Indisch-pakistanischer Grenzkonflikt:Das absurde Spektakel der Atommächte

Am Grenzübergang in Wagah demonstrieren die Erzfeinde Indien und Pakistan täglich mit grotesken Zeremonien ihre Rivalität - obwohl die Beziehungen sich verbessert haben.

Oliver Meiler

Gleich wird er wieder diesen neckischen Zwischenschritt einlegen, das Knie bis zum Kinn hochziehen, wie sie es sonst nur in den Pariser Cabarets tun, dann die Hacke mit Wucht zu Boden knallen, dass die schwarze Uniform an seinem langen und mächtigen Körper erzittert, der Federbausch auf dem Hut ohnehin, die Wangen auch.

Indisch-pakistanischer Grenzkonflikt: Pakistanische Ehrengarden in schwarzen Uniformen und indische Soldaten (hinten) bemühen sich, am Grenzübergang Wagah Stärke zu demonstrieren.

Pakistanische Ehrengarden in schwarzen Uniformen und indische Soldaten (hinten) bemühen sich, am Grenzübergang Wagah Stärke zu demonstrieren.

(Foto: Foto: AFP)

Den Rücken durchgestreckt, den Kopf im Nacken, eine trotzige Miene im Gesicht - sie soll wohl kriegerisch wirken. Dann öffnet der pakistanische Offizier den Mund ganz weit und brüllt einen sonoren Laut in die Weite, der bald aufgeht im Chor seiner Landsleute, versammelt zu Hunderten, alles Patrioten: "Pakistan, Allahu Akbar!" Die Sonne geht gerade unter im Staub von Wagah, einem Grenzort zwischen Pakistan und Indien, der einzigen Straßenverbindung zwischen den beiden Ländern, dreißig Kilometer östlich von Lahore.

Auf der anderen Seite der Grenze, jenseits zweier Eisentore, eines pakistanischen und eines indischen, kopiert ein indischer Offizier in khakifarbener Uniform jede Bewegung des Pakistaners, gleich zackig und gleich laut gefeiert von Hundertschaften von Indern, auch sie Patrioten.

Das Trauma von 1947

Es ist eine Zeremonie der Groteske, ein absurdes Spektakel, das die beiden Armeen der innig verfeindeten Nachbarn hier in Wagah jeden Tag für zehn pakistanische Rupien, etwa zehn Cent, Eintrittspreis geben. Als gelte es, die 60 Jahre alte Rivalität, die im Trauma der blutigen Trennung von 1947 geboren war, ewig am Leben zu erhalten, die Zwietracht zweier so ähnlicher Völker mit so ähnlichen Werten und Mentalitäten martialisch zu nähren. "Hindustan, Mutter Indien", rufen sie jetzt auf der anderen Seite.

"Pakistan, Gott ist groß", kontern sie von dieser Seite, rudern dazu mit den Armen, die Männer auf den Tribünenrängen rechts, die Frauen links, alle fein gekleidet für den Anlass. Jeden Tag geht das so, eine Stunde lang. Kinder sind auch dabei. Sie singen mit. Die Fahnen werden eingeholt, synchron. Propagandamusik dröhnt aus Lautsprechern, zum Nachbarn gerichtet. Nur einmal öffnen sich die Eisentore und zwei Offiziere schütteln sich knapp die Hände, tauschen Tageszeitungen aus ihrer Heimat aus, dann werfen sie die Tore mit viel stolzer Theatralik wieder zu. "Hindustan!" - "Pakistan!" - "Hindustan!" - "Pakistan!"

Fortsetzung auf der nächsten Seite: Indien hat schlechte Erfahrungen gemacht mit demokratisch gewählten, zivilen Regierungen jenseits der Grenze.

Das absurde Spektakel der Atommächte

Die Zeitungen sind voller Wahlanalysen und Prognosen. Die Pakistaner haben kürzlich ein neues Parlament gewählt und ihre Stimmen mehrheitlich in zivile Parteipolitik investiert. In Indien fragt man sich darum mit einiger Sorge, was das bringen wird für das Verhältnis zwischen den beiden Atommächten. Die Times of India beschreibt Pakistan auch schon mal als "sicheren Hafen für Terroristen" und warnt vor dem "Überschwappen" des Terrors, sollte die neue, zivile Regierung das Phänomen nicht in den Griff bekommen.

Es gibt Studien der indischen Geheimdienste, die von einer gefährlichen Zusammenarbeit verschiedener pakistanischer Terrorgruppen berichten. Gemeinsam sollen die Gruppen angeblich große Attentate in Indien planen. Und das Nachrichtenmagazin Outlook schrieb, eine Balkanisierung Pakistans hätte schlimme Folgen für Indien. Der Grundton in den Kommentaren ist immer derselbe: Demokratie ist gut, doch garantiert sie weder Sicherheit noch politische Stabilität.

