Innere Sicherheit:Das schwarz-rote Band der Sympathie<p></p>

Sie praktizieren eine große Koalition eigentlich längst: Bundesinnenminister Otto Schily und sein bayerischer Duz-Freund Günther Beckstein.

Annette Ramelsberger

Es ist ein gönnerhaftes Lächeln, das sich auf den Zügen Otto Schilys immer mehr ausbreitet. Der Bundesinnenminister sitzt da, lässig zurückgelehnt im Sessel, und betrachtet mit freundlichem, nicht allzu großem Interesse, wie sich da einer abmüht, ihm, dem Großmeister der Inneren Sicherheit, Versäumnisse nachzuweisen. Günther Beckstein ist auf die Stuhlkante vorgerutscht. Er beginnt den zweiten Satz immer schon, wenn der erste noch nicht zu Ende ist. "Lass mich ausreden", wehrt er Schily ab. "Du hast mich doch unterbrochen", gibt der zurück.

Warum darf die Bundeswehr nicht bei der Fußball-WM die Flughäfen sichern?, fragt Beckstein. Warum gibt es nicht längst eine Anti-Terror-Datei? Warum wird vor den Augen deutscher Soldaten in Afghanistan Heroin produziert? Schily beugt sich ein wenig vor, nur ein ganz klein wenig, und sagt: "Falls du das nicht weißt, sag ich dir das jetzt. In Afghanistan sind die Briten dafür zuständig, den Heroinanbau zu verhindern. Du bleibst besser in der Landespolitik. Von Außenpolitik scheinst du nichts zu verstehen."

"Ich würde Beckstein einen Gebrauchtwagen abkaufen"

Eine Stunde lang fetzen sich Bundesinnenminister Otto Schily, SPD, und sein bayerischer Kollege Günther Beckstein, CSU, am Montagabend im Fernsehsender N24. "Lieber Otto, bleibe bei der Wahrheit und lüge nicht so offensichtlich", ruft Beckstein. "Du bist von der Konstitution her zu unruhig für das Amt des Innenministers", schnappt Schily.

Fünf Minuten später gehen sie gemeinsam zum Abschminken in die Maske. Die Vorstellung ist vorbei, jetzt sagt Schily: "Günther Beckstein hält Absprachen ein. Wenn man etwas bespricht, dringt nichts nach draußen. Ich würde Beckstein auch einen Gebrauchtwagen abkaufen." Beckstein sagt: "Von den Rot-Grünen ist Schily mir mit Abstand der Liebste - lieber als mancher eigene."

Es ist ein seltsames Band zwischen Schily und Beckstein. Ein Band, das in den letzten Jahren die deutsche Innenpolitik zusammengehalten hat, oft zum Ärger von SPD und Grünen. Beckstein und Schily pflegen den kleinen Dienstweg. Sie setzen sich vor Innenministerkonferenzen zusammen und beraten, was durchsetzbar ist. Dann bringt Schily die Roten auf Kurs und Beckstein die Schwarzen.

Große Koalition in Sachen Sicherheit

Nur die Grünen mochten nie so recht. Irgendwann, nach nächtelangen Diskussionen um das Zuwanderungsgesetz, als der Grüne Volker Beck standhaft weiterkämpfte, brach es aus Beckstein heraus: "Jetzt muss halt der Schily den Beck vergewaltigen." Schily und Beckstein hatten sich längst geeinigt.

"Ob der Innenminister Günther Schily heißt oder Otto Beckstein, ist eigentlich egal", sagt jener Volker Beck, der Parlamentarische Geschäftsführer der Grünen. Schily und Beckstein - das ist die vorweg genommene große Koalition in Sachen Sicherheit. Sie geht so weit, dass die Bundestagsfraktionen oft schon aus Selbstachtung protestieren müssen. "Die Achse Schily-Beckstein reicht nicht, um per Männerfreundschaft die großen Projekte der Sicherheitspolitik im Alleingang zu machen", sagt SPD-Innenexperte Dieter Wiefelspütz. Für was gebe es eine Regierungskoalition?

Das schwarz-rote Band der Sympathie

Wenn Schily und Beckstein streiten, ist das oft ritualisiertes Hase- und Igel-Spiel. Arbeitet Schily an einer Anti-Terrordatei, geht sie Beckstein nicht weit genug. Richtet Schily ein Anti-Terrorzentrum ein, funktioniert es Beckstein nicht schnell genug. Wirft Beckstein Schily "Altersstarrsinn" vor, antwortet Schily, Beckstein gehöre auch nicht mehr zu den jugendlichen Helden. Jeder will besser, schneller, effizienter sein. Nur einmal wurde es ernst: Als Schily versuchte, die Kompetenzen des Bundeskriminalamtes gegen den Länder-Willen auszuweiten.

"Mach dir keine Jllusionen"

In der Innenministerkonferenz war er damit gescheitert. Da ging Schily mit Becksteins Chef Edmund Stoiber frühstücken und versuchte so, seine Wünsche durchzusetzen - über die Föderalismuskommission, die Stoiber und SPD-Chef Müntefering leiteten. Am 17.November 2004 trafen sich die Innenminister in Lübeck. "Otto, du versuchst uns hier auszutricksen", wurde Beckstein laut. "Du kriegst von Stoiber kein Komma mehr, als du von mir kriegen würdest."

Es geht um die Machtverteilung zwischen Bund und Ländern. Schily will möglichst alle Kompetenzen für die Innere Sicherheit beim Bund zusammenfassen, denn, so denkt er, wo wären sie besser aufgehoben als bei ihm? Beckstein dagegen pocht darauf, dass bayerische Polizei und bayerischer Verfassungsschutz ihren Job gut alleine leisten können. Vor allem, wenn er sehe, sagt Beckstein listig, dass schon die Zusammenarbeit von Bundespolizei und Bundeskriminalamt nicht funktioniere. Mehr Kooperation zwischen den Bundesbehörden, das würde er als Schilys Nachfolger zuerst angehen.

"Mach dir mal keine Illusionen", sagt Schily bei N24. Gerade hat der Moderator Beckstein gefragt, ob er Interesse am Amt Schilys hätte. "Freilich", sagt Beckstein. Immerhin habe der Personalrat des Schily-Ministeriums schon bei ihm angefragt, ob er in München vorbeischauen könne. Als Schily und Beckstein Anfang Juni zum Treffen der EU-Innen- und Justizminister nach Luxemburg kamen, begrüßte Gastgeber Luc Frieden Schily mit den Worten: "Ach, Sie haben Ihren Nachfolger bereits mitgebracht."

Ändern würde sich inhaltlich kaum etwas. An Schilys Sicherheitspaketen wird die Union nicht rütteln - auch nicht auf Wunsch der FDP. Die Anti-Terrordatei ist auf dem Weg. Der genetische Fingerabdruck wird vielleicht ausgeweitet. Die größte Veränderung könnte sich im Umgangston ergeben. Beckstein gilt als jemand, der sich beraten lässt, Schily als einer, der alles selbst weiß.

Polizisten in Kampfmontur schützen Beckstein

Beckstein ruft regelmäßig SPD- und FDP-Kollegen an. Schily überrascht lieber - auch die eigenen Leute: Kürzlich berieten die Innenstaatssekretäre abends über den Polizeifunk. Am Morgen danach kündigte Schily an, er wolle dazu ein neues Amt gründen. "Otto spricht nicht", klagt einer und meint, die Zusammenarbeit könnte nur besser werden. Schily-Kritiker Wiefelspütz sagt gar: "Ich fürchte, Beckstein würde ein ganz ordentlicher Bundesinnenminister werden." Fast kann man so etwas wie Vorfreude heraushören.

Beckstein ist an diesem Abend noch in Kreuzberg. Draußen trommeln 150 Demonstranten an die Fenster des Restaurants, zeigen Stinkefinger, schreien "Kreuzberg: CSU-freie Zone". Die Einsatzleitung hat Beckstein dringend abgeraten zu kommen. Er kommt trotzdem. Einsatzwagen fahren auf, Polizisten in Kampfmontur schützen ihn.

Drinnen erklärt Beckstein, warum er gegen den EU-Beitritt der Türkei ist. Aber dass er sich dafür einsetzt, dass Türken pflegebedürftige Eltern zu sich nach Deutschland holen können. Als eine Frau nachfragt, winkt der örtliche CDU-Mann ab. Das habe der Minister schon beantwortet. Beckstein aber stellt sich hin und erklärt es nochmal. Drinnen applaudieren sie, draußen fliegen Tomaten. Erhitzt ist Beckstein danach, seine Augen blitzen. "Das ist das wahre Leben", sagt er und kann sich eine Frage nicht verkneifen: "Ob das der Schily auch gemacht hätte?"

(SZ vom 17.8.2005)

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