Insel des Brevik-Massakers:"Wir holen uns Utøya zurück"

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Utøya, der Schauplatz des Massakers des Anders Behring Brevik, zwei Wochen nach der Tat: Munitionsreste, beschädigte Häuser, manche müssen womöglich abgerissen werden. Die Sozialdemokraten wollen dennoch zurück in ihr einstiges Idyll - dem Massenmord zum Trotz.

Gunnar Herrmann, Stockholm

Am schwierigsten ist die Suche nach den Patronenhülsen. Mit Metalldetektoren und Lampen müssen die Mannschaften Wiesen, Waldstücke und Uferböschungen auf Utøya durchkämmen. Die Kriminaltechniker sind bereits mit ihrer Arbeit auf der Insel fertig, die am 22. Juli Schauplatz des Massenmordes wurde. Nun sind Feuerwehrleute und Polizisten mit dem Aufräumen beschäftigt. Auf Utøya soll nichts liegenbleiben, was an das Attentat erinnert. Vor allem keine Patronenhülsen. Für die Überlebenden könne es belastend sein, Munitionsreste zu finden, wenn sie wieder einmal auf der Insel zu Gast seien, erklärte ein Polizeisprecher.

Noch ist die Trauer allgegenwärtig. Doch die norwegischen Sozialdemokraten sind fest entschlossen, sich die Insel Utøya zurückzuholen. (Foto: AP)

Dass die Überlebenden an den Ort des Massakers zurückkehren werden, daran gibt es in Norwegen kaum Zweifel. Immer wieder haben Mitglieder des sozialdemokratischen Jugendverbandes AUF in den vergangenen Tagen gesagt: "Wir holen uns Utøya zurück!" Seit Mittwoch gibt es einen offiziellen Wiederaufbaufonds. Und AUF-Chef Eskil Pedersen verspricht in einem Video auf der Webseite der Arbeiterpartei: "Wir werden wieder Sommerlager auf Utøya veranstalten. Ich hoffe, viele von euch dort zu sehen."

Die Insel wieder für Jugendtreffen zu nutzen, ist natürlich ein schwieriges Unterfangen. Schließlich wird Utøya für immer mit dem Mord an 69 Menschen verbunden bleiben. Es wird dort wohl auch eine Gedenkstätte geben. Wie sich beides vereinen lässt, ist noch unklar. Bei AUF ist dazu nichts Konkretes zu erfahren. Der Verband ist mit Trauerarbeit beschäftigt. Auch wenn das Blumenmeer vor dem Osloer Dom am Mittwochmorgen weggeräumt wurde - im Fernsehen sind täglich Übertragungen von Gedenkfeiern zu sehen. Die Verwaltung des Utøya-Aufbaufonds hat AUF erst einmal einem externen Projektleiter übertragen.

Es ist einfach noch zu früh, um zu sagen, was genau dort gemacht wird", sagt Jørgen Frydnes, der Projektleiter. So sei zum Beispiel überhaupt nicht sicher, welche Schäden an den Gebäuden entstanden sind. Seit dem Massaker war Utøya von der Polizei abgeriegelt. Frühestens nächste Woche werden AUF-Funktionäre das Eiland wieder betreten können. "Uns wurde nur gesagt, einiges sei kaputtgegangen", sagt Frydnes. "Und manche Gebäude wird man vielleicht auch wegreißen wollen, wegen der schrecklichen Dinge, die dort passiert sind."

Ohne ein offizielles Spendenkonto geht nichts

Der AUF hatte erst gezögert, einen Fonds einzurichten, ohne genau zu wissen, wofür. "Wir wollen noch abwarten", hieß es Anfang der Woche in der Osloer Zentrale. Aber schließlich wurde klar, dass es ohne ein offizielles Spendenkonto nicht geht. In den vergangenen Tagen hatten mehrere Privatinitiativen begonnen, Geld zu sammeln.

Petter Stordalen, Eigentümer einer Hotelkette, übergab dem AUF vier Tage nach dem Anschlag einen Scheck über umgerechnet 650.000 Euro für den Wiederaufbau der Insel. Mehrere Gemeinden versprachen, eine Krone pro Einwohner beizusteuern. Daneben gab es aber auch Scharlatane, wie etwa jenen Internethändler, der ein überteuertes "Gedenkarmband" aus Plastik zusammen mit dem Hinweis feilbot, ein Teil der Einnahmen sei für Utøya. Man habe einfach eine Struktur gebraucht, um die Hilfsbereitschaft zu kanalisieren, erläutert Frydnes.

Die Insel gehört schon seit 1950 dem AUF. Sie war das Geschenk von Gewerkschaften. Generationen nordischer Nachwuchspolitiker haben dort ihre Sommer verbracht - Utøya ist ein Symbol für politisches Engagement. Die Zeitung Dagbladet füllte jüngst ganze zwölf Seiten mit Erinnerungen und alten Fotos. Da konnte man etwa eine junge Gro Harlem Brundtland mit ihrer Gitarre sehen. Und Ex-Premier Thorbjørn Jagland erzählte, wie er seine Frau auf Utøya kennenlernte. Die Botschaft: Dieses Paradies lassen wir uns von einem Anders Behring Breivik nicht wegnehmen.

Der mutmaßliche Massenmörder Breivik wurde am Mittwoch erneut verhört. Seinem Anwalt Geir Lippestad zufolge stellte er wieder "absurde Forderungen" für eine Zusammenarbeit mit der Polizei. Breivik wünscht sich etwa den Rücktritt der Regierung. "Er will einen völligen Umbau der norwegischen Gesellschaft, wobei er sich selbst in einer zentralen Rolle sieht", sagte Lippestad der Zeitung Aftenposten. Die Polizei erwartet von Breivik Auskünfte über mögliche Helfer und Komplizen. Lippestad sagt, Breivik habe das Material für seine Anschläge in etwa 20 verschiedenen Ländern gekauft. Vor dem Haftrichter hatte der 32-Jährige außerdem erklärt, es gebe noch "zwei weitere Zellen". Die meisten Experten halten Breivik dagegen für einen Einzeltäter.

© SZ vom 05.08.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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