Indiens Regierungspartei-Chefin Sonia Gandhi:Mit dem Geruch der Dynastie

Sonia Gandhi

Die Frau, die dem Schock in indien einen Ausdruck gab: Sonia Gandhi, Chefin der Regierungspartei.

(Foto: AP)

Sie hat dem Schock in Indien durch ihre Rede einen Ausdruck gegeben: Sonia Gandhi, Chefin der regierenden Kongress-Partei. Zur Regierungschefin wollte sich die Frau mit den italienischen Wurzeln nie wählen lassen, den meisten Indern gilt sie trotzdem als die eigentliche Herrscherin des Landes.

Von Stefan Klein

Es kommt nicht oft vor, dass sich "Madam", wie man sie in Indien nennt, mit einer Fernsehansprache an die Nation wendet. Sonia Gandhi ist immer noch keine Freundin großer Auftritte, aber diesmal fühlte sie sich, jenseits allen parteitaktischen Kalküls, offenbar aufgerufen, und zwar "als Frau und Mutter", wie sie es formulierte.

Indien ist nackte, rohe Gewalt nicht fremd. Aber die Massenvergewaltigung einer jungen Frau, an deren Folgen sie gestorben ist, hat dem Land einen Schock versetzt. Man sieht es an den Demonstrationen, an den Mahnwachen, an der von Bollywood bis zum Parlament von Delhi reichenden Empörung, und man sieht es auch am TV-Auftritt von Sonia Gandhi.

Dass eine aus Norditalien stammende Frau aus katholischem Hause einmal dem nach China bevölkerungsreichsten Land der Welt mit einfühlsamen Worten aus der verwundeten Seele sprechen würde, war so nicht unbedingt vorauszusehen gewesen. Aber die Liebe geht manchmal seltsame Wege, und in diesem Fall hat sie in den Sechzigerjahren im englischen Cambridge aus der italienischen Studentin Sonia Maino und dem indischen Studenten Rajiv Gandhi ein Paar gemacht.

Für die Italienerin war das keine schlechte Partie, denn sie heiratete gewissermaßen in ein Königshaus. Sie wurde Teil der Nehru-Gandhi-Dynastie, die Indiens große Kongresspartei und damit die Politik des Landes seit Langem beherrschte. Doch der Glanz hatte eine Kehrseite, und die Neue bekam es schnell zu spüren. Schwiegermutter Indira ermordet, Schwager Sanjay bei einem Flugzeugabsturz ums Leben gekommen, und dann auch Rajiv, der politische Erbe und junge Premierminister, der Ehemann und Vater zweier Kinder, hingemetzelt durch eine Selbstmordattentäterin.

Die Macht im Hintergrund

Das war das Ende der Dynastie, so zumindest schien es zu sein. Sohn Rahul und Tochter Priyanka waren noch zu jung, um in der Partei die Nachfolge anzutreten, und die Witwe wollte nicht. Sie war klug genug, sich von den Schlammschlachten indischer Politik fernzuhalten und sich stattdessen als Macht im Hintergrund und als heimliche Königin der Partei umschmeicheln zu lassen. Doch dann gab Madam dem Werben nach und ließ sich an die Spitze der übel heruntergewirtschafteten Partei wählen.

14 Jahre ist das her. Sonia Gandhi hat Wahlkampfreden gehalten, in Hindi mit italienischem Akzent. Sie hat Wahlen verloren, sie hat Wahlen gewonnen, die letzte im Jahre 2009 sehr überzeugend. Sie könnte Regierungschefin sein, wenn sie nur wollte, die Partei würde ihr sofort den roten Teppich ausrollen. Doch das würde die Frau mit den fremden Wurzeln angreifbar machen, sie weiß es, und nötig hat sie das Amt ohnehin nicht. Sie hat nämlich weit mehr als die Würde, die ein hoher Posten verleiht. Sie hat den Geruch der Dynastie, und auch deswegen gilt sie den meisten Indern längst als die eigentliche Herrscherin des Landes.

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