Indonesien:Familienausflug mit Sprengstoff

Anti-terror policemen stand guard following a bomb blast at a police office in Surabaya

Auch am Montag hat eine Familie in Indonesien einen Selbstmordanschlag begangen. Bei der Attacke auf das Hauptquartier der Polizei in Surabaya kamen nach Polizeiangaben vier Attentäter ums Leben.

(Foto: Beawiharta/Reuters)

Der islamistische Terror nimmt in Indonesien eine neue Dimension an: Zwei Familien sprengen sich in die Luft und töten Dutzende Menschen. Experten kritisieren, dass radikale Gruppen zu wenig überwacht werden.

Von Arne Perras, Singapur

Indonesiens Präsident Joko Widodo hatte sich recht gut im Griff, als er zur Nation sprach. Seine Stimme klang fest und entschlossen. Allenfalls seine Hände ließen manchmal erkennen, dass ihn die grauenvollen Stunden doch aufgewühlt hatten. Seine Finger kletterten ruhelos am Rand des Manuskripts auf und ab, als er die Barbarei in Surabaya vor den Kameras verurteilte und versprach, die radikalen Netzwerke zu zerstören, die Indonesien seit Sonntagmorgen in Schock versetzen.

Drei Selbstmordattacken auf christliche Kirchen im Osten Javas vor den Gottes-diensten, dann ein weiterer Anschlag auf eine Polizeistation am Montag - die jüngste Anschlagsserie war heftiger als alles, was der Inselstaat an extremistischen Angriffen in den vergangenen 15 Jahren erlitten hat. Mindestens 14 Menschen starben, Dutzende wurden verletzt. Zwei weitere geplante Angriffe auf Kirchen konnten noch rechtzeitig verhindert werden.

Viele Indonesier waren sprachlos, als sie von jener sechsköpfigen Familie erfuhren, die drei der vier Attacken ausgeführt hatte. Es war wohl der grauenvollste Sonntags-ausflug, den ein indonesisches Elternpaar mit seinen Kindern jemals plante. Statt eines Picknicks für die Wiese hatten sie selbst gebastelte Bomben und Sprengstoffgürtel eingepackt. Der 46-jährige Vater, Dita Oepriarto, fuhr ein mit Sprengstoff bepacktes Auto, mit dem er in das Tor der Surabaya Pentacostal Church hineinkrachte. Die Söhne, 15 und 17 Jahre alt, hatten unterdessen ein Motorrad bestiegen und attackierten Gläubige der Kirche Santa Maria, sie trugen ihre Bomben im Schoß. Den dritten Angriff führte die 42-jährige Mutter Puji Kuswati aus. Sie nahm dafür ihre beiden Töchter mit, neun und zwölf Jahre alt. Polizeichef Tito Karnavian erklärte, die drei hätten Sprengstoffgürtel unter ihrem Gewand gezündet. Ein Augenzeuge will gesehen haben, wie die Mutter noch einen Menschen vor der Kirche Diponegoro umarmte, als die Bomben hochgingen.

Anfangs hieß es, die Familie sei aus Syri-en zurückgekehrt, doch dies sei falsch, sagte Karnavian einige Stunden später und berichtigte damit einen früheren Hinweis aus Kreisen der Polizei.

Für den Vielvölkerstaat in Südostasien bedeutet die Tat der Mutter insofern eine neue Dimension, als sich am Sonntag erstmals eine Selbstmordattentäterin auf indonesischem Boden in die Luft sprengte. Der indonesische Analyst Noor Huda Ismail von der Monash University in Australien beobachtet die islamistische Propaganda im Internet und glaubt, dort einen wachsenden Drang indonesischer Frauen zu erkennen, sich an extremistischer Gewalt zu beteiligen. Diese radikalisierten Kreise könnten das Selbstmordattentat der Mutter als Ansporn betrachten.

Nach Einschätzung Ismails steigt die Tendenz zur Selbstradikalisierung in Indonesien, das überwiegend von Muslimen bevölkert ist, erheblich an, sodass jede neue Terrorattacke auch immer die Frage auf-wirft, ob sie von IS-Anführern gesteuert wurde oder der Eigeninitiative seiner Sympathisanten entsprungen ist. Bilder der Familie, die von der indonesischen Polizei veröffentlicht wurden, zeigten lächelndes Familienglück aus früheren Jahren, verschmitzte Kindergesichter und zufrieden wirkende Eltern. In ihrer vermeintlichen Normalität wirkte das Foto für viele Indonesier besonders verstörend. Auch die Angreifer vom Montag nahmen ein achtjähriges Kind mit zur Tat, wie der Polizeichef erklärte, das Mädchen habe aber überlebt, Videoaufnahmen zeigten die Tochter eines Attentäters taumelnd nach der Explosion.

Viele Indonesier, die einst versuchten, nach Syrien zu gehen, leben nun wieder in der Heimat

Islamistischer Terror als Familienvorhaben? Die Polizei ist überzeugt, dass die Attentäter vom Sonntag eine sogenannte Schläferzelle bildeten und zur Gruppe Jemaah Ansharut Daulah (JAD) gehören, die mit der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) verknüpft sein soll. Der IS hat sich zu den Bluttaten in Surabaya bekannt. Dass familiäre Verbindungen bei der Planung von Terrorattacken eine Rolle spielen, ist nicht neu, im Süden der Philippinen zettelten die Gebrüder Maute den Angriff auf die Stadt Marawi an. Doch nach Einschätzung der Terrorexpertin Sidney Jones hat es Indonesien nun zum ersten Mal erlebt, dass sich eine ganze Familie samt ihrer kleinen Kinder in eine Selbstmordattacke stürzte.

Dem australischen Radiosender ABC sagte Jones, Indonesien müsse seine Anti-Terror-Politik auf den Prüfstand bringen, um herauszufinden, was tatsächlich erfolgreich ist und wo die Schwächen liegen. Jones wies darauf hin, dass viele Indonesier, die einst versuchten, nach Syrien zu gehen und nie ans Ziel kamen, nun wieder in Indonesien lebten. Der Staat überwache diese Risikogruppen viel zu wenig, beklagt die Expertin vom Institute for Policy Analysis of Conflict (IPAC). Experten schätzen, dass einige Hundert Indonesier es nach Syrien und in den Irak schafften, um dort für den IS zu kämpfen. Doch dass viele schon auf dem Weg scheiterten, wird oft vergessen.

Der IS-Ableger JAD tauchte erstmals auf dem Radar der Sicherheitsdienste auf, als indonesische Extremisten dem IS-Anführer Abu Bakr al-Bagdadi Gefolgschaft schworen. Die Gruppe wird für mehrere tödliche Terrorangriffe verantwortlich gemacht. Erst vergangene Woche haben mutmaßliche JAD-Angehörige bei einem Aufstand in einem Hochsicherheitsgefängnis nahe Jakarta fünf Polizisten getötet. In diesem Gefängnis sitzt auch Aman Abdurrahman ein, mutmaßlicher Anführer von JAD. Das korrupte Gefängniswesen gilt als einer der größten Schwachpunkte. Experten klagen, dass sich viele Insassen dort radikalisieren, anstatt der Gewalt abzuschwören.

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