Innere Sicherheit:Der kleine Bruder will mehr

BND Außenstelle Bad Aibling

Nach dem Spitzelskandal wurde die Zusammenarbeit mit den USA eingefroren. Nun aber läuft die Abhöranlage in Bad Aibling wieder auf vollen Touren.

(Foto: Angelika Warmuth/dpa)

Trotz des Abhörskandals arbeiten die deutschen und amerikanischen Geheimdienste enger zusammen als je zuvor. Nun will die Bundesregierung selbst aufrüsten.

Von Georg Mascolo und Reiko Pinkert, Berlin

Um das Verhältnis zwischen den deutschen und den amerikanischen Geheimdiensten zu beschreiben, passt das Bild vom Großen Bruder ganz gut. Der Große hilft dem Kleinen, aber manchmal behandelt er ihn auch schlecht. Es ist noch nicht lange her, da fühlten sich die Deutschen sehr schlecht behandelt, es ging um einen CIA-Spion beim BND und um das Abhören der Kanzlerin. Mancher in Berlin sah schon das Ende jener Zeiten erreicht, in denen hochrangige US-Geheimdienstler mit einem feierlich verliehenen Bundesverdienstkreuz in den Ruhestand geschickt werden. Stattdessen sprach man über den Einsatz von Staatsanwälten und des Verfassungsschutzes.

Inzwischen ist wieder die Zeit der Bundesverdienstkreuze angebrochen. In der Regierung werden die Amerikaner in diesen Tagen wieder als unverzichtbare Partner gelobt, Innenminister Thomas de Maizière sagt, ohne sie sei man "blind und taub." Dies zeigte sich erst in diesem September, als die US-Geheimdienste den ersten Hinweis auf einen in Deutschland geplanten Anschlag lieferten. Sachsen schien das Ziel zu sein, sogar der Zoo in Leipzig wurde genannt. Schließlich wurde vom Verfassungsschutz Dschaber al-Bakr identifiziert, der zuletzt offenbar plante, die Bombe am Berliner Flughafen Tegel zu zünden. Mancher im Gemeinsamen Terrorismus-Abwehrzentrum in Berlin fühlte sich an die Geschichte der sogenannten Sauerland-Zelle erinnert - auch die hatte unerkannt einen Anschlag vorbereiten können und war 2007 erst nach einem Tipp durch die NSA aufgeflogen.

Die US-Behörden sind überzeugt, dass die Terrorgefahr in Europa größer ist als in Amerika

Hilfe kommt auch in anderen Fällen. Bei den Attentaten von Würzburg und Ansbach waren es die Amerikaner, die später die Chat-Protokolle lieferten, aus denen sich die detaillierten Absprachen zwischen IS-Instrukteuren und den beiden Terroristen ergaben. Nun sucht eine Sonderkommission des bayerischen Landeskriminalamtes nach den Hintermännern. Ein steter Strom von Informationen der CIA, des Abhördienstes NSA und der Bundespolizei FBI geht Tag für Tag bei den deutschen Behörden ein, nicht nur Hinweise auf Anschläge, sondern ganze Aktenordner über den sogenannten "Islamischen Staat" sind inzwischen dabei. So lieferten die Amerikaner dem BND 1650 Seiten Übersetzungen aus dem Innenleben des IS, die Unterlagen waren bei einem Spezialeinsatz im Irak erbeutet worden. Inzwischen hofft der BND auf weitere Erkenntnisse, US-Geheimdienstler stehen schon bereit, um nach der erhofften Eroberung von Mossul die dortigen Aktenbestände des IS zu sichern. Vor allem nach möglichen Anschlagsvorbereitungen in Europa soll gesucht werden.

