Indien:Prügel für Kritiker der Regierung

Indien: Protestplakat bei einer Demonstration der Studenten. Sie wollen die institutionalisierte Ungerechtigkeit nicht mehr hinnehmen.

Protestplakat bei einer Demonstration der Studenten. Sie wollen die institutionalisierte Ungerechtigkeit nicht mehr hinnehmen.

(Foto: Tsering Topgyal/AP)

Ein Student wird wegen "anti-indischer Aktivitäten" verhaftet, nationalistische Kräfte attackieren Kritiker. Die größte Demokratie der Welt ringt um ihre Freiheiten.

Von Arne Perras, Singapur

Vor harten politischen Auseinandersetzungen scheuen die Inder selten zurück. Doch was sich in diesen Tagen in Delhi abspielt, geht doch weit über das übliche Maß an Rangeleien hinaus. Wütende Proteste auf dem Campus, Prügeleien vor dem Gerichtshof, die Stimmung ist aufgeheizt. Und wer in diesem Streit von seinen Gegnern als unpatriotisch oder anti-indisch abgestempelt wird, ist vor Schlägen nicht mehr sicher. Das alarmiert viele Intellektuelle im Land, die um den Geist ihrer Demokratie fürchten und auch um das Recht, unbequeme Meinungen zum Ausdruck zu bringen, ohne sofort als Vaterlandsverräter geächtet zu werden.

Es wächst die Angst, dass die lebendige Debattenkultur in Indien immer weiter ausgehöhlt wird. Als Indiz dafür werten liberale Kräfte, dass die Polizei kürzlich den Studentenführer Kanhaiya Kumar verhaftet hat, der an der traditionsreichen und links gerichteten Jawaharlal Nehru University (JNU) in Delhi eingeschrieben ist. Dem rhetorisch gewandten Doktoranden werden Aufwiegelung und anti-indische Aktivitäten vorgeworfen. Inzwischen zeichnet sich zwar ab, dass die Beschuldigungen kaum tragen dürften für einen Prozess. Am Freitag soll das Oberste Gereicht entscheiden, wie es mit Kumar weitergeht. Doch sein Fall hat längst gezeigt, dass die universitäre Freiheit immer stärker unter Druck gerät.

"Wenn irgendeiner anti-indische Slogans ruft, wird er nicht geschont", sagt der Innenminister

Die Unruhe in Delhi ist groß, die Times of India spricht schon von einer Krise. Begonnen hat sie mit einer Protestkundgebung auf dem Campus der JNU, bei der Studenten an die umstrittene Hinrichtung von Afzal Guru im Jahr 2013 erinnerten. Der aus Kaschmir stammende Mann soll am islamistischen Anschlag auf das indische Parlament 2001 beteiligt gewesen sein, er wurde als Terrorist verurteilt, zugleich aber wurden auch Zweifel an der Beweisführung laut. Die prominente indische Schriftstellerin Arundhati Roy bat schließlich um Gnade für Guru, doch vergeblich. Er wurde gehängt.

Vor allem Politiker im Krisengebiet Kaschmir geißeln die Vollstreckung seither "als Travestie der Justiz". In der indischen Mittelklasse hingegen herrscht vielfach Zufriedenheit über die Linie ihres Staates, von dem erwartet wird, dass er in Fragen der Sicherheit hart durchgreift. Sobald es um separatistische Kräfte in Kaschmir geht oder um den Erzfeind Pakistan, ist eine differenzierte Sicht auf die Verhältnisse oder Kritik am eigenen Staat unter Indern nicht sehr populär.

Was genau der linke Studentenführer Kumar verbrochen haben soll, ist noch unklar, die Vorwürfe sind schwammig. Dennoch empfinden jene Genugtuung, die linke studentische Gruppen für angeblich mangelnden Patriotismus bestrafen möchten. Einen Tag nach der Festnahme Kumars erklärte Rajnath Singh, Innenminister der Zentralregierung und Politiker der hindu-nationalistischen Partei BJP: "Wenn irgendeiner anti-indische Slogans ruft, wird er nicht geschont." Und Smriti Irani, die das indische Bildungsressort unter Premier Narendra Modi führt, warnte: "Die Nation wird es niemals dulden, wenn Mutter Indien beleidigt wird."

Solche Sätze dürften einige im stramm rechten Lager als Ermunterung aufgefasst haben, den Druck auf linke Gegner zu erhöhen. Aufmerksamkeit erregen gerade einige gehässige Posts in den sozialen Medien, vor allem die des Juristen Vikram Singh Chauhan, der sich als ein "Arbeiter für die BJP" bezeichnet und Anhänger zusammentrommelt, um, wie er schreibt, "Patriotismus zu demonstrieren" und den "Verrätern eine Lektion zu erteilen." Mehrmals haben seither Männer in Anwaltsroben Studenten und Journalisten attackiert.

Am Mittwoch kam es auf dem Gelände des Patiala-Gerichtshofs zu bedrohlichen Szenen, wie Augenzeugen in Delhi berichteten. Offenbar war die Polizei kaum in der Lage, den Beschuldigten Kumar, der zu einem Gerichtstermin erscheinen musste, abzuschirmen. "Ich wurde verprügelt", beklagte Kumar, während der zuständige Polizeichef sagte, die Beamten hätten die Lage unter Kontrolle gehabt. Das wirkte wenig glaubhaft für Journalisten, die sich mit den Geschehnissen beschäftigt haben: "Wir haben Polizisten gesehen, die nur dastanden und zuschauten", sagt Amrith Lal, Redakteur beim Indian Express.

Gegen Kumars Festnahme am vergangenen Freitag regte sich schnell Widerstand. In Delhi marschierten am Donnerstag etwa 10 000 Demonstranten für dessen Freilassung, an 40 indischen Universitäten gab es Proteste. In Kumars Heimatdorf in Bihar verfolgen die Eltern geschockt, was ihrem Sohn widerfährt. "Bitte nennt meinen Sohn keinen Terroristen", fleht Mutter Meena Devi. Der Vater ist gelähmt, sie leben in ärmlichen Verhältnissen und verstehen nicht recht, was in der fernen Hauptstadt vor sich geht. Kumar selbst hat erklärt, dass wahre indische Patrioten gegen die Armut ankämpfen müssten und dass er sich nicht von rechten Gruppen diktieren lassen wolle, was es heiße, ein guter Inder zu sein.

In akademischen Kreisen wächst die Sorge, dass rechtslastige Kräfte den Raum für Meinungsäußerungen beschneiden und mehr Einfluss auf Lehre und Forschung erhalten wollen, etwa um das Gewicht hindu-nationalistischer Deutungen in Geschichts- und Politikwissenschaften zu erhöhen. Dass nun Aufwiegelungsvorwürfe gegen einen Studentenführer der JNU erhoben werden, ist für den Politikprofessor Badri Narayan ein deutliches Zeichen. "Dies ist der klare Versuch der Regierung, die Universitäten zu kontrollieren, die als offene Räume für Dialog und Widerspruch gelten", sagte er der Online-Zeitung lifemint. Diese Einschätzung passt zur Befürchtung vieler Wissenschaftler, Künstler und Schriftsteller, die beobachten, dass die Intoleranz in Indien zunimmt. BJP-nahe Kreise sprechen dagegen von einer konzertierten Strategie der Linken, um die Regierung Modi schlecht zu reden.

Der indische Verfassungsrechtler Fali Sam Nariman merkte an, dass anti-indische Einstellungen vielleicht von den Bürgern als geschmacklos empfunden würden, aber deshalb noch lange nicht den Straftatbestand der Aufwieglung begründeten. "Anti-indisch zu sein ist kein Verbrechen", lautet seine Analyse. Und er zitiert auch noch einen Verfassungsrichter aus Südafrika, der kürzlich sagte: "Rede ist erst dann wirklich frei, wenn sie weh tut."

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