Innenminister zur Leitkultur:Warum aus de Maizière ein Provokateur wird

Thomas de Maiziere

Mit seinen zehn Thesen zu einer Leitkultur eckt Innenminister Thomas de Maizière an - genau wie erhofft.

(Foto: dpa)
  • Thomas de Maizière veröffentlichte vor kurzem einen Katalog mit Thesen zur Leitkultur. Dafür musste er sofort harsche Kritik einstecken. Und genau das wollte er.
  • Der Innenminister schärft damit sein eigenes Profil, statt Loyalität gegenüber Merkel zu zeigen.
  • Nach der Bundestagswahl wird de Maizière sein Amt verlieren, da CSU-Innenminister Joachim Herrmann als Spitzenkandidat für den Bund nominiert ist.

Von Stefan Braun, Berlin

Es gibt in diesen Tagen manche, die Thomas de Maizière nicht wiedererkennen. Der polarisierende Auftritt vom Sonntag; seine zehn Thesen zu einer "Leitkultur", die seit ihrem Erfinder Friedrich Merz eine Provokation ist; dazu eine Sprache, die anders klingt als jener de Maizière, den viele bisher zu kennen glaubten - das alles hat zu einer Aufwallung geführt, die viele dem Minister nicht zugetraut hätten.

Von einem Unfall, einem Zufall, einer Panne kann nach dem, was man hört, aber keine Rede sein. Sagen jedenfalls seine Leute. Ihm ist nichts rausgerutscht; nichts ist zufällig geschehen. Die zehn Thesen hätte er, gemessen an seiner Entschlossenheit, auch an sein Ministerium nageln können.

Seit Monaten, so heißt es, habe er sich mit der Frage beschäftigt, ob er sich auf diese Weise zu Wort melden sollte. Seit Wochen habe er an einer Antwort auf die Frage gebastelt, was das Land und seine Bürger zusammenhalten könnte. Und anders als früher habe ihn keine Sorge vor Widerspruch umgetrieben. Nein, dieses Mal habe er genau das, nämlich Einspruch, Kritik und Debatte, provozieren wollen. Aus diesem Grund finde sich darin auch der Doppelsatz: "Wir zeigen unser Gesicht. Wir sind nicht Burka."

Die Opposition kritisierte den Innenminister scharf

Nun kann man zunächst festhalten, dass die Provokation als Provokation funktioniert hat. Es dauerte nicht lange, bis die Ersten ihn attackierten. SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz sprach von einer "Scheindebatte", und SPD-Vize Thorsten Schäfer-Gümbel wetterte, es handele sich um eine "peinliche Inszenierung". Während Merkel sich "liberal und europäisch" gebe, "macht de Maizière Leitkultur". Das sei eine "absurde Arbeitsteilung".

Nicht minder kritisch zeigte sich die Opposition. Grünen-Chef Cem Özdemir sagte, der Minister müsse sich endlich um wirkliche Integration kümmern. Sein Parteifreund Jürgen Trittin sprach von einer "rechten Stimmungsmache" und der FDP-Vorsitzende Christian Lindner von einem "Ablenkungsmanöver".

Ziemlich viele waren sich schnell einig: Da hat einer danebengegriffen. Und dann sagte Jürgen Habermas auch noch, de Maizières Thesen würden nicht zum Grundgesetz passen.

Als Gesetzesinitiative wollte der Minister seine Thesen indes nicht verstanden wissen. Zur Erläuterung, warum er für eine Leitkultur werbe, schrieb er in der Bild am Sonntag, der Begriff habe zwei Bestandteile. Da sei die Kultur, die zeige, worum es gehe: "Nämlich nicht um Rechtsregeln, sondern ungeschriebene Regeln des Zusammenlebens". Außerdem sei "leiten" etwas ganz "anderes als vorschreiben oder verpflichten".

Der Innenminister schärft das eigene Profil, statt Loyalität zu zeigen

Ihm gehe es um eine "Richtschnur" für die Gesellschaft. So zurückhaltend das klingen soll, so unklar ist, ob die Kanzlerin das alles mitträgt. Vorab wusste sie nur grob von seinen Plänen. Außerdem klingt vieles nach jener Merz-Idee, die sie einst rüde vom Tisch wischte. Warum also hat de Maizière das gemacht? Um sehenden Auges gegen eine Wand namens Angela Merkel zu laufen? Wohl kaum.

Als Erklärung trefflicher ist, dass seine Distanz zur Kanzlerin in den vergangenen vier Jahren Schritt für Schritt gewachsen ist. Und dass er für sich nicht mehr die Loyalität, sondern die Profilbildung als überlebenswichtig erkannt hat. Unvergessen ärgerlich ist für ihn, wie das Kanzleramt im Herbst 2015 aus seinem Vorschlag, Peter Altmaier zum Flüchtlingskoordinator zu erklären, eine Entmachtung des ungeliebten Innenministers machte.

Und nicht minder prägend ist seine Erfahrung wenige Wochen später, als er kurz vor dem Rauswurf stand und sich mithilfe Wolfgang Schäubles bei der Beschränkung des Familiennachzugs für syrische Flüchtlinge doch durchsetzte. Der ewige Knappe der Kanzlerin will mehr er selbst sein.

Nach der Bundestagswahl wird de Maizière sein Amt verlieren

Über Jahrzehnte glaubte er, solides Regieren werde sich lohnen. Das hatte stets zwei Haken: Wenn solides Regieren durch Fehler schiefläuft, hängt es dem, der solide sein will, mehr an als anderen. Außerdem wird es schwer, in der Rolle aus sich selbst Kraft zu entfalten.

Das störte ihn nicht, solange die Kanzlerin loyal blieb; es fühlt sich aber leer an, wenn diese Loyalität wegfällt. Deshalb kämpft er mehr für sich selber und erntet in der Union Beifall. Vor allem bei denen, die ihn früher allein als Merkels Helferlein erlebt haben.

Beinahe absurd ist, dass der politisierte de Maizière erst jetzt auf den Plan tritt. Denn kaum etwas lässt sich derzeit so sicher vorhersagen wie die Prognose, dass er nach der Bundestagswahl kein Innenminister mehr sein wird. Der Grund liegt in Bayern.

Seit CSU-Anführer Horst Seehofer seinen Innenminister Joachim Herrmann zum Spitzenkandidaten für den Bund gemacht hat, gibt es keine Konstellation, in der de Maizière bleiben kann, was er ist. Sobald die Union regiert, ist Herrmann Seehofers erste Wahl als Innenminister.

Vielleicht erklärt das am besten, warum aus dem späten de Maizière immer häufiger ein Provokateur wird.

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