Auch die Abhöranlage im bayerischen Bad Aibling, wo NSA und BND gemeinsam die Krisenregionen Syrien, Irak, Libyen und Afghanistan überwachen, läuft wieder auf vollen Touren. Als herauskam, dass die NSA von hier aus europäische Spitzenpolitiker abhörte, wurde die Zusammenarbeit kurzfristig eingefroren. Aber niemand in der Bundesregierung mag an solche Geschichten erinnert werden. Jedenfalls nicht, seit bekannt wurde, dass der BND die europäischen Freunde ebenso behandelte und auch noch versuchte, das Handy von US-Außenminister John Kerry anzuzapfen. Die Operation scheiterte, die Vorwahlnummer wurde falsch eingegeben.

Die Bundesregierung schwankt zwischen Kooperation und der Wahrung von Rechtsstaatlichkeit

Die US-Behörden sind überzeugt, dass Europa bedrohter ist als die USA. Teils kooperieren sie aus echter Freundschaft, teils um die hier stationierten Soldaten und ihre Familien zu schützen. Außerdem fürchten sie, dass Terroristen aus Europa in die USA einsickern könnten, so wie die Piloten von drei der Flugzeuge, die am 11. September 2001 entführt wurden. Zudem geben die amerikanischen Partner nicht nur viel, sie verlangen auch: Die Namen und Daten von 425 in Deutschland als besonders gefährlich eingeschätzten Islamisten befinden sich, Stand Ende September, inzwischen im "Terrorist Screening Center" in Virginia, einer Einrichtung unter der Federführung des FBI. Auf einer eigens gesicherten Plattform lädt das BKA sie hoch. Erst im Mai hatte Thomas de Maizière mit der US-Justizministerin ein Abkommen unterzeichnet, um den Austausch von Daten zu erleichtern. Angesichts manch heftiger parlamentarischer Debatte darum, wie die Amerikaner solche Daten nutzen könnten - beispielsweise für tödliche Drohnen-Schläge - weiß die Bundesregierung um die Gratwanderung. Einerseits will sie kooperieren, andererseits rechtsstaatliche Prinzipien wahren, sonst droht der nächste Untersuchungsausschuss. Das Ergebnis ist - jedenfalls bisher - der stete Kompromiss. So lieferte das BKA etwa nicht die Namen der Kontaktpersonen der Gefährder, aus Sorge, dass ihnen die Einreise in die USA verweigert werden könnte.

Der New York Times war die neue Blüte in der deutsch-amerikanischen Zusammenarbeit gerade erst eine längere Betrachtung wert. Guido Steinberg von der Stiftung Wissenschaft und Politik ließ sich mit der Einschätzung zitieren, Deutschland habe seine "Terrorismusbekämpfung ausgelagert", daran werde sich auch nichts ändern. Ganz sicher ist das allerdings nicht, in diesen Tagen beraten Haushaltspolitiker des Bundestages über Verstärkungen für die deutschen Sicherheitsbehörden. Tausende zusätzliche Stellen sollen geschaffen werden, bis 2019 allein 1150 beim Verfassungsschutz stehen in Rede, mehr als 500 beim BND. Auch die Bundespolizei und das Bundeskriminalamt sollen kräftig wachsen. In früheren Jahren scheiterten solche Wünsche oft am an Kanzleramt und Ministerien. Jetzt, so schildern es Regierungsbeamte, werde praktisch jeder Wunsch bewilligt. Ein Grund hierfür ist die veränderte Sicherheitslage, ein anderer der anstehende Wahlkampf.

Ähnlich umfangreich sind die beantragten Mittel für den Ausbau der Überwachungskapazitäten. Für das Knacken der Verschlüsselung von Messenger-Diensten wie What's App oder Telegram soll darüberhinaus eine neue Behörde namens "Zitis" geschaffen werden. Immer häufiger registriert das BKA, dass auch deutsche Terrorismus-Verdächtige auf die Krypto-Dienste ausweichen. Die Kanzlerin selbst drängt daher darauf, dass Zitis alsbald arbeitsfähig sein müsse.

Bisher verlässt man sich auch in diesem Bereich ziemlich oft auf die Amerikaner. Aber allzu groß soll die Abhängigkeit vom Großen Bruder dann doch nicht werden.

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