Indiens Polit-Aufsteiger Arvind Kejriwal:Der Mann, den sie für den neuen Mahatma Gandhi halten

Indiens Polit-Aufsteiger Arvind Kejriwal: Arvind Kejriwal bei einer Protestveranstaltung am 21. Januar in der Hauptstadt Dehli.

Arvind Kejriwal bei einer Protestveranstaltung am 21. Januar in der Hauptstadt Dehli.

(Foto: AFP)

Nach den jüngsten Vergewaltigungen wächst in Indien der Unmut über Polizei und Staat. Der Kommunalpolitiker Arvind Kejriwal setzt sich an die Spitze des Protests - und ist gleichzeitig Regierungschef des Bezirks Delhi. Manche sehen in ihm schon einen Erlöser wie einst Mohandas Gandhi.

Von Arne Perras, Delhi

Der Ministerpräsident von Delhi muss am Abend viel husten, er ist nicht bei bester Gesundheit, und noch dazu hat er die Nacht zuvor draußen auf der Straße geschlafen. Es ist kalt und feucht in diesen Tagen in Indien, und deshalb hat Arvind Kejriwal jetzt seinen grauen Schal um den Kopf gebunden, als er auf dem Platz hinter dem Parlament zum Mikrofon greift.

Um ihn herum lagern am Dienstagabend Minister und führende Mitglieder seiner Aam Aadmi Party, was so viel bedeutet wie "Partei des einfachen Mannes". Sie alle sitzen hier als Zeichen des Protests, sie demonstrieren gegen die staatlichen Ordnungskräfte. Und kein anderer als der Ministerpräsident selbst führt den Sitzstreik an. Arvind Kejriwal ist Chefaktivist und Regierungschef in Personalunion.

Indien, ein politisches Tollhaus? Was ist zu halten von diesem bizarren Schauspiel und dessen Hauptdarsteller? Kejriwal ist der neue Wirbelwind der indischen Politik.

Über niemanden diskutieren sie heftiger als über den Mann mit dem Schnauzbart und der feinen Brille. Was er sagt und tut, wird in den sozialen Medien ausgewalzt.

Kejriwal ist ein politischer Novize. Seit Dezember erst regiert der Mann die Metropole Delhi, aber es ist damit zu rechnen, dass er in den nächsten Wochen vor den nationalen Wahlen die Politik noch mächtig aufmischen wird. Einen Vorgeschmack darauf haben die Hauptstädter schon bekommen: Kejriwal im Kräftemessen mit der Polizei.

Entzündet hat sich alles an einem Streit um einen mutmaßlichen Prostitutionsring, gegen den die Polizei nichts unternommen habe. Auch angesichts der jüngsten Vergewaltigungen in Delhi prangert der Ministerpräsident die Untätigkeit der Polizei an.

"Wenn sie mich einen Anarchisten nennen, dann bin ich Anarchist"

Dazu muss man wissen, dass die Ordnungskräfte, gegen die er zu Felde zieht, nicht seiner Kontrolle unterstehen, sondern von der Zentralregierung beaufsichtigt werden, die von der Kongresspartei beherrscht wird. Das will Kejriwal ändern, er möchte, dass die Regierung von Delhi die örtlichen Polizisten künftig selbst dirigiert. Und deshalb gab es Krach.

Am Montag eskalierten die Proteste zu einem Barrikadenkampf, wobei mehrere Dutzend verletzt wurden. "Wenn sie mich einen Anarchisten nennen, dann bin ich Anarchist", sagt Kejriwal. Das hat manchen Sympathisanten in den oberen Mittelschichten erschreckt, aber viele andere bewundern Tatkraft und Mut.

"Wir brauchen einen wie Kejriwal, denn Frauen und Kinder sind hier nicht sicher", sagt die Anhängerin Rina Tripathi. "Die Polizei tut nichts, also muss Kejriwal so handeln, damit sich etwas ändert." Manche Aktivisten scheuen auch große Vergleiche nicht: "Man muss sich daran erinnern, was Mahatma Gandhi alles erreicht hat", sagt Computeringenieur Asha Agarwal und redet sich in Rage über das unfähige Establishment. "Mit uns verwandelt sich die indische Politik." Sie ziehen zu Felde gegen die VIP-Kultur, in der oft Herkunft und Namen zählen, und nicht, was einer leistet.

Minister Kejriwal fährt Kleinwagen - unfassbar für viele

Indiens Polit-Aufsteiger Arvind Kejriwal: Arvind Kejriwal in seinem Auto

Arvind Kejriwal in seinem Auto

(Foto: AFP)

Hinter Kejriwal scharen sich jene, die ihren täglichen Kampf mit dem Staatsapparat satthaben. Sie klagen, dass die Polizei ihren Job nicht macht und Geld von den kleinen Leuten erpresst. Sie klagen über Willkür und Untätigkeit, wenn Verbrechen geschehen. Diesen Missbrauch müssen die Leute seit Jahrzehnten über sich ergehen lassen, und so ist es nicht überraschend, dass die Frustrierten nach einem Erlöser suchen, der alles umkrempelt. Für viele heißt er Arvind Kejriwal.

Einst war er ein hochrangiger Steuerbeamter, er hat die Karriere aufgegeben und sich stattdessen als Anti-Korruptionskämpfer einen Namen gemacht. Als er im Dezember - reichlich überraschend - den Posten des Ministerpräsidenten in Delhi eroberte, waren viele elektrisiert von seinem Erfolg.

Aber werden ihn die Menschen im April und Mai bei den nationalen Wahlen auch nach oben tragen? Kejriwal als Premier - das wäre eine Sensation, aber es ist auch nicht sehr wahrscheinlich. Favorit war bislang der Hindu-Nationalist Narendra Modi, in dem vor allem die Mittelklasse einen zupackenden Mann sieht, der Indien voranbringen soll.

Modi profitiert von der Krise der regierenden Kongresspartei. Nun aber ist mit Kejriwal eine dritte Kraft aufgetaucht, und die Protest-Stimmen werden sich weiter aufsplittern. So bleibt schwer auszumachen, wer die asiatische Großmacht künftig führen wird.

Er will nach ganz oben

Kejriwal hat mit seinem Protest gezeigt, dass er ganz nach oben will. Doch war dieser Sitzstreik wirklich ein kluger Schachzug? Am Abend also greift der 45-Jährige zum Mikrofon und nennt das, was er verkündet "einen großen Sieg" für Indiens einfache Leute. Zwei von fünf Polizisten, deren formelle Suspendierung er gefordert hatte, werden nun beurlaubt. Das reicht ihm an diesem Abend, um den Sitzstreik zu beenden.

Indiens Medien diskutieren nun heftig, was er eigentlich erreicht hat. Die Zentralregierung hat ein wenig nachgegeben, damit er sein Gesicht wahren könne, sagen die einen. Mit seinen "unkonventionellen Methoden" hat er etwas in Bewegung gebracht, sagen die anderen.

Am Mittwochabend räumen die Polizisten die Barrikaden zur Seite, und Kejriwal braust in seinem blauen Wagen davon. Er hat einen Maruti-Suzuki Wagon R, das Auto der einfachen Leute. Seine Anhänger knipsen das Vehikel unablässig. Sie können es immer noch nicht fassen, dass ein indischer Minister in so etwas herumfährt.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: