Indien:Heilige Kloake

Indien: Weihwasser: 2013 trat der Ganges über die Ufer und umspülte auch diese goldene Shiva-Statue.

Weihwasser: 2013 trat der Ganges über die Ufer und umspülte auch diese goldene Shiva-Statue.

(Foto: Sanjay Kanojia/AFP)

Das Land stellt seine Flüsse Ganges und Yamuna unter Schutz. Sie haben jetzt den Rang einer "juristischen Person", ein Vormund kann vor Gericht gegen Verschmutzer vorgehen.

Von Arne Perras

Irgendwann stieg Göttin Ganga vom Himmel herab und verwandelte sich in einen Fluss. Hindus kennen ihre Mythen, deshalb verehren sie die heiligen Wogen und tauchen gerne in das Wasser ein, um sich spirituell zu reinigen. Mutter Ganga gilt ihnen als Urquell des Lebens. Auch jene, die den Fluss durch die säkulare Brille be-trachten, erkennen seinen existenziellen Wert. Vom Ursprung im Himalaja windet er sich 2600 Kilometer quer über den Subkontinent, bevor er sich in den Golf von Bengalen ergießt. Ganga, auch Ganges genannt, ist die Lebensader für eine halbe Milliarde Menschen.

Doch das irdische Volk an den Ufern setzt der Flussgöttin mächtig zu. Und die Gefahren lassen sich durch Beten kaum bannen. Deshalb haben indische Richter im Bundesstaat Uttarakhand jetzt zu einem juristischen Schild gegriffen, um Ganga besser zu schützen. Sie erhoben den Ganges - zusammen mit dem Yamuna - in den Rang einer juristischen Person. Die Ströme sind damit als "lebende Einheiten" klassifiziert. Sie haben nun - ähnlich wie Minderjährige - Anspruch auf einen Vormund, den der Gerichtshof bestimmt und der das Wohl des Flusses zu wahren hat - etwa in einem Prozess gegen einen Verschmutzer. Erst vor wenigen Tagen hat auch Neuseeland einem Fluss, dem Whanganui, einen solchen Status zugebilligt, weil er den Ureinwohnern heilig ist. Ähnlich verfuhren einige lateinamerikanische Linksregierungen mit der Pachamama, der "Mutter Erde".

Von den Dachterrassen der indischen Stadt Varanasi, wo Hindus ihre Toten verbrennen und deren Asche im Ganges verstreuen, lassen Touristen gerne ihren Blick über den Strom streifen. Im Morgenlicht ist dies ein magischer Moment. Doch empfindliche Nasen sollten dem Wasser nicht zu nahe kommen. An den Ufern riecht es manchmal alles andere als göttlich. Die Abwässer der Städte und der Schmutz der Industrie ergeben einen toxischen Mix. Er hat den Fluss krank gemacht. So krank, dass sich Pilger und Ökologen fragen, wie das fließende Heiligtum noch zu retten ist.

Die Richter in Uttarakhand haben den formalen Schutz verstärkt. Aber wird es dem Fluss in der Praxis auch nützen? Indiens Premier Narendra Modi verspricht, Mutter Ganga wieder aufleben zu lassen, er hat ehrgeizige Pläne. Doch politische Rivalitäten, Korruption, Missmanagement und eine monströse Bürokratie, die schnelle Entscheidungen unmöglich machen, bremsten das Vorhaben "Sauberer Ganges" bislang aus.

Längerfristig sehen Experten Nutzen in einer juristischen Aufwertung der Ströme. Sie nimmt alle stärker in die Pflicht. Wie der indische Umweltjurist Ritwik Dutta sagt, könnte der neue Status den rabiaten Sandabbau im Flussbett oder Dammbauten erschweren. Besonders dringlich sind am Ganges Kläranlagen für Kommunen und Kontrolle der Industrie. Ansonsten wird es beim schauerlichen Befund der Ärzte in Varanasi bleiben, von denen manche ihren Kindern schon verbieten, sich dem Fluss nur zu nähern. In den heiligen Wogen entdecken Mediziner gefährliche Konzentrationen von Schwermetallen und Krankheitserregern. Mit diesen Keimen kann schon ein Schluck heiliges Wasser für den Trinkenden zur Hölle werden.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: