Importstopp für Lebensmittel nach Russland:Wem Putin wirklich schadet

Wie du mir, so ich dir - nach diesem Prinzip funktioniert der von Russland verhängte Importstopp für Lebensmittel aus den USA und der EU. Die europäische Union könnte den Boykott zu spüren bekommen - doch einen viel höheren Preis zahlt die russische Bevölkerung. Sie reagiert mit sowjetischem Humor.

Von Antonie Rietzschel und Julian Hans, Moskau

In der vergangenen Woche haben die EU und die USA wegen des Konflikts in der Ukraine Wirtschaftssanktionen gegen Russland verhängt. Wladimir Putin reagiert mit Vergeltung. Er ordnet ein Importverbot für Agrarprodukte und Lebensmittel aus den Sanktionsländern an. Antworten auf die wichtigsten Fragen.

Welche Produkte sind vom Importverbot betroffen?

Die EU-Staaten und die USA dürfen ab sofort kein Fleisch und keine Milchprodukte mehr nach Russland liefern. Von dem am Vortag angekündigten einjährigen Einfuhrverbot sind auch Obst und Gemüse betroffen, wie Regierungschef Dmitri Medwedew sagte. Die Sanktionen gelten auch für Australien, Kanada und Norwegen (die komplette Liste von Lebensmitteln, die vom Importverbot betroffen sind). Moskau hatte bereits in den vergangenen Wochen europäisches Schweinefleisch, amerikanische Hühnchen, ukrainische Milch sowie polnisches Obst und Gemüse vom russischen Markt verbannt. Als Begründung wurden jedoch bisher Qualitätsmängel angegeben.

Was bedeutet der Boykott für die Europäische Union?

Russland ist für die EU der zweitwichtigste Markt für Agrar- und Lebensmittelexporte. 2013 wurden Waren im Wert von knapp 12 Milliarden Euro ausgeführt. Der Deutsche Bauernverband hat bereits die Sorge geäußert, dass durch den Importstopp in der EU zu viel Produkte in Umlauf kommen.

Es ist eine Äußerung, die sich perfekt für die russische Propaganda eignet. Der russische Staatssender Russia Today flicht ihn in einen Beitrag ein, in dem es um die Folgen des Importstopps für die einzelnen europäischen Länder geht. Schwerpunkt ist jedoch Finnland. Denn der dortige Premierminister Alexander Stubb hat sich bisher am deutlichsten über die möglichen Auswirkungen des Importstopps geäußert: "Darin liegt das Potenzial für eine ökonomische Krise 2.0." Russland ist für Finnland der drittgrößte Exportmarkt.

Welche Auswirkungen der Importstopp besonders auf die kleineren EU-Staaten haben kann, zeigt das Beispiel Polen. Ende Juli hatte Russland den Import von polnischem Obst und Gemüse verboten. Begründet wurde dies mit der angeblich zu hohen Belastung mit Pestiziden. Das Wirtschaftsministerium erklärte kürzlich, dass das Embargo das Land 0,6 Prozent des Bruttoinlandproduktes kosten könnte. Der Sektor Landwirtschaft macht insgesamt 3,8 Prozent des BIPs des Landes aus.

Wem schadet Putin wirklich?

Der russische Präsident hat immer wieder betont, dass die russischen Verbraucher von möglichen Gegenmaßnahmen nicht betroffen sein sollen. Doch das ist unmöglich. Russland importiert offiziellen Statistiken zufolge 40 Prozent aller Agrarprodukte und Lebensmittel aus dem Ausland, das meiste aus früheren Sowjetstaaten. In den großen Städten, vor allem in Moskau, ist der Anteil noch viel höher.

Der landwirtschaftliche Sektor in Russland ist zu schwach, um die durch den Importstopp entstehende Lücke auszugleichen. Es fehlt in dem Bereich vor allem an Investitionen (Sicht der Vereinten Nationen auf Russlands Landwirtschaft). Ein namentlich nicht genannter Chef einer Handelskette sagte der Zeitung Wedomosti, er könne seine Läden wohl bald schließen. Das große Angebot an Lebensmitteln von guter Qualität war für viele nach Jahren der Mangelwirtschaft das am deutlichsten spürbare Zeichen dafür, dass Russland im Lebensstandard zum Westen aufschloss. Darüber, ob der Importstopp tatsächlich einen Impuls für heimische Produzenten geben kann, äußerten sich Experten skeptisch. "Bevor man etwas verbietet, sollte man erst einmal die Infrastruktur verbessern", sagte Leonid Cholod, ehemals stellvertretender Landwirtschaftsminister dem Portal slon.ru. So gebe es etwa ein Überangebot an Kartoffeln, es fehle aber die Logistik, um sie zu den Verbrauchern zu bringen.(Das Portal hat verschiedene Experten aus der Lebensmittelindustrie über Alternativen befragt.)

