefährliches Spiel: Wenn die Führung ihren großen Worten keine großen Taten folgen lässt, wird sie von enttäuschten Großmachtsträumern im eigenen Land schnell als zu weich und nachgiebig attackiert.

Wie lässt sich die Haltung der USA erklären?

Die Antwort Amerikas auf die chinesische Provokation kam prompt. Und sie war ebenfalls eine Provokation: Die beiden B-52-Langstreckenbomber, noch immer Symbol der globalen strategischen Luftüberlegenheit der USA, überflogen direkt die Inselgruppe auf einer angeblich seit Langem geplanten Mission. Wir können auch anders, so das Signal. Allerdings waren die Bomber unbewaffnet - auch dies eine symbolgeladene Geste. Sie sollte der einkalkulierten Gegenprovokation die Spitze nehmen.

Das heißt aber nicht, dass die US-Regierung der erneuten Eskalation im Vertrauen auf ihre Überlegenheit gleichmütig entgegensieht. Im Gegenteil: Vizepräsident Biden will mit der neuen chinesischen Führung eigentlich über alles andere als den leidigen Inselstreit reden: über mehr Druck auf Nordkorea zum Beispiel oder über eine transpazifische Wirtschaftszone, die nur mit den Chinesen wirklich funktionieren würde. Zusehens frustriert stellt die US-Regierung fest, dass China fast alle Avancen der USA ungenutzt verstreichen lässt, um zu einer engeren strategischen Kooperation der beiden Mächte zu kommen. Immer mehr deutet auf eine Konstellation hin, die Präsident Obama eigentlich vermeiden will: eine Eskalation der Rivalität zwischen China und den USA.

Warum reagiert Japan so schroff auf die Provokationen aus Peking?

Japan hat sich im Inselstreit mit China verrannt. Einerseits kann die Regierung nicht mehr zurück, weil der Druck der extremen Rechten zu stark ist und Premier Shinzo Abe, selbst ein Rechtsnationaler in der Liberaldemokratischen Partei LPD, das auch gar nicht will. Andererseits glaubt man in Tokio, mit der harten Haltung gegenüber Peking durchaus im Sinne der USA zu handeln.

Die heutige japanische Regierung bestreitet sogar die Existenz der stillen Übereinkunft aus den siebziger Jahren, aber es gibt Zeugen wie den früheren Kabinettssekretär Hiromu Nonoka. Auch die 2012 Verstaatlichung vom damaligen Premier Yoshihiko Noda vorangetriebene Verstaatlichung hat die Lage zusätzlich verschärft. Er habe dem Streit damit die Explosivität nehmen wollen, sagte er. Erreicht hat er das Gegenteil.

Die Liberalen und Realisten in Japan, vor allem auch die Wirtschaft, möchten aber gerne zum Patt zurückkehren. Die Nationalisten, die die Regierung dominieren - und die stramm konservative Presse - warnen dagegen energisch vor der Bedrohung durch China. Abe hat die Senkakus schon mit den Falkland-Inseln verglichen, für die er - wie die damalige britische Premierministerin Margaret Thatcher 1982 - in den Krieg ziehen würde.

Vor vielen Jahren sagte ein Experte, beiden Ländern, China und Japan, wäre gedient, wenn die Senkakus spurlos im Meer versinken würden. Aber der Nationalstolz von Japans Konservativen würde selbst dies nicht zulassen.

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