Indien hat schlechte Erfahrungen gemacht mit demokratisch gewählten, zivilen Regierungen jenseits der Grenze. In ihrem patriotisch-populistischen Eifer waren diese meist hitzköpfiger als militärische Machthaber. Außerdem waren die Beziehungen zwischen den beiden Ländern nie besser als in den vergangenen Jahren, den Jahren mit Pervez Musharraf, dem pakistanischen Militärherrscher und Wahlverlierer.

Nie hielt ein Waffenstillstandsabkommen länger am Stück als das laufende, seit 2003 schon. Nie hatte der Dialog mehr Struktur, nie wurde er regelmäßiger geführt als mit Musharraf. In Delhi gilt der unpopuläre Präsident aus Islamabad deshalb als "Ermöglicher des Dialogs". Er war 2001 auch der erste pakistanische Herrscher, der einen Kranz niederlegte am Grab von Mahatma Gandhi in Delhi.

Der Streit um die Region Kaschmir, Grund dreier Kriege in den vergangenen Jahrzehnten und ewige Schlüsselfrage, bleibt zwar ungelöst. Doch gab es schon lange keine großen Übergriffe und Scharmützel mehr in dem umkämpften Himalaya-Gebiet. Für eine Demilitarisierung des Siachen-Gletschers bedarf es noch einer Einigung über den genauen Grenzverlauf. Doch immerhin steht sie auf der Tagesordnung.

Diese positive Entwicklung war keineswegs absehbar, als Musharraf 1999 durch einen Putsch an die Macht gelangte. Die Schmach von Kargil war noch frisch. Musharraf war es gewesen, der Truppen und kaschmirische Aufständische auf den von Indien beanspruchten Kargil-Höhen befehligt hatte. Infiltrieren ließ er das Gebiet, als die indischen Soldaten, wie immer im garstigen Winter, ihre Posten für einige Monate verlassen hatten.

Pakistan geriet international stark in Bedrängnis; Delhi entsandte schnell eine Übermacht von Soldaten. Die Gefahr eines nuklearen Konflikts zwischen den Nachbarn dräute. Doch bevor es so weit kommen konnte, zog sich Pakistan wieder zurück: geschlagen, erniedrigt. Bis heute streiten sich der damalige Premierminister Nawaz Sharif, auf dessen Geheiß der General gehandelt hatte, und Pervez Musharraf über die Verantwortung für diese unselige Expedition. Als Folge der Niederlage überwarfen sich die beiden, was im Coup Musharrafs endete.

Dynastien auf beiden Seiten

Die Inder misstrauen Sharif spätestens seit 1993, als dieser öffentlich die Anschlagserie in Bombay begrüßte, bei der am 12. März jenes Jahres 257 Menschen umgekommen waren. Er war damals zum ersten Mal Premier und hatte einen fundamentalistischen Geheimdienstchef. Misstrauisch begegneten die Inder immer auch der Volkspartei von Benazir Bhutto, der unlängst ermordeten Oppositionellen und Ex-Premierministerin. Sie hetzte früher immer gerne, wenn es um die Zukunft des Kaschmir ging. Beiden, Sharif und Bhutto, wird zudem angelastet, dass der Geheimdienst unter ihrer Herrschaft islamistische Extremisten gefördert hatte, die auch im Kampf gegen den Nachbarn eingesetzt wurden.

Solch dunkle Erinnerungen mögen erklären, warum Delhi eher kühl auf die Rückkehr der Demokratie in Pakistan reagiert. Bhuttos Witwer, Asif Ali Zardari, Chef der siegreichen Volkspartei, war denn auch bemüht, etwas guten Willen zu demonstrieren und versprach, man wolle den Dialog fortsetzen. "Die Bhuttos hatten immer gute Beziehungen zu den Gandhis", sagte er. Dynastien hüben wie drüben.

Das Zeremoniell an der Grenze ist vorüber, es ist kalt geworden. Die Zuschauer auf beiden Seiten werden zum Ausgang begleitet. Der Weg hinaus verläuft über fünfzig Meter parallel, getrennt nur von einem Zaun, einem Graben und überwacht von Garden auf Pferden. Dort Inder, hier Pakistaner. Es wird über die Grenze gefeixt, die Zunge rausgestreckt, geneckt. Und gebrüllt wird immer noch: "Hindustan!" - "Pakistan!" Vielleicht wäre der Beziehung ja auch gedient, wenn man die absurde Show absetzte.

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