Im Profil:George Fernandes

Indiens eiserne Faust im Kaschmir-Konflikt

Arne Perras

(SZ vom 04.06.2002) Um ein Haar wäre er katholischer Priester geworden. Und er glaubt daran, dass er auch in diesem Fall einen gewaltigen Aufstieg hingelegt hätte. "Vielleicht wäre ich heute Papst", hat George Fernandes einmal gesagt. Aus der Kirchenkarriere wurde aber nichts, weil der Mann in jungen Jahren aus dem Priesterseminar austrat und andere Wege ging. Inzwischen predigt der 72- Jährige keine Nächstenliebe, sondern droht dem pakistanischen Nachbarn mit der eisernen Faust. Seit 1998 ist er Indiens Verteidigungsminister und führt eine Armee mit mehr als einer Million Soldaten.

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George Fernandes

Fernandes liebt den Frontbesuch in Kaschmir. Regelmäßig lässt er sich dort per Hubschrauber einfliegen und ruft die Truppe zum Durchhalten auf. Jetzt allerdings musste er erkennen, dass Indien seine kämpferische Rhetorik in den vergangenen Wochen vielleicht etwas zu weitgetrieben hat. Immer mehr westliche Staaten riefen ihre Bürger auf, das Land wegen der Kriegsgefahr zu verlassen. Da blieb auch einem Falken wie Fernandes nichts anderes übrig als zu beschwichtigen. Eine "extreme Eskalation" werde es nicht geben, sagte er. Den Exodus der Ausländer möchte Delhi vermeiden, weil dies die Wirtschaft hart trifft.

Bekannt ist Fernandes vor allem für seine oft drastische Art. 1998 sorgte er für Aufregung, weil er China offen zur Bedrohung Nummer Eins erklärte. Im indischen Außenamt machte er sich damit keine Freunde. Denn Delhis Diplomaten durften sich hernach mit dem Zorn Pekings herumschlagen.

Der einzige christliche Minister im Kabinett ist ein Mann tiefer Widersprüche. Als er 1998 das Verteidigungsamt übernahm, zündete Indien fünf Atomtests und feierte sich als schlagkräftige Nuklearmacht. Früher war Fernandes noch als Atomgegner aufgetreten, doch die Wendung machte ihm nicht groß zu schaffen. Politische Zwänge seien eben manchmal stärker als Überzeugungen, erklärt er Kritikern, die ihn als Opportunisten bezeichnen.

Der Mann, dessen Name auf portugiesischen Einfluss zurückgeht, ist als Arbeiterführer und Sozialist groß geworden. Geboren in Bangalore ging er als junger, mittelloser Mann nach Bombay. Dort arbeitete er sich als Gewerkschafter nach oben. 1974 organisierte er einen Eisenbahnerstreik, der dazu beitrug, dass Premierministerin Indira Gandhi den Ausnahmezustand verhängte. Fernandes operierte im Untergrund, landete im Gefängnis. Gandhis Wahlniederlage 1977 markierte für ihn die Wende. Er stieg zum Industrieminister auf und machte von sich Reden, weil er für einige Zeit

Coca Cola und IBM aus dem Land warf.

1998 trat Fernandes mit seiner kleinen Samata Party in die Koalitionsregierung der Hindu-Nationalisten ein, wo er seither als Koordinator für Premier Atal Bihari Vajpayee agiert. Dieser Rolle hat er es zu verdanken, dass ihm ein so wichtiges Ministeramt zufiel. Beinahe hätte Fernandes seine Karriere schon beendet, als er 2001 in den Strudel eines Bestechungsskandals geriet und zurücktrat. Doch kurze Zeit später wurde er zu seinem eigenen Nachfolger gekürt. Der Premier kann auf Fernandes' Vermittlung offenbar nicht verzichten.

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