Image-Verlust der Piraten:Gezänk auf allen Kanälen

Im Herbst 2011 interessierte sich ganz Deutschland für die Piraten. Doch die öffentliche Wahrnehmung hat sich gewandelt: Die Mitglieder der Partei gelten nicht mehr als freche Erneuerer der Demokratie, sondern als eine Chaostruppe, die hauptsächlich mit sich selbst beschäftigt ist.

Claudia Henzler und Hannah Beitzer

"Der Hype ist vorbei, es kehrt Ruhe ein", so ist im Onlineforum der Piratenpartei zu lesen, als Diskussionsbeitrag zum Thema "Die Piraten saufen in der Wählergunst langsam ab". Aktuell ist die Partei auf sechs Prozent im Politbarometer abgerutscht. Die Piraten haben aber bereits eine Sprachregelung für die sinkenden Umfragewerte gefunden. Johannes Ponader, politischer Geschäftsführer der Partei, sagt: "Der Hype ist etwas abgeflaut. Jetzt können wir wieder ruhig arbeiten."

Piratenpartei - Vor dem Parteitag in Neumünster

Schwierige finanzielle Lage und schlechte Umfragewerte - die Piratenpartei hat an Strahlkraft verloren.

(Foto: dpa)

Mit ungebrochenem Selbstbewusstsein bereitet sich Ponader an diesem Wochenende auf den Einzug seiner Partei in den Bundestag vor. Interessierte Piraten treffen sich in Essen, um zu erarbeiten, wie die Zusammenarbeit der künftigen Bundestagsabgeordneten mit der Partei und der Öffentlichkeit aussehen könnte.

Zu dem Treffen, das selbstverständlich als Livestream im Internet übertragen werden soll, erwartet Ponader etwa 150 Mitglieder: Potenzielle Bundestagskandidaten, bereits gewählte Landtagsabgeordnete, aber auch einfache Mitglieder, die ihren Wunsch nach Mitsprache formulieren sollen. Ponader vertraut darauf, dass die Piratenpartei dauerhaft mindestens fünf Prozent der Wahlberechtigten von sich begeistern kann.

Im vergangenen halben Jahr war die Begeisterung für die Partei fast schon beängstigend. Nach der Berlin-Wahl hatte sich die Zahl der Mitglieder innerhalb von elf Monaten mehr als verdoppelt - auf derzeit offiziell 33 000, von denen aber nur 20 000 echte, weil zahlende Mitglieder sind. Im Herbst 2011 interessierte sich plötzlich ganz Deutschland für die seltsamen Typen in Orange, die mit der Forderung nach kostenlosen Bussen und Bahnen ins Abgeordnetenhaus kommen wollten.

Der Partei gelang es damals, sich nicht nur als Vertreterin einer digitalen Avantgarde zu präsentieren, sondern als unverbrauchte Kraft, die in allen Politikfeldern mitzureden gedachte. Die Piraten wollten nicht mehr nur Lobbyisten für ein freies Internet sein. Die Partei formulierte den hohen Anspruch, die Prinzipien der vernetzten Welt auf die Gesellschaft zu übertragen: freier Zugang für alle zu allem. Und sie wollte das politische System der Bundesrepublik reformieren. Irgendwie basisdemokratischer sollte es sein, transparenter.

Ein Jahr später ist noch immer weitgehend unklar, was genau die politischen Inhalte der Piraten sind. Und die Partei steht längst nicht mehr so gut da. Nicht nur die Umfrage-Ergebnisse sinken, im mitgliederstärksten Landesverband Bayern kam es gerade zu einer Austrittswelle. Knapp 7000 Mitglieder sind dort offiziell gemeldet, doch nicht einmal die Hälfte bezahlt ihre Beiträge. Als die Partei nun 1200 Zahlungserinnerungen schrieb, trat jeder zehnte der Angeschriebenen aus.

Einige Piraten zogen sich zurück

Die öffentliche Wahrnehmung hat sich gewandelt. Die Piraten werden nicht mehr als freche Erneuerer der Demokratie gesehen, sondern als eine Chaostruppe, die hauptsächlich mit sich selbst beschäftigt ist, mit einem Richtungsstreit, mit Personaldebatten und Geldsorgen. Selbstverständlich immer begleitet von lautstarkem Gezänk auf allen möglichen elektronischen Kommunikationskanälen.

Einige Piraten zogen sich in den vergangenen Monaten aus der Parteispitze zurück, weil sie mit dem gestiegenen Druck nicht mehr zurechtkamen, etwa Ponaders Vorgängerin Marina Weisband, auch der Berliner Landesvorsitzende oder Bundesschatzmeister René Brosig, der anschließend vehement auf eine Änderung der Strukturen pochte. Auch in Schleswig-Holstein beschäftigen sich die Piraten mit sich selbst, dort streiten Landesvorstand und Fraktion um Kompetenzen. Der Konflikt soll an diesem Sonntag bei einer virtuellen Podiumsdiskussion gelöst werden.

Konflikte entstanden sind auch zwischen den Piraten, die bis 2009 eingetreten sind und denen die Netz-Themen am Herzen liegen, und den Neumitgliedern, die eine neue politische Heimat für alle möglichen Anliegen suchten. Der Konflikt wurde bewusst öffentlich ausgefochten, als der frühere Parteivorsitzende Jens Seipenbusch im Februar 2012 mit einer "Gruppe 42" forderte, die Partei müsse sich um ihre Kernthemen kümmern. Und vor den Wahlen in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen reagierten Altmitglieder empört, als sich auch Neulinge als Listenkandidaten bewarben.

Selbst der Kommunikationsstil trägt zum Imageverlust bei. Offene Diskussionskultur wird in der Praxis von vielen missverstanden als Recht, alles in jeder Form zu kommentieren. Das Problem wird als so drängend empfunden, dass sich Piraten demnächst in Bielefeld treffen, um über die Streitkultur zu sprechen. "Wie gehen Piraten mit Menschen um, die in exponierte und verantwortungsvolle Positionen gewählt wurden?" nennt Organisatorin Leena Simon einen der Fragenkomplexe. Sowohl Johannes Ponader als auch Marina Weisband haben schon zugesagt.

Dass die Partei Zustimmung verliert, könnte ein großes Problem der Piraten weiter verschärfen: Die Bundespartei ist chronisch unterfinanziert. Die Vorsitzenden arbeiten ehrenamtlich, die Pressesprecherin ist eine der wenigen bezahlten Mitarbeiter - und sie verdient gerade 800 Euro im Monat. Aufgrund der geringen Zahlungsmoral der Mitglieder beziehen die Piraten nur einen Teil der öffentlichen Zuschüsse, die ihnen zustehen könnten. Deren Höhe bemisst sich an den eigenen Einnahmen und an der Zahl der Wähler.

Schatzmeisterin Swanhild Goetze und Parteichef Bernd Schlömer haben deshalb kürzlich eine Mandatsträgerabgabe ins Spiel gebracht - also eine regelmäßige, formal freiwillige Spende aller Abgeordneten im Bund und in den Ländern, wie sie auch andere Parteien kennen. Wie üblich wurden beide via Twitter heftig beschimpft. Auch in Essen steht die Mandatsträgerabgabe an diesem Wochenende auf der Tagesordnung.

Anmerkung: In einer früheren Fassung des Textes war Spannungen zwischen Landesvorstand und Fraktion bei den Piraten im Saarland und einer virtuellen Podiumsdiskussion die Rede, bei der die Konflikte gelöst werden sollen. Tatsächlich handelt es sich aber um die Piraten in Schleswig-Holstein.

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