Im Profil:Martin Schulz

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Wer kennt schon Martin Schulz aus Würselen bei Aachen? Mit diesem Satz begann noch am Dienstag ein Zeitungsbericht, der sich mit der verzweifelten Suche der SPD nach einem attraktiven Spitzenkandidaten für die Europawahl 2004 beschäftigte. In Berlin, so der Tenor, setze man jedenfalls nicht auf den Straßburger Vize-Fraktionschef, sondern suche "händeringend ein populäres Gesicht". Nur zwei Tage später ist aus Martin Schulz der bekannteste Europa-Abgeordnete der SPD geworden.

Cornelia Bolesch

(SZ vom 4.07.2003) Das Gesicht des 48-Jährigen mit den großen Augen hinter der Brille ziert die Frontseiten der internationalen Presse, seit der neue EU-Ratspräsident Silvio Berlusconi ihm empfohlen hat, "die Rolle eines Kapo in einem KZ-Film" zu übernehmen.

Schulz wiederum hatte Berlusconi zuvor im Ton eines Staatsanwalts etliche Verstöße gegen Demokratie und Rechtsstaatlichkeit vorgehalten und dann noch eins draufgesetzt: Nur mit Hilfe seiner politischen Freunde im Europaparlament sei Berlusconi vor zwei Jahren der Anklage vor einem spanischen Gericht entgangen. Jetzt fordert die konservative EVP, auch Schulz müsse sich entschuldigen. Der hält das Ansinnen für "ein bisschen gaga".

"Ich habe nichts zurückzunehmen" - sagte Schulz einen Tag nach der turbulenten Sitzung zur Süddeutschen Zeitung. Schließlich habe er den italienischen Premierminister nicht persönlich, sondern politisch angegriffen. Schon als Berlusconi Mitglied des Europaparlaments war, hatte sich Schulz mit dem Medienunternehmer angelegt. Verbissen, aber vergeblich hatte sich der deutsche Abgeordnete 2001 um die Aufhebung der Immunität des Italieners bemüht und dabei vor allem mit der konservativen Parlamentspräsidentin Nicole Fontaine gestritten.

"Ich hätte mir eine andere Profilierung gewünscht".

Europäische Innenpolitik und Menschenrechtsfragen sind die politischen Schwerpunkte des gebürtigen Eschweilerers, der seit 1994 im Europaparlament sitzt. Im Zusammenhang mit der Dutroux-Affäre in Belgien lieferte er einen beachteten Bericht über europäische Kinderschänder-Ringe ab. Und als "glühender Anti-Nazi" fühlt er sich von Berlusconis Angriff auch "persönlich verletzt".

Wer Martin Schulz näher kennt, beschreibt ihn als einen Mann, der nicht nur moralisch argumentiert, sondern auch ganz konkret nützlich sein will. Zehn Jahre lang hat der gelernte Buchhändler als Bürgermeister die kleine Stadt Würselen verwaltet. Bereits zur Halbzeit seiner Amtszeit gelang ihm der Sprung auf die europäische Bühne. Nun hat er auch schon einen weiteren Anspruch angemeldet: Schulz will im nächsten Parlament Chef der sozialdemokratischen Fraktion werden.

Alle fragen ihn jetzt, ob er Berlusconi nicht dankbar sein müsse, dass er durch ihn über Nacht so bekannt geworden sei. "Das nervt mich", stöhnt Schulz. "Ich hätte mir eine andere Profilierung gewünscht". Besonders bedauerlich findet es der SPD-Politiker, "dass alle jetzt über den Kapo-Vergleich reden, aber keiner mehr über die juristischen Vorwürfe gegen Berlusconi". Doch er verspricht, dass er im Europaparlament "nicht lockerlassen" werde.

(sueddeutsche.de)

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