Der Importstopp könnte zu höheren Lebensmittelpreisen führen und die bekommt der Verbraucher direkt zu spüren. Aber auch die russische Wirtschaft wird geschwächt. Die russische Zentralbank habe bereits davor gewarnt, dass die hohe Inflationsrate durch ein Importverbot weiter steigen und die Kaufkraft der Russen sinken würde. Der russische Regierungschef Dimitrij Medwedew wischt diese Sorgen einfach weg: Die Preissteigerungen sollten durch regelmäßige Kontrollen verhindert werden. Wie genau die aussehen sollen, ist jedoch unklar.

Wie sind die Reaktionen in Russland?

Wenn der Importstopp für Westwaren auch nicht gleich sowjetische Verhältnisse in den Geschäften zurückbringen wird - den sowjetischen Witz zumindest hat er zurückgebracht. Kaum hatte Wladimir Putin am Mittwochabend den Erlass zur Importstopp unterzeichnet, ließen viele Russen in sarkastischen Kommentaren Dampf ab.

Blogger veröffentlichten Bilder von leeren Regalen und langen Schlangen vor Milch- und Fleischtheken aus der Endzeit der Sowjetunion und den frühen 1990er Jahren. Für die Sanktionen des Westens bestrafe Putin wieder einmal das eigene Volk, so der Tenor unter Regierungskritikern. "Als Zeichen des Protests gegen die Sanktionen des Westens hat die russische Regierung einen Hungerstreik angekündigt", schrieb ein Moderator des liberalen Fernsehsenders Doschd auf Twitter.

Rustem Adagamow, einer der bekanntesten Blogger des Landes, veröffentlichte ein Rezept, wie man selbst aus Reis Milch herstellen kann. "Warum sind die Sanktionen des Westens gegen die Freunde Putins gerichtet, aber die Russlands gegen die eigenen Bürger?" fragte Georgij Alburow, ein Mitarbeiter der Stiftung für den Kampf gegen Korruption. Allerdings gehören die Blogger zu jener urbanen Mittelschicht, die von den Importverboten am stärksten getroffen wird.

Woher sollen die Nahrungsmittel künftig kommen?

Aus den südamerikanischen Ländern. An diesem Donnerstag soll es Gespräche mit den Botschaftern Ecuadors, Brasiliens, Chiles und Argentiniens geben, meldete die Agentur Interfax unter Berufung auf die Lebensmittelaufsicht. Die hat nach eigenen Angaben 91 brasilianische Lebensmittelhersteller für den russischen Markt zugelassen. Der brasilianische Branchenverband erklärte umgehend, man sei bereit zu helfen, um die dadurch entstehende Angebotslücke zu schließen. Brasilien könne 150 000 Tonnen Geflügelfleisch pro Jahr liefern. Aber auch Weißrussland hat seine Hilfe angeboten. Das Land wolle vor allem Milchprodukte nach Russland liefern, berichtet die russische Nachrichtenagentur Ria Nowosti.

Welche Maßnahmen könnte Putin als nächstes ergreifen?

Der Importstopp ist wahrscheinlich nicht der letzte Streich Russlands, um sich zu wehren. Die in der vergangenen Woche durch die EU und die USA verhängten Sanktionen forderten früh ein erstes Opfer. Die Fluggesellschaft Dobrolet, die zu Aeroflot gehört, musste ihre Arbeit einstellen, da sie Verträge mit europäischen Firmen auflösen musste.

Nun könnte Russland seinerseits europäische Gesellschaften ins Visier nehmen und ihnen auf dem Weg nach Asien den Flug über Sibirien verweigern. Das legt ein Bericht der russischen Wirtschaftszeitung Wedomosti nahe. Die Gesellschaften müssten dann einen Umweg von 4000 Kilometern nehmen. Lufthansa fliegt jede Woche ungefähr 180-mal über Sibirien. Aber auch das wäre eine Maßnahme mit Folgen für Russland. Denn das Land kassiert Hunderte Millionen Euro Überfluggebühren.

Mit Agenturmaterial.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: