Indien:Berg von Ansprüchen rund um Kaschmir

Indien: Ein indischer Soldat schaut einem Hubschrauber der Armee nach.

Ein indischer Soldat schaut einem Hubschrauber der Armee nach.

(Foto: Channi Anand/AP)

Der Terrorangriff auf einen Luftwaffenstützpunkt in der Nähe von Pakistan legt einen komplizierten Konflikt offen: den um Kaschmir.

Von Arne Perras, Singapur

Im neuen Jahr sollte alles anders werden. So jedenfalls versprach es Raheel Sharif, Pakistans mächtiger Armeechef, als er am 1. Januar in der Provinz Belutschistan verkündete: "Das neue Jahr wird jenes Jahr sein, in dem der Terrorismus endet." Es dauerte nur wenige Stunden, bis die Verhältnisse in Südasien den Satz als Phrase entlarvten. Denn im benachbarten Indien überfiel ein Terrorkommando am Morgen des 2. Januar eine Luftwaffenbasis. Mindestens fünf Angreifer und sieben indische Soldaten sind im Laufe der Gefechte getötet worden. Und selbst am dritten Tag nach Beginn der Attacke wurden noch Schießereien von der Basis Pathankot in Punjab gemeldet.

"Die Operation wird vermutlich lange dauern", sagte General Dushant Singh. Wie viele Angreifer beteiligt waren und noch Widerstand leisteten, war nicht klar. Ein hochrangiger Offizier sagte, die gut vorbereiteten Terroristen hätten die Bestände der Luftwaffe zerstören wollen. Auf dem Stützpunkt sind Jets und Kampfhubschrauber stationiert. Offenbar aber wurden die Angreifer gestoppt, bevor sie militärisches Gerät vernichten konnten.

Indiens Innenminister Rajnath Singh hat eine "angemessene Antwort" auf den Terroranschlag angekündigt, ohne ins Detail zu gehen. Allerdings vermied er es zunächst, Vorwürfe gegen den pakistanischen Staat zu erheben. Erst vor acht Tagen war Indiens Premier Narendra Modi auf dem Rückweg aus Afghanistan zu einem überraschenden Zwischenstopp in Islamabad gelandet, um seinem pakistanischen Kollegen Nawaz Sharif zum Geburtstag zu gratulieren. Es war eine Geste, die den Auftakt bilden sollte für Gespräche zwischen Indien und Pakistan.

Doch nun beherrschen erst einmal nationale Krisensitzungen in Indien das politische Geschehen. Wie soll Delhi reagieren? Rückt es wieder ab von den Gesprächen, dürfte die indische Regierung von Kritikern zu hören bekommen, sie lasse sich von Terroristen und Saboteuren die politische Agenda diktieren. Hält sie trotz der Attacke an Gesprächen fest, werden andere einwenden, dass man Pakistan nicht trauen könne und jeder Handschlag den nationalen Interessen schade.

Indien steckt in einem Dilemma. Doch die Zeitung The Hindu kommentierte, dass Fortschritte in den Beziehungen eben doch nur durch Gespräche zu erzielen seien. Delhi müsse seine Line halten und dürfe sich von Terroristen nicht aus der Bahn werfen lassen. Das allerdings erfordert große Entschlossenheit in einer Region, in der sich zwei Atommächte seit Jahrzehnten argwöhnisch belauern.

Kaschmir ist geteilt, der Osten wird von Indien gehalten, der Westen von Pakistan

Welcher Gruppe die Angreifer zuzuordnen sind, ist nicht klar. Während indische Medien unter Berufung auf Geheimdienstkreise zwei Tage lang berichteten, dass Extremisten der Gruppe Jaish-e-Mohammed (JeM) hinter dem Überfall steckten, bekannte sich am Montag der "United Jihad Council" (UJC) aus Kaschmir zu dem Angriff. Im UJC haben sich ein gutes Dutzend militanter Gruppen zusammengeschlossen, die gegen die Kontrolle der Bergregion durch Indien rebellieren. Kaschmir ist entlang der "Line of Control" geteilt, der Osten wird von Indien gehalten, der Westen von Pakistan. In der Erklärung des UJC hieß es, Indien solle der Bevölkerung in Kaschmir die Chance geben, über ihre Zukunft selbst zu entscheiden, anstatt die Schuld für Gewalt in Pakistan zu suchen. Mudschahedin aus Kaschmir seien jederzeit in der Lage, sensible Einrichtungen in Indien zu treffen, drohte der UJC.

Auf Kaschmir erheben sowohl Indien als auch Pakistan Ansprüche, während einheimische Gruppen nach Unabhängigkeit streben. Das macht die Gemengelage äußerst kompliziert. Nicht immer ist sichtbar, welche Gruppe in Kaschmir nun von Pakistan gesteuert gegen Indien agiert und welche eher eigenständig agiert.

Die Suche nach den Drahtziehern ist schwierig, weil die Bekenner der Tat vielleicht ablenken wollen

Die Gruppe JeM, deren Hintermänner in Pakistan vermutet werden, hat in der Vergangenheit zwar häufig indische Ziele in der Bergregion attackiert, distanzierte sich aber vom UJC, womöglich deshalb, weil die Ziele von JeM weit über Kaschmir hinausgehen. Wie gut die Gruppe organisiert ist, zeigte sie 2001, als sie das indische Parlament angriff. Manche vermuten nun, dass der JUC die Tat nur reklamiert, um die Aufmerksamkeit auf Kaschmir zu lenken. Das macht die Suche nach den Drahtziehern kompliziert.

Nach Informationen der Hindustan Times wollten sich die Angreifer der Luftwaffenbasis auch für das vollstreckte Todesurteil an Afzal Guru rächen, einem Terroristen, der an dem Angriff auf das Parlament vor 14 Jahren beteiligt war. Die Zeitung stützt sich dabei auf ein Interview mit einer Geisel. Rajeh Verma hatte das Pech, in jenem Auto mitzufahren, das die Terroristen unmittelbar vor dem Angriff auf die Luftwaffenbasis gekidnappt hatten. Sie wollten Verma später die Kehle durchschneiden, doch er überlebte und konnte später im Krankenhaus von den Racheplänen der Männer berichten.

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